Für meinen heutigen Blogpost greife ich auf eine spezielle Art von Textkonserve zurück: einen Text, den ich 1991 während meines Studiums als Hausarbeit verfasst habe und der vom Dozenten damals für gut genug eingeschätzt wurde, um mir zu empfehlen, ihn bei einer sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift einzureichen. Das habe ich auch getan – dort wurde er dann allerdings nicht genommen: laut Aussage des Lektors, weil man dort aus einem deutlichen Überangebot an Manuskripten wählen musste.
Ich finde den Aufsatz rückblickend aus mehreren Gründen immer noch interessant: erstens passt er aufgrund des Themas zum Profil von »Geschlechterallerlei«: weil er sich – wenngleich vor allem in der Art einer philologischen Fleißarbeit – mit einem im Feminismus zu einiger Prominenz gelangten soziologischen Autor und seinem speziellen Gebrauch zweier soziologischer Grundbegriffe, genauer: zweier sozialer Strukturkategorien, befasst. Ich finde Bourdieus Begriffsgerüst auch heute immer noch brauchbar und anregend, obwohl meine Distanz zu ihm heute deutlich größer ist als damals.
Zweitens finde ich es im Rückblick interessant, wie ich damals versucht habe, feministische Theorie als konsequente Fortführung des modernen Emanzipationsbegriffs zu verstehen. Ein paar Bemerkungen über von Männern ausgeübte Gewalt stammen aus einer Zeit, in der Behauptungen, die wir heute als empirisch glattweg falsch verwerfen, als nicht bezweifelbar erschienen.
Und schließlich finde ich interessant, dass ich im Hinblick auf meine damalige Vorstellung, Feminismus könne das »Prinzip der Distinktion« (ein analytischer Zentralbegriff bei Bourdieu) überwinden und damit an die Wurzel von Prozessen »symbolischer Herrschaft« gelangen, einen konsequenten Kulturalismus vertreten habe, den ich heute nicht mehr aufrecht erhalten kann (und will). Statt dessen würde ich dieses Prinzip bei den anthropologischen Konstanten einsortieren.
Der Text ist ein bearbeiteter OCR-Scan, kann also übersehene Scan-Fehler enthalten.
Triggerwarnungen: Soziologischer Jargon, gelegentliches Binnen-I, feministische Ideologie in mehr als nur homöopathischer Dosis.
Und keine Sorge: mehr als einen solchen Text habe ich nicht in Reserve, das bleibt also ein Einzelfall. 🙂
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