Müssen die Polen #LGBT akzeptieren? (Teil II)

LGBTberlin
LGBT-Demonstranten: Gleichwertige Lebensentwürfe, die Minderheitenstatus beanspruchen können, wie ethnische oder religiöse Minderheiten? Bildquelle.

Teil I des Artikels hier. Im ersten Teil ging es vor allem um die Kritik des Umgangs mit den Polen und mit abweichlerischen Konservativen im Allgemeinen. Nun soll es um die Bewertung des Phänomens „LGBT“ an sich gehen und einige Schlussbetrachtungen angestellt werden.

 

1. Sind „LGBT“ Menschen oder Ideologien?

Polnische Konservative sprechen immer wieder von „LGBT-Ideologie“ oder auch von „homosexueller Ideologie“ oder „Genderideologie“. Sind dies nur Floskeln, die den Hass gegen sexuelle Abweichler beschönigen sollen, oder steckt mehr dahinter? Präsident Duda erregte Aufmerksamkeit und Empörung, als er öffentlich erklärte:

Sie versuchen euch zu überzeugen, dass [die LGBT] Menschen sind. Aber das ist einfach Ideologie.

(Zitiert nach queer.de)

Dieser Satz wird auf der Gegenseite so verstanden, dass Duda Homosexuellen etc. ihre Menschenwürde abspricht. Anscheinend bezweckt Duda mit dieser unangenehmen Formulierung auch, ein bisschen in politischer Tiefsee zu fischen, doch sich mit dieser Erklärung zu begnügen, wird der Sache nicht gerecht. Wichtiger ist, dass Duda und co. zum Ausdruck bringen wollen, dass sie irgendetwas an der LGBT-Bewegung oder auch an Homo- und Transsexualität an sich „ideologisch“ finden. Was genau Duda meint und ob der gute Mann überhaupt irgendetwas Konkretes im Sinn hat oder nur schwammig daher redet, bleibt im Dunklen – berechtigt ist dieser Punkt aber trotzdem:

LGBT“ (oder LSBTTQI*, LGBTQIA+ o.ä.) steht nicht nur als neutrale Sammelbezeichnung für sogenannte „sexuelle Minderheiten“, sondern dieser Begriff trägt selbst schon politisches Gedankengut in sich. Der Gedanke, dass man alle möglichen Menschen, deren Liebesleben bzw. deren Sexualität von der Mehrheit abweichen, als diskriminierte aber eigentlich irgendwie „gleiche“ Minderheiten, deklariert, ist keineswegs eine natürliche Selbstverständlichkeit. Die LGBT-Bewegung will ihrer Klientel im Prinzip einen ähnlichen Status geben, wie ethnischen und religiösen Minderheiten. Menschen mit eigentümlichen erotischen Neigungen und fragwürdigem Selbstbild („im falschen Körper geboren“) werden als lustige, bunte Sex-Nationen mit eigenen Identitäten, Fahnen und Brauchtümern liebevoll kreiert, bzw. – um einen berüchtigten Soziologenbegriff zu verwenden – konstruiert. Und das ist der springende Punkt: LGBTXYÖ<? sind kulturelle, politische und auch psychische Identitätskonstrukte – und keine Naturphänomene. Ebenfalls konstruiert, um nicht zu sagen, glatt bei den Haaren herbei gezogen, ist die fröhliche Stammeskonföderation unter der Regenbogenfahne mit der hässlichen langen Abkürzung. Lesben haben mit „Transsexuellen“ eigentlich wenig zu tun, sondern im Gegenteil sind ein paar Teilstämme des Volks von Lesbos sogar mit den Transsilvaniern seit Jahrzehnten auf Kriegsfuß. Wie dem auch sei; Duda benutzt Begriffe wie „Identität“ und „Konstrukt“ nicht (allein schon wegen der linken und soziologischen Konnotation), sondern bedient sich stattdessen des etwas sperrigen, aber massentauglichen Begriffs der Ideologie. Doch ganz falsch liegt er auch damit nicht, denn wie es Identitätskonstruktionen (wie z.B. die modernen Nationen) so an sich haben, sind sie eben das Fuhrwerk politischer Ideologie.

Um zu erklären, was man als Unterschied zwischen „LGBT“ und „LGBT-Ideologie“ auffassen kann, sei zuerst daran erinnert, dass die LGBT-Bewegung in weiten Teilen von der hochgradig strittigen Gendertheorie ausgeht, in der Männlichkeit und Weiblichkeit einseitig als soziale Konstrukte aufgefasst werden, die mehr oder weniger überwunden gehören. Dass eine solche politische Agenda die Gesetzgebung und die schulische Erziehung beeinflusst, steht selbst im Westen in der Kritik.

Des Weiteren möchte ich noch einmal den m.M.n. sehr treffenden Vergleich mit der Drogenproblematik anführen (Siehe Teil I). Man stelle sich vor, Drogen wären heute legal. Dies wäre eine freiheitliche GG-konforme Gesetzgebung. Doch nun stelle man sich vor, ca. zehn Jahre nach der hypothetischen Legalisierung würde die politische Bewegung, die diese Legalisierung erstritten hat, dazu übergehen, Kindern in Schulen beizubringen, dass Kiffen und Koksen etwas ganz „normales“ und gleichberechtigter Teil der gesunden Ernährung sei und Leute, die das kritisieren, nur bösartige „Nationalisten und Populisten“ seien. Ferner stelle man sich vor, es würde mit missionarischem Eifer in Leitmedien gefordert werden, dass die Unterrepräsentation von LSD-Trippern in Parlamenten und DAX-Vorständen endlich angegangen werden müsse. Und wie kann es eigentlich sein, dass auch im Jahre 2040 immer noch Menschen krumm angeschaut werden, wenn sie in der Straßenbahn ihr ehrlich verdientes Crystal durchziehen?! Solche Attitüden und politischen Wichtigtuereien könnte man dann als „Drogen-Ideologie“ bezeichnen. Wer nun Verständnis dafür aufbringen kann, dass sich gegen diese „Drogen-Ideologie“ ein breiter gesellschaftlicher Widerstand, insbesondere von Eltern, bilden würde, der kann nun vielleicht auch besser nachvollziehen, was polnische Konservative antreibt, die sich gegen „LGBT-Ideologie“ stark machen – unabhängig davon, wie man persönlich zu Rauschmitteln oder zu „LGBT“ steht. Denjenigen Lesern mit besonders ausgeprägter Menschenkenntnis wird es außerdem wohl einleuchten, dass sich die Wut mancher dieser Eltern nicht nur gegen „Drogen-Ideologie“ wenden würde, sondern sehr bald auch gegen den vermeintlichen Verursacher des Problems, nämlich die Drogen, selbst.

 

2. Acht zusammenfassende Thesen

  1. Die Idee der Gleichstellung von „LGBT“ und überhaupt die heutige Konzeption, Definition und Identitätskonstruktion dieser „sexuellen Minderheiten“ ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern Ergebnis eines westeuropäischen bzw. amerikanischen Sonderweges, der im 19. Jahrhundert beginnt. Jahrtausendelang war diese Idee überall in der Welt unbekannt und ihre Zukunft ist auch in Westeuropa ungewiss.
  2. Diesen westeuropäischen Sonderweg den Osteuropäern (oder anderen Völkern) aufzudrängen, ist eine unnötige Einmischung, die den Zusammenhalt der EU gefährdet.
  3. Der polnischen Anti-LGBT-Bewegung geht es nicht oder nicht wesentlich darum, die Menschenrechte Homosexueller zu bekämpfen, sondern es geht um die Aufrechterhaltung einer bestimmten öffentlichen Sittlichkeit und um den Schutz von öffentlichen Institutionen vor ideologischer Vereinnahmung von links.
  4. Es ist Heuchelei, anderen Ländern Toleranz und Freiheit zu predigen, wenn man selbst im eigenen Land illiberale Sittenpolitik betreibt und dabei in Grundrechte eingreift.
  5. Deutschland, als das Land, das seit dem Nationalsozialismus und bis vor wenigen Jahrzehnten noch Homosexuelle in teils heftigster Weise verfolgt hat, hat auf internationaler Bühne zum Thema „LGBT“ besonders still zu sein.
  6. Etwaige echte Menschenrechtsverletzungen sollten weiterhin in der EU sanktioniert werden. Auch die Situation von Homosexuellen in Osteuropa sollte hierbei im Blick behalten werden. Die individuellen sexuellen Neigungen und Familienvorstellungen vollumfänglich ausleben zu können, gilt jedoch nicht als Menschenrecht.
  7. Was jedoch als Menschenrecht gilt, ist die Meinungsfreiheit und Gewissensfreiheit. Und ein beträchtlicher Teil der Menschheit (z.B. viele Katholiken) ist der Ansicht, dass der „Homosexualität“ und ähnlichen Phänomenen etwas zwielichtiges, wenn nicht gar etwas bösartiges anhaftet.
  8. Die EU wird in nicht unbedeutendem Maße auch durch die gemeinsame christliche Prägung der Mitgliedsländer zusammengehalten. Wenn die katholische Kirche, als mit Abstand größte christliche Kirche bzw. Konfession in der EU, Vorbehalte gegen Homosexualität und „LGBT“ hat, gebietet es die politische Vernunft den EU-Politikern, dies stärker zu respektieren.

 

3. Rat zur Skepsis

Die westlichen Gesellschaften haben ihren speziellen Weg der Gleichstellung von LGBT gefunden, doch es würde mich nicht wundern, wenn sich schon in absehbarer Zukunft heraus stellt, dass die Gleichstellung „aller Geschlechter“ und sexuellen Orientierungen ein Fehler war. Es wäre ganz sicher nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich die Europäer eine Idee in den Kopf setzen, die sie für die letzte Wahrheit halten, die in der ganzen Welt verbreitet werden muss und in deren Namen Andersdenkende zu Idioten und Menschenfeinden erklärt werden. Schon so manche Generation blickte verständnislos und entsetzt auf die Wertvorstellungen und politischen Überzeugungen ihrer Eltern und Großeltern.

Auf die Schwulenverfolgung trifft genau das zu. Läppische 26 Jahre nach der endgültigen Aufhebung der Kriminalisierung von Schwulen in der BRD, ist heute kaum noch verständlich, warum trotz Grundgesetz und allgemeiner Freizügigkeit gleichgeschlechtliche Beziehungen polizeilich verfolgt und hart bestraft wurden. Das gleiche Schicksal wird in ein paar Jahrzehnten die pauschale und systematische Kriminalisierung von „Drogen“ ereilen, die erst ein halbes Jahrhundert alt ist. Moderne politische Ideologie hat wie jede Modeerscheinung oft eine überraschend kurze Halbwertszeit und je begeisterter, moralisierender und hysterischer sie daherkommt, je mehr Reinheit und Weltfrieden sie verspricht, desto mehr Vorsicht und Zweifel müssen ihr entgegen gebracht werden. Es lohnt sich definitiv nicht, unsere Nachbarländer mit unseren halbgaren und t.w. abstrusen Ideen von Freiheit zwangsbeglücken zu wollen, wenn sich diese Ideen noch nicht einmal bei uns selbst nachhaltig bewährt haben.

 

4. Vertiefung: Thomas Bauers Theorie der „Ambiguität der Lust“

Einige Grundgedanken dieses Artikels stammen „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“ (2011) vom Münsteraner Arabistikprofessor Thomas Bauer, dessen Lektüre ich an dieser Stelle wärmstens empfehle. Bauer entwirrt im Kapitel „Die Ambiguität der Lust“ den westlichen Umgang mit „Homosexualität“ und den darum entstanden ideologischen Konflikt zwischen Orient und Okzident, der im 19. Jahrhundert beginnt und sich bis heute hinzieht. Die Lektüre ist nicht ganz leicht und ich hoffe ich kann in den Bildunterschriften einige Dinge erläutern. Kurz gesagt: Bauer konstatiert, dass das westliche Bemühen um Schwulenrechte im Nahen Osten eher die gegenteilige Auswirkung hat. Dies halte ich für übertragbar auf den Konflikt zwischen konservativen Polen und der EU:

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S. 274 – Bauer geht davon aus, dass der Begriff der „Sexualität“ eine Entwicklung der westlichen Sexualmedizin des 19. Jahrunderts ist und diese Vorstellung außerhalb Europas nicht auf Anhieb verstanden wurde. Unter „Ambiguität (d.h. Mehrdeutigkeit) der Lust“ versteht er, dass Lust und Sex sich in einem schwer definierbaren Rahmen bewegen und eine „sexuelle Identität“ im heutigen Sinne nicht selbsverständlich ist. Die Ambiguität der Lust nimmt Bauer als unvermeidbar an. Doch hätte es insbes. in der jüngeren europäischen Geschichte den immer radikleren Versuch gegeben, Erotik zu „disambiguieren“, also eindeutige Normen zu schaffen, um Mehrdeutigkeit zu verhindern. Diese eindeutigen, also ambiguitätsfreien Normen wären z.B. die modernen sexuellen Identitäten, also „Heterosexuelle“ auf der einen Seite und „LGBT“ auf der anderen.
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S. 309 – Die angesprochene „Hetero-Homo-Binärität“, also die Überzeugung, dass es „Homosexuelle“ und „Heterosexuelle“ gibt, war im Nahen Osten in vorkolonialer Zeit unbekannt. Erst als diese Konzepte rezipiert wurden, kam im Orient das Phänomen der Homophobie als Reaktion auf.
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S. 310 – Dies ist m.E. übertragbar auf Polen. Durch den moralischen Druck, den die EU oder westeuropäische Regierungen ausüben, ist die polnische Bevölkerung ständig dazu gedrängt, sich in der „Homo-Hetero-Binärität“  festzulegen und sich dementsprechend vom jeweils anderen abzugrenzen. So ist auch erklärbar, dass konservative Polen die „Homosexualität“ oder „LGBT-Ideologie“  als  „unpolnischen“ Export aus dem Westen ansehen – weil sie dies gewissermaßen sind.

(Ich hoffe, ich verstoße nicht gegen das Urheberrecht des Insel Verlags. Im Falle der Beanstandung bitte Mail an nabikhidr93[at]gmail.com. Die Textauszüge sollen nur im Sinne von themenbezogenen Zitaten verstanden werden.)

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