Wozu recherchieren, wenn man schon eine festbetonierte Meinung zur Sache hat? Wozu sich mit den Ansichten anderer Leute auseinandersetzen, wenn man doch von der Eigenen zutiefst überzeugt ist? Wozu das alles, wenn der Ethos des Journalismus heute darin besteht, die Leserschaft hin zur „richtigen“ Meinung zu erziehen? Die Nachwuchsjournalistin Angela Gruber macht’s den Alten nach und instrumentalisiert in SPIEGEL ONLINE die Amokfahrt eines 25jährigen in Toronto für einen Rundumschlag gegen alles, was die heilige Kuh „Feminismus“ und ihre gottgebenen Vormachtsstellung ankratzen könnte. Tendenziöse Berichterstattung at it’s best.
Damit auch wirklich jeder kapiert, wohin die Reise des Artikels gehen soll, wird der Begriff „Frauenhass“ oder Synonyme davon (Frauenverachtung, Mysogenie, Krieg gegen Frauen, Online-Frauenhass usw.) im kurzen Beitrag gleich ein Dutzend mal aufgeführt.
Und dann geht das Feuerwerk der Begrifflichkeiten los: Incel, Reddit, 4chan, Gamergate, Alt-Right, MGTOW, Breitbart, Maskulinismus, Pick-up.
Aber Frau Gruber weist auch den richtigen Weg:
Während sich Feminismus und die Gleichberechtigung der Frau im gesellschaftlichen Mainstream als wichtige Themen durchsetzen, Beispiel #MeToo, sammelte sich im Netz eine Gegenbewegung
Gut, die Machthaber in China haben auch alles als „Konterrevolution“ bezeichnet, was ihnen nicht ins Schema paßte …
Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn über die eigentliche Tat berichtet wird und auch der Hintergrund des Täters beschrieben wird. Die Amokfahrt wird hier jedoch nur als Aufhänger benutzt, um einen sehr einseitigen Artikel pro Feminismus und contra „alles Andere, was nicht Feminismus ist“ zu schreiben. Insbesondere, dass der allgemeine Begriff Maskulinismus erwähnt wird, ist nicht zu rechtfertigen.
Aber diese Methoden ziehen nicht mehr, sie sind durchschaubar. Erst recht, wenn so dick aufgetragen wird, wie im Artikel von Angela Gruber. Alle Journalisten, die nicht kurz vor dem Rentenalter stehen, täten gut daran, zu den Wurzeln ihres Berufs zurückzukehren (möglichst objektive Berichterstattung) und ihre ideologischen Scheuklappen abzulegen.
Für den schnellen Leser (SPIEGEL bietet den Service auch): Achtet immer darauf, welches gedankliche Klima in Euren Köpfen erzeugt werden soll.
Die irokesische Familie ist nicht patriarchal, denn die Hausgemeinschaft wird durch die Mutter beherrscht (bzw. „bedamt“ 😉 ); dementsprechend ist auch die Gesellschaft nicht patriarchal, was sich dann darin äußert, dass die Hausfrauen direkte politische Entscheidungsgewalt haben. Das bestätigt doch im Grunde nur meine These, dass sich die gesellschaftliche Ordnung aus der Familienordnung ableitet (zur Bedeutung von „ableiten“ siehe unten; denn hier liegt der Hase im Pfeffer!)
Ohne deswegen in feministische Theorien vom »Matriarchat« zu verfallen, spricht vieles dafür, dass die Familienordnungen der Frühzeit in beiden Regionen (Ägypten und Mesopotamien) noch viel stärker »geschlechtersymmetrisch« gewesen sind.
Meinetwegen war das im antiken Orient so und mit Sicherheit gab es in der Menschheitsgeschichte auch mal Matriarchate, aber was willst du mir damit sagen? Führst du das (zusammen mit den Irokesen) als Beleg dafür an, dass der Patriarchalismus nicht universell ist? OK, das ist er nicht, aber das sagte ich auch nicht. Willst du mein Modell damit in Frage stellen? OK, nimm die altorientalischen Gesellschaften heraus; das ändert am Modell selbst nichts, dass sich ja in erster Linie auf die Entwicklung in Europa bezieht und beschreiben soll, wie die patriarchale Gesellschaftsordnung hier schrittweise verfallen ist, bis in der Moderne nur noch ein Rest, bzw. ein Schatten übrig blieb, der durch die „Emanzipation“ dann beseitigt wurde.
Man kann das bereits in der frühen Neuzeit ansetzen: bei der ideologischen Begründung des Absolutismus
Na klar, deshalb erwähnte ich den Absolutismus ja auch in meinem Modell. Und man kann natürlich noch früher ansetzen: Bei der Kirche, wie ja schon mehrmals gesagt wurde.
Für mich ist das entscheidende Argument jedoch wiederum: auch der Absolutismus mit seiner »patriarchalischen« Legitimation ist »extern induziert«, insofern er eine Reaktionsbildung auf die religiösen Bürgerkriege im Anschluss an die Reformation darstellt:
Natürlich ist er das. Das ändert doch aber nichts daran, dass die Gesellschaft des Absolutismus patriarchal geordnet ist und der absolutistische Herrscher der Hausvater des Staates ist.
Dass der Absolutismus eine patriarchale Symbolik zur Legitimation heranzieht, erlaubt nicht die Schussfolgerung, er sei aus einer patriarchalen (Familien-) Ordnung »hervorgegangen«.
Er ist es aber nun mal. Du verstehst das Wort „hervorgehen“ hier falsch, wie mir an dieser Stelle klar wurde:
Inwiefern ist er »daraus entstanden«? Das klingt wieder nach Deinem oben unterstellten Ableitungsverhältnis. Meinem Eindruck nach legst Du insgesamt ein unzureichend durchdachtes Kausalmodell zugrunde.
Nein. Ich lege überhaupt kein Kausalmodell zugrunde, wie du es hier verstehst. Ich sage eben nicht, (z.B.) der Absolutismus wäre entstanden, weil Männer über Frauen herrschen wollten oder dergleichen, sondern natürlich ist völlig klar, dass der Absolutismus eine Reaktion auf z.B. den 30-Jährigen Krieg etc. war und diese politische Entwicklung mit der famileninternen Ordnung wenig bis gar nichts zu tun hatte. ABER: der absolutistische Staat ist eben trotzdem aus der patriarchalen Familie hervorgegangen oder aus ihr heraus entstanden oder aus ihr abgeleitet. Nicht im Sinne kausal aus etwas entstanden, sondern ganz einfach nur „materiell“ aus etwas entstanden. sprich: der Patriarchalismus der Familie und der Gesellschaft hat sich hier an neue Gegebenheiten angepasst und blieb dadurch erhalten.
„Ich würde auch in Frage stellen, dass die nationalsozialistische Kombination von Mutterkult und männlichem Opferideal als »patriarchal« zu betrachten ist, insofern der Staat hier […] den traditionellen Vater eigentlich abschafft und sich selbst an dessen Stelle setzt.“
Das wurde jetzt eigentlich schon zur Genüge geklärt, aber ich wiederhole es nochmal:
[…] deswegen meinte ich ja auch, dass der Führerstaat und der Nationalismus der „traditionellen Vorstellung eines Staates als Haushalt, der einen männlichen Hausvater hat“ folgt, bzw. davon beseelt ist; aber nicht, dass er es selbst ist. Die traditionelle patriarchale Familie hat für die moderne Autokratie eine Vorbildfunktion. Das kann man als propagandistisches „Feigenblatt“ bezeichnen, muss man aber nicht. Deswegen erwähnte ich in diesem Zusammenhang auch die Kirche. Denn sie ist nach einem ähnlichen Muster strukturiert. Das heißt, das Patriarchat der Familie wird hier wie dort auf eine pseudo-familiäre Ordnung projiziert und nimmt im Falle des modernen Nationalstaats sogar manchmal seine Struktur an. (z.B. das moderne Patriarchat der nordkoreanischen Staatsführung)
Im modernen Europa, blieb es meist bei dieser bloßen Projektion (Führer/Präsident/Kaiser als Hausvater der Nation). Doch schon diese weißt ja auf das patriarchale Denken hin. Außerhalb von Europa entstehen aus der modernen Autokratie jedoch patriarchale Familiendynastien.
mit welchem Recht nehmen wir an, es sei ein Effekt einer patriarchalen Ordnung, wenn Frauen in Firmenvorständen unterrepräsentiert sind?
Na ganz einfach, weil es bis in die 70er Jahre hinein keine Gleichberechtigung von Mann und Frau gab und die Familie bis dahin noch halbwegs patriarchal organisiert war und daher Frauen nicht wirtschaftlich aufsteigen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Deswegen redete ich ja auch von der „Industriegesellschaft vor der ‚Emanzipation‘“. Ich glaube, du musst ein bisschen aufmerksamer lesen, was ich schreibe.
Ich mache aber einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einer primären und einer patriarchal geprägten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. In Bezug auf die heutige Geschlechtsrollenverteilung geht es ja gerade darum, inwieweit sie eben nicht mehr aus patriarchalem Zwang, sondern aus differentiellen Präferenzordnungen hervorgeht.
Ja, diesen Unterschied mache ich natürlich auch und wenn ich darüber sinniere, warum in Vorständen heute so wenig Frauen sitzen, ist patriarchaler Zwang das letzte woran ich denke. Ja, es geht hier darum, dass Frauen und Männer unterschiedliche Veranlagungen haben (insbesondere die naturhaft engere Bindung der Mutter an die Kinder ist hier entscheidend) aber eben genau aus dieser Veranlagung – gepaart mit den gesellschaftlichen Umständen der arbeitsteiligen Gesellschaft – heraus entsteht ja spontan (ohne Zwang) das Patriarchat der Familie und daraus folgend der Patriarchalismus der Gesellschaft. Überspitzt formuliert: Gäbe es keine feministische Umerziehung im weitesten Sinne, keine massenhafte Väterentsorgung und Männerabwertung und keine staatliche und kapitalistische Unterwerfung des Mannes, wäre diese Gesellschaft bald wieder de facto patriarchal, wenn auch nicht de jure. Ähnlich wie auch viele außereuropäische Gesellschaften bis heute de facto (und weniger de jure) patriarchal sind. Deswegen haben die Femis auch so ein Problem mit Freiheit und Rollenverteilung. Das ist in etwa das, was ich meine, wenn ich davon rede, dass die heutige Rollenverteilung in der liberalen Gesellschaft mit dem alten Patriarchalismus „etwas zu tun hat“.
Antwort auf diesen Blogpost von djad über die Problematik des Patriarchatsbegriffes
Patrimonal und Patriarchal
Diesen Übergang von der patriarchalen Gesellschaft der Jungsteinzeit zur patrimonalen Gesellschaft der Antike (bis Moderne) ist verständlich; doch schließt das eine das andere nicht aus. Der Kern der patrimonalen Gesellschaft ist nicht das Patriarchat (dt. ‚Väterherrschaft‘), wohl aber ein Patriarchalismus (dt: ‚Väterherrschaftlichkeit‘). Ersteres ist im weiteren Sinne eine konkrete Hausgemeinschaft und zweiteres eine allgemeine Struktur. Sie verhalten sich zueinander wie Königreich und Monarchie oder Monarchismus. D.h.: die Gesellschaft besteht immer noch aus patriarchalen Familien und der Herrscher (König etc.) ist ebenfalls ein Patriarch seines eigenen Hauses, nur dass sein Haus eine übergeordnete Stellung in der Gesellschaft einnimmt, er außerdem die Funktion eines Patrimons einnimmt und die Macht der anderen Hausherren damit beschnitten ist. Die Gesellschaft als Ganzes hat dementsprechend also immer noch den Patriarchalismus als Charaktermerkmal mit der jungsteinzeitlichen Gesellschaft gemein. (siehe Grafik unten)
Das, bei diesen [patriarchalen] Typen, völlige Fehlen eines rein persönlichen
(›patrimonialen‹) Verwaltungsstabs des Herren ist dafür bestimmend. Der Herr ist daher von dem Gehorchenwollen der Genossen noch weitgehend abhängig, da er keinen ›Stab‹ hat. Die Genossen sind daher noch ›Genossen‹, und noch nicht: ›Untertanen‹.« (Weber 2014, S. 165)
Dass Weber hier allerdings zu meinen scheint, dass die patrimonale Herrschaft automatisch die patriarchale beendet, erschließt sich mir nicht. Ich meine, dass die patrimonale Herrschaft nur eine Erweiterung darstellt. Hierfür ein kleiner Ausflug ins Altgriechische: monia (von Patrimon, Hegemon) heißt ‚Oberherrschaft‘ und arche (Patriarch) heißt ‚Herrschaft‘. Oberherrschaft ist eine Form der Herrschaft, dementsprechend ist ein Patrimon eine Form des Patriarchen.
(Danke an meinen „Pleitegriechen“ 😉 )
Patriarchalismus und Gesellschaft
»patriarchal« können Gemeinschaften erst in dem Moment werden, in dem sie eine explizite Ordnung für die Familienverhältnisse einer Gesellschaft festlegen müssen, weil aufgrund von Sesshaftigkeit und Bevölkerungszunahme ein genereller Ordnungsbedarf für das Zusammenleben entstanden ist, also seit der neolithischen
Revolution.
Soweit richtig.
Aber diese Gesellschaften haben zugleich einen Ordnungsbedarf, der über die Ordnung von Geschlechterbeziehungen hinausgeht und aus diesen nicht abgeleitet werden kann.
Diese weitergehende Ordnung wurde vielleicht nicht direkt aus der Geschlechterordnung abgeleitet, aber eben aus der Familienordnung. Stellen wir uns eine Stammesgesellschaft vor, die in Clans gegliedert ist und nun einen gemeinsamen Rat abhält: legitime Vertreter eines Clans sind hier nicht die Mütter und nicht die Knechte oder Haussklaven, sondern die Hausherren (und vielleicht die Söhne).
Was, wenn nun doch die Mutter zum Rat kommt und zwar nicht weil ihr Mann gerade Schnupfen hat, sondern weil sie eben „die Hosen an hat“? Nach deiner Theorie müssten nun die anderen Männer sagen: „Alles in Ordnung, kann uns ja egal sein, schließlich wird unsere gemeinsame Ordnung ja nicht aus der Geschlechterbeziehung abgeleitet. Also setz dich, nimm dir’n Keks.“
Und nach meiner Theorie sagen sie: „Nein, geehrte Frau, das geht nicht, nach den Regeln unseres Stammesrates beraten sich hier nur die Clanführer, also die Herren der führenden Häuser“.
Sprich: Es gibt hier eine über die Familie hinausgehende gesellschaftliche Ordnung, die regelt, wer rechtmäßiger Erbe, Vertreter, Vormund etc. ist und damit im direkten Zusammenhang stehend gibt es allgemeine Ehe- und Verhaltensregeln. Und da nun all diese gesellschaftlichen Regeln (typischerweise) patriarchal – im Sinne: durch den Patriarchalismus der Familien bestimmt – sind, ist diese Gesellschaft dementsprechend patriarchal. Wie sollte man diesen eben beschriebenen gesellschaftlichen Charakterzug sonst bezeichnen?
Du sagtest schon auf den sinngemäß gleichen Gedanken:
Nein. Dann ist dies nur eine Gesellschaft mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung
Nicht ganz. Es ist keine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern eine geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung. Und die Herrschaft (gr. arche) ist eben die Aufgabe des Herren, also des Hausvaters (gr. pater) und die Arbeit in der Hauswirtschaft(!) ist vor allem Aufgabe der Hausangestellten (inklusive Frauen). Und eben eine solche oder ähnliche Aufgabenverteilung heißt ja Patriarchalismus im soziologischen Sinne, nicht mehr und nicht weniger.
Das heißt nun nicht, dass die Hausangestellten keine Macht haben. Macht und Herrschaft sind zu trennen, aber das gehört nicht hierher.
Das ist das antike griechische Modell, das mir bekannt ist. Soweit ich weiß, lässt es sich auf andere vormoderne Gesellschaften/Familienordnungen übertragen. Natürlich mit gewissen Einschränkungen, wie z.B. bei der Grundherrschaft mit den Leibeigenen, die ihre eigenen Hausherren und gleichzeitig Angestellte des (patriarchalen/patrimonalen) Grundherren sind. Außerdem gibt es die Einschränkung, dass die patriarchale Ordnung im christlichen Europa schrittweise zerfällt, bzw. was mir besonders wichtig ist: dass sich in der Neuzeit auf den Staat überträgt (z.B. absolutistischer Staat, in dem alle männlichen Untertanen, als ‚Hausangestellte‘ des Königs zu betrachten sind). Siehe das Modell unten, das skizziert, wie die Gesellschaft ihren patriarchalen Charakter zugunsten anderer Ordnungsmuster verliert, die Menschen also mehr und mehr zu Untertanen oder Bürgern des Staates werden und keine hauseigene Herrschaft mehr ausüben (können) und das gesellschaftliche Privileg, ein Hausherr zu sein an Bedeutung verliert.
Ein mögliches Modell über den schrittweisen Rückgang des Patriarchalismus in der europäischen Zivilisation. Die Kurve hat natürlich einen relativ willkürlichen Verlauf. Als wichtigsten Wendepunkt würde ich die Industrialisierung sehen, da sich hier die hauseigene Wirtschaft zugunsten von Kaptialgesellschaften auflöst und die Proletarisierung einsetzt.
Es ist sicher verfehlt, auch bei unserer Gesellschaft noch von einer „patriarchalen“ zu reden (ich würde dies seit spätestens 1918 nicht mehr tun), denn dieses Merkmal ist heute zu schwach. Doch auch wenn die patriarchale Ordnung heute nicht mehr in gesetzlicher Form vorzufinden ist, meine ich, dass sie (wenn man ein Mikroskop nimmt) noch in Europa anzutreffen ist und zwar nicht nur z.B. bei kleinen patriarchal geführten türkischen Familienbetrieben, sondern auch in Traditionen wie der Weitergabe des männlichen Stammnamens (gibt’s das in Deutschland noch?), in diversen Subkulturen oder den Resten der geschlechtlichen bürgerlichen Rollenverteilung; wobei mir unklar ist, inwiefern diese noch durch Erziehung beeinflusst ist oder nur biologisch bedingt ist (durch die naturhaft engere Bindung der Frau an die Kinder und den naturhaft größeren Drang des Mannes „nach draußen“ und den Trieb, Frauen zu protegieren). Letztendlich geht sowieso beides, Natur und Kultur, ineinander über.
Im Nationalsozialismus ist – wie auch im radikalen Islamismus – der Rückgriff auf die Tradition ein ideologisches Feigenblatt, unter dem sich der Übergang zu modernen Sozialformen versteckt. Mit patriarchaler Herrschaft hat das jenseits des Vokabulars nichts mehr zu tun, es geht um das Finden von Legitimationsgründen für die totalitäre Herrschaft über eine moderne, industrielle Massengesellschaft
Ja das stimmt, deswegen meinte ich ja auch, dass der Führerstaat und der Nationalismus der „traditionellen Vorstellung eines Staates als Haushalt, der einen männlichen Hausvater hat“ folgt, bzw. davon beseelt ist; aber nicht, dass er es selbst ist. Die traditionelle patriarchale Familie hat für die moderne Autokratie eine Vorbildfunktion. Das kann man als propagandistisches „Feigenblatt“ bezeichnen, muss man aber nicht. Deswegen erwähnte ich in diesem Zusammenhang auch die Kirche. Denn sie ist nach einem ähnlichen Muster strukturiert. Das heißt, das Patriarchat der Familie wird hier wie dort auf eine pseudo-familiäre Ordnung projiziert und nimmt im Falle des modernen Nationalstaats sogar manchmal seine Struktur an. (z.B. das moderne Patriarchat der nordkoreanischen Staatsführung)
Und Thing und Vorstandssitzung in demselben Satz zu nennen, halte ich für unzulässig, gerade weil es den historischen, institutionellen Entwicklungs-unterschied zwischen Thing und Vorstand plattmacht. Thing und Vorstandssitzung finden nicht in demselben Typ von Gesellschaft statt, und sie über die Charakterisierung als Männergremium gleichzusetzen, ist exakt der feministische Taschenspielertrick, der keine anderen Kriterien als dieses gelten lassen will.
Da sowohl die germanische Stammesgesellschaft (Thing) als auch die Industriegesellschaft vor der „Emanzipation“ (Vorstandssitzung) das gemeinsame Merkmal patriarchaler Ordnung hatten; wenn auch mal mehr und mal weniger stark ausgeprägt, ist dieser Vergleich zulässig. Natürlich hat ein modernes kapitalistisches Unternehmen nur noch ansatzweise Ähnlichkeit mit einer traditionellen Hausgemeinschaft; aber es ist eben historisch genau daraus entstanden. Und es wäre naiv, anzunehmen, dass die patriarchale Aufgabenverteilung (siehe oben) nichts mit der heutigen Geschlechterrollenverteilung zu tun hat. Das verleitet Feministen dazu, Vorstandssitzungen als „Männerrunden“ abzukanzeln und über strukturelle Frauendiskriminierung zu sinnieren, weil es eben der herkömmlichen patriarchalen Wirtschaftsordnung ähnlich ist.
Die Entstehung der modernen Gesellschaft ist natürlich ein Prozess, in dem sich die Überreste des Ancien Régimes schrittweise und nicht ohne Rückschläge und restaurative Phasen auflösen. Aber nach der Französischen Revolution sind das nur noch zum Untergang verurteilte, ephemere Oberflächenstrukturen.
Dafür waren aber diese „ephemeren Oberflächenstrukturen“ nach 1789 aber noch erstaunliche ca. 150 Jahre haltbar. Und das in einer sich rasant verändernden Gesellschaft. Abgesehen davon ging es ja hier auch um die Zeit weit vor 1789. Außerdem siehe oben (Projektion des Patriarchats auf den modernen Staat). Abgesehen davon glaube ich nicht, dass der Patriarchalismus zum Untergang verurteilt ist.
Die Formulierung von der »dementsprechenden Prägung der Gesellschaft« ist genau die perspektivische Verzerrung, die uns der feministische Patriarchatsbegriff eingehandelt hat und die ich kritisiere. Dieses »gemeinsame Charaktermerkmal« ist eine optische Täuschung, weil es die gesamte sonstige historische Entwicklung, die sich währenddessen vollzieht, aus dem Blickfeld rückt.
Man vergleicht einfach nur unterschiedliche Gesellschaften und gibt ihnen ein gemeinsames Merkmal. Stell dir vor, A behauptet: „Krieg hat es immer und in unterschiedlichsten Gesellschaften gegeben und jede Gesellschaft war davon geprägt“ und B antwortet: „Das ist eine Verzerrung, die uns der Pazifismus (oder Militarismus) eingebrockt hat und durch die historische Entwicklungen aus dem Blickfeld geraten.“
Nichts soll hier aus dem Blickfeld geraten. Natürlich hat patriarchale Herrschaft ganz unterschiedliche Formen. Aber der Kern bleibt eben.
Patriarchat und Unterdrückung der Frau durch den Mann in der feministischen Ideologie
Damit befinde ich mich im direkten Gegensatz zu den feministischen Theorien, die an dieser Stelle die neuen Herrschaftsformen aus ihrem »Sündenfallmodell« der Männlichkeit hervorgehen lassen.
Ich auch. Aber ich meine, dass es eine Theorie vom Sündenfall und die beschriebene Psychologisierung des bösen Mannes eigentlich nicht braucht und die feministische Ideologie auch locker ohne auskommt (abgesehen davon würde ich einer Psychologisierung, die auf die Herrschaftlichkeit, der eigentlichen Bedeutung von „Herrlichkeit“, der männlichen Natur abzielt, nicht im Wege stehen). Die, wie ich aber meine, weiter verbreitete feministische Sicht ist diese, dass „das Patriarchat“ (was auch immer es gerade ist) halt irgendwann mal entstanden ist (warum, ist egal), nun noch resteweise besteht und „abgeschafft“ werden muss. Sündenfall und Psychologisierung ist nicht der zentrale feministische Denkfehler, sondern nur eine zweifelhafte historische Herleitung des realen Patriarchalismus. Der zentrale Denkfehler ist für mich stattdessen der feministische Begriff, wie du es schon sagst:
In der […] feministischen Perspektive repräsentiert der Mann das Gesamtsystem.
Und genau das wird dann als „Patriarchat“ bezeichnet und „patriarchal“ bezeichnet dann nur männlich geprägte Strukturen oder was Feministen dafür halten.
Der Begriff schränkt den Blickwinkel monoman auf die Wahrnehmung von »Frauenunterdrückung« ein und verstellt zudem den Blick auf die Zivilisationsgeschichte als einer Sukzession von mal mehr, mal weniger konstruktiven und erfolgreichen Lösungsversuchen für das im Neolithikum entstandene soziale Komplexitätsproblem, die am Ende unter anderem auch die Voraussetzungen für die Frauenemanzipationsbewegung selbst hervorbringen.
Und da eben „der Mann“, (vor allem der ganz besonders gefährliche „weiße heterosexuelle“), immernoch wesentliche ökonomische und politische Schlüsselpositionen der Gesellschaft mehrheitlich besetzt, obwohl Regierung und Medien „Geschlechtergleichheit“ ausrufen, muss er aus feministischer Perspektive immer noch als „Stellvertreter der gesellschaftlichen Verhältnisse“ herhalten.
Wenn ich nun vom Patriarchat oder Patriarchalismus rede, rede ich nicht von einem Patriarchat als Gesamtsystem (im Sinne: „Unsere Gesellschaft ist ein Patriarchat“) und auch nicht von einer Geschlechterordnung, die zwischen dem Mann und der Frau an sich besteht, sondern von einem Merkmal der traditionellen Familienordnung, das sich mal mehr und mal weniger auf die gesamte Gesellschaft auswirkt.
Ich rede ferner nicht allgemein von Frauenunterdrückung, sondern von einem familiären oder pseudofamiliären (Kirche, Staat, Unternehmen) Herrschaftsverhältnis oder in sehr abgeschwächter Form von einer Rollenverteilung. Über die Legitimität oder moralische Bewertung einer patriarchalen Ordnung mache ich übrigens gar keine Aussage.
Liebe und Gleichrangigkeit
Solche Konstellationen unter Randbedingungen, die »eigentlich« ein
Inbegriff »patriarchaler Verhältnisse« sind, wären prinzipiell undenkbar, wenn die
Kommunikationsbeziehungen intimer Vertrautheit zwischen den Geschlechtern nicht grundsätzlich auf Gleichrangigkeit ausgelegt wären. […] ‚Immer haben die Geschlechter sich verbunden, immer hat es Liebe zwischen Mann und Frau gegeben‘.
Ich weiß leider nicht, was du damit zum Ausdruck bringen willst. Seit wann sind intime Verhältnisse zwischen den Geschlechtern grundsätzlich auf Gleichrangigkeit ausgelegt? Sind Liebesbeziehungen nicht regelmäßig durch Hierarchie geprägt?
Meinst du, dass, wenn es eine intime Beziehung zwischen Mann und Frau gibt, auch automatisch eine Gleichrangigkeit hergestellt wird und es eine patriarchale Hierarchie in der Familie daher eigentlich nicht geben kann?
Vielleicht ist Rang hier der falsche Begriff und du meinst eher Wert. Wert legt aber nicht notwendigerweise den Rang fest. Und Liebe kennt nur subjektiven Wert aber keinen objektiven.
Mit dem nachstehenden Blogpost möchte ich auf die von Forent und Mit-Blogger Jonas formulierten Einwände gegen meine Zurückweisung des Patriarchatsbegriffs im voranstehenden Blogpost antworten. Ich steige direkt in die Argumentation ein und schicke nur eine Bemerkung vorweg: wenn ich von Macht und Herrschaft rede, lege ich die Weberschen Definitionen zugrunde, weil sie minimalistisch genug sind, um universell angewendet zu werden: Macht ist die Chance, seinen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, Herrschaft ist die Chance, für einen Befehl Gehorsam zu finden, legitime Herrschaft ist der Glaube der Herrschaftsunterworfenen an die Rechtmäßigkeit der Herrschaft.
Ein Kommentar zu Bernd Ulrichs Artikel »Mann irrt« in der ZEIT.
Das Hauptproblem am Begriff des »Patriarchats« ist, dass jeder ihn benutzt, aber niemand ihn definiert. Rebecca Solnit verwendet ihn, Laurie Penny verwendet ihn, mit der größten Selbstverständlichkeit und Lautstärke verwendet ihn Patricia Hecht in der taz, um Jens Jessen damit argumentfrei abzuschießen. Auch an der Wahl Donald Trumps war, einem Panel des »Guardian« zufolge, das »Patriarchat« schuld: Robin Morgan, Moderatorin der Radiosendung »Women’s Media Center Live«, gab sich dort überzeugt: »A diseased patriarchy is in a battle to the death with women.« Für Arwa Mahdawi, einer Marketing-Strategin, war Trumps Sieg »the last gasp of a desperate white patriarchy«. Suzanne Moore, eine Kolumnistin des »Guardian«, war überzeugt: »The patriarchy is fully restored.« Und die Beispiele für eine solche ebenso plakative wie unscharfe Verwendung des Begriffs lassen sich nahezu beliebig vermehren. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Begriff in den Medien verwendet wird, suggeriert: es sei fraglos klar, was damit gemeint ist, die Tatbestände, die damit behauptet werden, seien über jeden Zweifel erhaben Teil unserer Realität. Und nun verwendet auch Bernd Ulrich den Begriff, prominent im Untertitel seines Artikels, um seinen Argumenten gegen Jens Jessen Kontext und historische Tiefe zu verleihen:
»Macht es uns nicht freier, ist es nicht erwachsener und auch weniger stressig, freiwillig in die Verantwortung für das Patriarchat einzutreten, als ständig alle Vorhaltungen zurückzuweisen und zu schreien: ›Ich war’s nicht, Weinstein ist es gewesen!‹?« (DIE ZEIT 16, 2018, S. 60)
In diesem Blogpost präsentiere ich ein weit ausholendes historisches Argument zum Thema »Historische Voraussetzungen des Feminismus«. Es ist darum ausholend und auch etwas umständlich, weil es ein Fragment einer »deep history« der okzidentalen, also abendländischen, Gesellschaften seit der Antike ist. Es verlängert die kritische Frage, inwieweit die moderne Frauenbewegung eigentlich über ihre eigenen historischen Voraussetzungen Bescheid weiß, über den Angelpunkt der Aufklärung hinaus in die Vergangenheit des europäischen Mittelalters und dessen antike Voraussetzungen. Meine anhand der genannten historischen Literatur gewonnene Kernthese lautet, dass es nicht nur der Eintritt in moderne gesellschaftliche Verhältnisse mit den technologischen und medizinischen Befreiungseffekten war, der die Entstehung einer eigenständigen Frauenemanzipationsbewegung ermöglicht hat, sondern zudem die bis auf antike Voraussetzungen zurückgehende »westliche Familienform« – also genau jene Form der Familie, die in der feministischen Überlieferung als perfides patriarchales Herrschaftsinstrument denunziert wird. Tatsächlich hat diese Familienform jedoch welthistorisch präzedenzlose Befreiungseffekte gehabt, ohne die die moderne individualistische bürgerliche Gesellschaft einschließlich ihrer vergleichsweise liberalen Geschlechterbeziehungen nicht möglich gewesen wäre.