Als erste große deutsche Zeitung, hat ausgerechnet die relativ feministische ZEIT sich die Ehre gegeben, dem äußerst einflussreichen politisch-unkorrekten kanadischen Denker Jordan B. Peterson ein Interview (Paywall) zu geben. Das Interview wird in der Schweiz stattgefunden haben, wo Peterson gerade auf Tour ist. Das Interview ist fair, ausführlich (5 Seiten) und mit gebotener Seriösität und kritischer Distanz. Auf einen Teaser und eine Einleitung, die Peterson erst einmal ins falsche Licht rücken sollen, wurde natürlich trotzdem nicht verzichtet:
„Junge Männer haben gar nichts“
Der kanadische Bestsellerautor Jordan B. Peterson ist der globale Star einer neuen Männlichkeitsbewegung. Er hält das Patriarchat für naturgegeben.
Die Überschrift soll wohl suggerieren, Peterson meine, dass junge Männer total arm dran und ausgebeutet sind, während Frauen alles hätten. Dergleichen will Peterson mit diesem Satz aber nicht zum Ausdruck bringen, sondern etwas völlig anders, was ohne Zusammenhang unverständlich ist. Ich werde unten darauf eingehen. Weiter heißt es, Peterson sei „Star einer neuen Männlichkeitsbewegung“, was dann in den Zusammenhang mit „dem Patriarchat“ gestellt wird. Das ist wörtlich nicht falsch, doch die ZEIT hantiert hier mit Begriffen, die ohne Kontext irreführend sind. Dieser Teaser mit seinen Schlagworten dient in erster Linie dazu, Peterson als einen Geschlechterkrieger vorzustellen, was jedoch eine grobe Verzerrung seines Werkes darstellt. Doch auch dazu unten mehr. Zunächst zum Einleitungstext:
Jordan B. Peterson gilt manchen als „einflussreichster Intellektueller der westlichen Welt“ („New York Times“). Sein Buch „12 Rules for Life“, das einfache Regeln für ein gelungenes Leben herleitet, wurde weltweit mehr als zweieinhalb Millionen Mal verkauft. Petersons YouTube-Kanal hat 1,8 Millionen Abonnenten, auf Twitter folgt ihm eine Million, auf einer Art Welttournee sprach er bereits vor mehr als 250.000 Menschen. Manche seiner meist männlichen Verehrer nennen sich „Hummer“, weil Peterson deren archaisches Dominanzverhalten als Beispiel für die patriarchalische menschliche Gesellschaft dient. Sein 20 Jahre altes, verrätseltes Hauptwerk über das Entstehen von Mythen und Glaubenssystemen [ZEIT meint: Maps of Meaning] fand kaum 500 Käufer – jetzt, im Zuge seines plötzlichen Erfolgs, ist es auf Deutsch erschienen („Warum wir denken, was wir denken“, mvg Verlag). Das späte zweite Leben des 56-Jährigen begann erst vor wenigen Jahren mit seinem öffentlichen Kampf gegen Political Correctness und mit teils irritierenden Thesen zum Verhältnis der Geschlechter. Für Empörung sorgte etwa sein Tweet, man werde für die Frage gekreuzigt, ob Feministinnen den Islam deshalb nicht kritisierten, weil sie sich unbewusst nach männlicher Dominanz sehnten. […]
In dieser Zusammenfassung ist immerhin nichts inhaltlich falsch; doch entscheidende Informationen fehlen hier in so auffälliger Weise, dass ich böse Absicht vermute: Peterson ist ordentlicher Professor der Toronto University und in erster Linie ist er nicht Feminismuskritiker oder überhaupt politischer Denker, sondern akademischer und klinischer Psychologe! Er beschäftigt sich mit Religion, Bibel, Literatur, Evolutionsbiologie, Ethik und Gesellschaft aus psychologischer (jungianischer) Perspektive und nur nebenbei kommt es vor, dass er die letzten Wasserstandsmeldungen zum Geschlechterkampf kommentiert. Es ist ein grundsätzliches Problem der (deutschen) Medien, dass Peterson als Wissenschaftler nicht ernst genommen wird und in erster Linie als eine Art politischer Provokateur wahrgenommen (und verunglimpft) wird, wie der nächste Satz bezeugt:
Heute ist er ein Star der Maskulinisten, die die Männlichkeit gegen die Anfeindungen des Feminismus verteidigen – und der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung. […]
Ah ja. Was die ZEIT unter „Maskulinisten“ versteht und wie viele Jahre Höllenfeuer es laut der Redaktion nach sich zieht, wenn man Männlichkeit gegen den Feminismus verteidigt, kann man sich gut vorstellen, wenn Peterson im selben Satz erst einmal mit dem Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wird. Vorsicht Kinder, das ist Bäh! Jeremy-Pascal, nimm sofort den Atommüll aus dem Mund!! Ob es diverse Rechtsextreme gibt, die Peterson etwas abgewinnen können, ist nicht von Interesse. Seine Zielgruppe sind sie jedenfalls nicht. Seine politische Grundhaltung ist liberal-konservativ. In seinen Vorträgen geht er regelmäßig auf die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts ein und sucht z.B. nach gemeinsamen Ursachen von Kommunismus und Faschismus. Im Interview selbst behauptet die ZEIT noch einmal, dass sein Publikum rechtsextrem ist, was Peterson zurückweist.
Aber halten wir uns nicht länger mit dem manipulativen „linksextremen“ Vorgeplänkel auf. Ich werde im folgenden wichtige Teile des langen Interviews passagenweise zitieren, ggf. zusammenfassen, analysieren und kommentieren:
Gleichstellungsfrage
Das erste Thema ist natürlich – wie könnte es anders sein – die ökonomische Ungleichheit von Mann und Frau. Peterson rattert routiniert herunter, was er zu Gender Pay Gap und Gender Mainstreaming zu sagen hat. Chancengleichheit ist nicht gleich Ergebnisgleichheit, weibliche Präferenz zur Kinderbetreuung und Pflege, männliche Präferenz zur Karriere und hoch bezahlten Berufen, etc… altbekannte Dinge halt, die jeder halbwegs belesene Feminismuskritiker so oder so ähnlich erklären würde und für die man eigentlich kein Interview mit Peterson machen müsste. Die ZEIT und die bürgerlich-feministische Leserschaft lassen sich das alles aber vorsichtshalber noch einmal durchkauen, um die Tatsache, dass freie Frauen eher keine Männerrolle einnehmen wollen, ganz langsam und allmählich zu verdauen. Wahrscheinlich hätte die ZEIT auch ein Interview mit Albert Einstein gemacht, um sich noch einmal erklären zu lassen, wie man eine Glühbirne … aber lassen wir das.
Dann geht Peterson kurz auf seine bedeutende Theorie von „agreeableness“ und „non-agreeableness“ ein und führt diese beiden gegensätzlichen Charaktermerkmale als Faktor für die durchschnittlich niedrigere Bezahlung von Frauen ein:
[…] Frauen sind auch konfliktscheu. Und konfliktscheue, verträgliche [„agreeable“] Menschen verdienen weniger, weil sie für sich selbst nicht so gut verhandeln.
Agreeable und non-agreeable bzw. disagreeable sagen aus, inwiefern Menschen bereit sind, Widerspruch zu leisten und ich gehe davon aus, dass er diese Begriffe im englischen Original benutzt hat. Peterson erklärt in seinen Vorträgen regelmäßig, dass agreeableness eine tendenziell weibliche Eigenschaft ist und non-agreeableness tendenziell männlich. Dies wirkt sich natürlich (unter anderem) auf den Lohnanspruch aus. Ich persönlich würde allerdings nicht sagen, dass Frauen „nicht so gut verhandeln“, sondern ich würde eher meinen, dass sie eine andere Zielsetzung haben. Sie haben ganz einfach nicht den eigenen Anspruch, möglichst viel bei einer Gehaltsverhandlung heraus zu holen, weil dies ihren sozialen Status nicht erhöht. Bei der Frage, welche Chancen Peterson dem umgekehrten Ernährermodell (Karrierefrau, Hausmann) einräumt, kommt er auf die Frage des sozialen status selbst zu sprechen:
Peterson: Ich glaube nicht, dass das funktioniert, insbesondere weil Frauen den niedrigeren Status ihrer Männer nicht tolerieren können, der damit verbunden ist.
Dies ist natürlich eine Verallgemeinerung, was die ZEIT auch prompt bemängelt. Doch diese Verallgemeinerung ist als soziologisches Modell aufzufassen und nicht als Aussage über Einzelfälle. Des weiteren sollte man bei Peterson beachten, dass er in der Regel als Psychologe über unterbewusstes Handeln spricht. Wenn er also davon redet, dass Frauen von Männern Status und Geld verlangen, dann meint er nicht unbedingt, dass sie das bewusst tun.
Männlichkeitskrise und Sexualität
Peterson soll zum Incel-Terroristen von Toronto Stellung nehmen, den er angeblich in Schutz genommen haben soll. Peterson weist das zurück und erklärt stattdessen, dass er nur versucht habe, die psychischen Beweggründe des Täters nach zu vollziehen:
Nur die Zugehörigkeit zu einer schwachsinnigen Organisation ist keine Erklärung. Ich habe gesagt, dass der junge Mann böse auf Gott war, weil die Frauen ihn zurückgewiesen hatten. […]
Um das Thema „böse auf Gott“ wird es später noch ausführlicher gehen.
ZEIT: Sie haben aber auch gesagt, dass „erzwungene Monogamie“ für [Incels] eine Lösung wäre. Das ist verstörend.
Peterson: Das ist in erster Linie ein anthropologischer Fachbegriff und bezeichnet die sozialen Normen, die langfristige monogame Beziehungen fördern. Es gibt eine starke Neigung vieler Kulturen zu erzwungener Monogamie, auch Gesetze können dies begünstigen. Ein Grund dafür ist, dass polyamore Kulturen extrem gewalttätig werden. Jeder weiß das.
Petersons Ausführungen sind hier recht plump. Soweit ich weiß, ist er der Meinung, dass eine monogame gesellschaftliche Ordnung sicher stellt, dass kein Mann zu kurz kommt und daher nicht aggressiv wird. Das mag schon sein, doch was das nun mit den Incels zu tun haben soll, bleibt schleierhaft. Dass „jeder weiß“, dass „polyamore Kulturen extrem gewalttätig werden“ ist mir neu. Die Tyranneien des 19. und 20. Jahrhunderts waren jedenfalls nicht „polyamor“ und die Gewalttätigkeit in der modernen islamischen Gesellschaft, auf die Peterson hier möglicherweise anspielt, hat mit Polyamorie nichts zu tun. Sehr schwacher Teil, doch es folgt ein stärkerer:
ZEIT: Was läuft falsch bei jungen Männern? Sie reden oft über deren Probleme.
Peterson: Das, was immer falsch lief. Warum sind sie für eine vernünftige Frau nicht attraktiv? Junge Männer haben gar nichts, keine Begabung, keine Fähigkeiten, keine Erfahrung. Sie haben Jugend und Potenzial, das ist schon was, aber …
ZEIT: Das gilt genauso auch für junge Frauen, oder?
Peterson: Keineswegs. Junge Frauen sind schön und attraktiv.
ZEIT: Junge Männer nicht?
Peterson: Das ist nicht dasselbe.
ZEIT: Warum?
Peterson: Weil Männer keine Babys haben.
ZEIT: Wie meinen Sie das?
Peterson: Männer und Frauen wählen einander auf unterschiedliche Weise. Eine wichtige Eigenschaft für die Paarungsattraktivität ist die Jugend von Frauen. Sie ist für Männer in Bezug auf Frauen viel wichtiger als umgekehrt – das gilt für alle Kulturen, denn Jugend bei Frauen wird mit Fruchtbarkeit assoziiert. Nicht bei Männern, jedenfalls kaum. Männer und Frauen wählen einander nach Intelligenz, Humor, physischer Attraktivität aus – aber es gibt eben Unterschiede.
ZEIT: Und die jungen Männer?
Peterson: Sie haben sich noch nicht etabliert, also sind viele von ihnen nicht besonders attraktiv. Frauen auf Datingsites bewerten 85 Prozent der Männer unterdurchschnittlich, bei Männern ist es fifty-fifty.
Das ist übrigens der Zusammenhang, aus dem die ZEIT die Artikelüberschrift gerissen hat. Ich denke, inhaltlich ist dem nichts weiter hinzuzufügen. Peterson führt dann weiter aus, dass sich diese Situation heute durch Digitalisierung, Pornofizierung und den „Kollaps traditioneller Heiratsstrukturen“ verschärft hat, doch dieser Teil ist dann leider wieder ziemlich vage gehalten. Er will darauf hinaus, dass die Krise junger Männer durch die traditionelle Ehe überwunden werden kann und casual sex mit Vorsicht zu genießen ist.
Außergewöhnlich interessant dabei ist, dass Sexualmoral auf dem ersten Blick etwas für Konservative, für Traditionalisten wie mich zu sein scheint. Aber gerade die radikale Linke hat einen Knoten in der Unterhose wegen der sexuellen Übergriffe. Die #MeToo-Bewegung ist überall. In 20 amerikanischen Staaten haben wir Gesetze, die die ausdrückliche Zustimmung zu Sex regeln, und es gibt sexuelle Verhaltensregeln an den Universitäten, nach denen Sie jeden kleinen Schritt in einer intimen Beziehung vorher mündlich verhandeln müssen. Das gute alte sexuelle Tabu, das wir glaubten, los zu sein, manifestiert sich bei der radikalen Linken noch stärker, und das heißt doch was.
Ja sehr richtig, das heißt sehr wohl etwas. Doch was, lässt Peterson dabei leider offen, weswegen ich hier mal eine Interpretation dieses Befundes wage: Die zeitgenössische feministische Prüderie, dieser neue Viktorianismus, entspringt in einer Verdrängung der tabuisierten („sexistischen“) erotischen Wünsche und einer Projektion dieser auf die „toxische Männlichkeit“. Diese Projektion, diese Beschämung des Gegenübers, ist für die gut-bürgerliche akademische mehr oder weniger feministische junge Generation die einzige Möglichkeit der Offenbarung des eigenen hochpeinlichen natürlichen Trieblebens (neben der Pornographie versteht sich). Gerade bei Metoo und im feministischen Sexualstrafrecht offenbart sich in diesem Sinne der starke Wunsch nach sexueller patriarchaler Unterwerfung. Die Feministinnen von heute sind zumindest von dominanter Männlichkeit offensichtlich völlig fasziniert, so viel steht fest. Man erkennt es ja schon an dem verklemmten Verhältnis des Feminismus zum Islam, das Peterson ja schon süffisant kommentiert hat (siehe oben). Und damit kommen wir zum nächsten Thema: Dem „Patriarchat“, das Jordan Peterson, ja für naturgegeben halten soll, wie die ZEIT im Teaser schon vorlaut heraus prusten musste. Doch was genau heißt das?
Chaos und order
Peterson: […] Soziale Hierarchien repräsentieren Ordnung – und sie sind männlich. […] Die Gesellschaft ist ein Patriarchat – das bedeutet, sie ist männlich dominiert. Das genau ist mein Punkt, es ist eine natürliche Kategorie. Die andere Frage ist: Warum steht das Weibliche für Chaos? Zunächst: Irgendetwas muss Chaos sein, denn das ist der Gegenspieler von Ordnung. Da ist aber noch mehr, denn das Weibliche ist die Natur, Mutter Natur – ein Prozess, der Reproduktion organisiert. Während menschliche Weibchen sexuell selektiv sind, sind sie die Natur. Das ist nicht nur symbolisch. Natur ist, was auswählt, das ist die darwinistische Definition. Und das sind die Frauen. […]
Um das zu verstehen, ist zunächst eine Erläuterung zu Petersons Grundbegriffen von chaos und order von Nöten. Chaos ist zunächst nichts böses oder schlechtes, sondern die unberührte Natur, die jenseits von Gut und Böse ist. Diese assoziiert Peterson mit dem weiblichen Prinzip, wie er es in dem Abschnitt erklärt. Order (also Ordnung) ist das schöpferische männliche Prinzip – die menschliche (oder auch göttliche) Ordnung. Weiblich und männlich sind hier zunächst als Symbolisierungen zu verstehen. Diese Konzepte hat sich Peterson nicht selbst ausgedacht, sondern sie aus seinen Studien zu Mythen, Bibel, Brauchtum und der analytischen Psychologie Carl Jungs entnommen bzw. abgeleitet. Sie bezeichnen, um es noch einmal zu betonen, ein Phänomen des Unterbewusstseins. Auf die konkrete menschliche (Geschlechter-)Ordnung sind diese Prinzipien nur bedingt anzuwenden. Diesbezüglich sagte Peterson einmal den netten Satz: „Männer testen Ideen, Frauen testen Männer“. Peterson erteilt allerdings einer patriarchalen sozialen Ordnung eine klare Absage (leider ohne dies zu begründen). „Das Patriarchat“, das Peterson für naturgegeben hält, wie uns die ZEIT am Anfang weismachen wollte, ist also nicht das fiese Weinstein-Hitler-Unterdrücker-Patriarchat aus der lüsternen feministischen Fieberfantasie, sondern er redet über den psychologischen Vaterarchetypus aus der analytischen Psychologie von Jung, bzw. – wie ich persönlich es nenne – das Patriarchat der Seele. Und dieses Patriarchat existiert heute wie vor 10000 Jahren. Es ist nun mal naturgegeben. Unterdrückung ist es, es zu verleugnen. Wenn Peterson nun sagt „Die Gesellschaft ist ein Patriarchat“, meint er, dass der Ursprung jeder gesellschaftlichen Ordnung dem Vaterarchetypus entspringt, wodurch jede Rebellion gegen die Ordnung eine Rebellion gegen den psychologischen Vater ist, wie im folgenden vielleicht deutlicher wird:
Peterson: Betrachten wir die symbolische Repräsentation – sagen wir Ordnung-Männlichkeit. Sie teilt sich in zwei gleich mächtige archetypische Unterkategorien, eine ist positiv, die andere negativ. Die positive ist der weise König, die negative der Tyrann. Der Tyrann allein, glauben die Radikalen, sei unsere Kultur. Aber das ist nicht nur so – man kann es fälschlicherweise so sehen, weil jede Kultur auch ein Monster ist. Die menschliche Geschichte ist vom ersten Tag an von Blut und Katastrophen gezeichnet. Jede soziale Struktur bringt auch Schreckliches hervor. Aber man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Radikalen kritisieren das Patriarchat nur für seine blutige und brutale Seite.
Peterson als PC-Gegner
Machen wir weiter mit etwas weniger abstrakten Themen. Wie ich ja schon angemerkt habe, krankt die mediale Peterson-Rezeption daran, ihn in erster Linie als einen politischen Provokateur o.ä. wahrzunehmen. Wenn man sich die vorangegangenen Passagen anschaut, ist das allerdings nicht verwunderlich. Seine Thesen sind unvermeidbar politisch, eben weil sie politisch-unkorrekt sind.
Peterson: […] Es ist kompliziert, weil ich vor einigen Jahren in diese politische Debatte verwickelt wurde, worüber ich nicht sehr glücklich bin, aber …
ZEIT: Sind Sie nicht?
Peterson: Nein, überhaupt nicht! Ich finde das sehr anstrengend. Die Politiker in Kanada haben damit begonnen, Dinge zu beeinflussen, in die sie sich verdammt noch mal besser nicht eingemischt hätten.
ZEIT: Sie meinen die Sprache?
Peterson: Die Regulierung der öffentlichen Rede – das ist ein großer Fehler. Ich fand das nicht akzeptabel, aber ich bin nicht erfreut, in diesen hitzigen Streit hineingezogen worden zu sein.
Und weiter unten:
ZEIT: Macht es Ihnen nicht auch große Freude, diese ganzen Linken zu provozieren?
Peterson: Nein. Nein. Es klingt abgefahren, aber ich genieße das nicht. Ich bin eher konfliktscheu. Die Folgen davon, diese Konflikte nicht auszutragen, schrecken mich aber noch mehr. Als klinischer Psychologe weiß ich, was es bedeutet, Probleme ungelöst zu lassen.
Und im weiteren Verlauf:
Eine Reihe von wissenschaftlichen Artikeln erscheint demnächst im American Psychologist, der Flaggschiffpublikation meiner Zunft, die hervorheben, was gegen Mikroagression unternommen werden muss. […]
… was aus seiner Sicht auf das Verbot von Sarkasmus, wütenden Äußerungen und Witzen hinauslaufen wird. An anderer Stelle betont er eindringlich die Wichtigkeit der freien Rede und des freien Denkens an den Universitäten, deren Grenzen Peterson ja selber regelmäßig aufgezeigt bekommt.
Peterson als Person
ZEIT: In Ihrem ersten Buch schreiben Sie, den archetypischen Helden charakterisiere „die Weigerung, Bedeutung für Sicherheit zu opfern“. Sind Sie das?
Peterson: Ja, definitiv.
ZEIT: Sie sind also ein Held?
Peterson: Das ist ein Ideal.
…
[…] Schon vor langer Zeit habe ich einen Entschluss gefasst: Ich berechne nicht die Konsequenzen dessen, was ich sage. Ich sage, was ich denke. Das ist ein ganz anderer Seinszustand. Ein fundamentales Element des Glaubens an die Macht der Wahrheit ist, dass man nicht plant. Wie bei diesem Interview. Ich bin nicht hier hereingekommen und habe gedacht: „Das will ich erreichen.“ Sondern: „Sie werden mir Fragen stellen, und ich werde Ihnen so gut antworten, wie ich nur kann.“
Diese Grundeinstellung ist meiner Meinung nach der wesentliche Grund dafür, dass er so souverän wirkt und nicht wie ein Funktionär, der sein Programm abarbeitet. Bei seinen Vorträgen hat er meist nur einen groben roten Faden, meistens schweift er lange ab und lässt sich von seinen Gedanken treiben, ohne sie groß zu steuern. Er verlässt sich in gewisser Weise darauf, von einer höheren Weisheit als der bewussten eigenen gelenkt zu werden. Bzw. wie er es formuliert:
Das Problem mit der Planung ist, dass man bestenfalls das bekommt, was man will. Sie bekommen nie das, was besser ist als das, was Sie wollen. […]
Dies lässt Petersons Vorträge zu etwas außergewöhnlichen werden, was ihn zusammen mit seinen Ratschlägen und Ermahnungen an sein Publikum bisweilen wie einen Prediger wirken lässt.
ZEIT: Und doch wirkt es, wenn man die Verehrung der Menschen sieht, als seien Sie auf dem Weg, eine Art Glaubensführer zu werden.
Peterson: Religiöse Annahmen liegen dem Weltbild aller Menschen zugrunde.
Der Begriff „religiös“, den Peterson hier verwendet ist unpräzise. Gemeint ist das archetypische Unterbewusstsein. Leider antwortet er nicht direkt auf die Frage, die darauf anspielt, dass er vielen Menschen Hoffnung, (männliches) Selbstbewusstsein und vor allem Orientierung gibt. Petersons Hauptfeind ist nämlich nicht die PC oder der Marxismus oder dergleichen, sondern eigentlich der Nihilismus, den er als Rebellion gegen Gott auffasst. Einer seiner wichtigsten Referenzen ist Friedrich Nietzsche, der bekanntlich formuliert hat, dass der moderne Mensch „Gott getötet“ hat und der sich nun den Kopf darüber zerbrach, wie diese Verbindung wieder hergestellt werden kann. Carl Jung hat Nietzsches Werk weitergeführt, indem er Gott in der menschlichen Psyche wiederfand, wenn man so will. Peterson wiederum ist, wie schon mehrfach dargestellt, in erster Linie Jungianer. Ein religiöser Führer ist er damit nicht, weil Peterson kein religiöses Dogma und keine konkrete Gottesvorstellung vermittelt und auf dem Boden der Naturwissenschaft bleibt. Auch wenn er getauft ist, ist sein Weltbild konfessionslos, aber keineswegs atheistisch und auch nicht wirklich agnostisch. Petersons Verständnis von Gott psychologisch und greift auch hin und wieder in die Mystik hinein. Seine Vorträge können daher wie Predigten wirken und sind durchaus auch dazu gedacht den Glauben an Gott, bzw. wie Peterson es häufig nennt „das Göttliche“ zu stärken bzw. zu entdecken.
[…] Ich spreche zu den Menschen über die Schwierigkeiten ihres Lebens und darüber, dass diese unvermeidbar sind. Die Vorträge sind sehr dunkel. Aber je mehr sich die Menschen den dunklen Dingen stellen, desto besser können sie sich vorstellen, sie zu überwinden. Es gibt keinen radikalen Optimismus ohne vorherigen radikalen Pessimismus. Die gesamte psychologische Literatur über die erfolgreiche Behandlung psychischer Störungen basiert auf dieser Idee.
Mit viel Leidenschaft und Energie redet Peterson in seinen Vorträgen über die Massenmorde des 20. Jahrhunderts, Psychopathen und die Hölle auf Erden, die man erfährt, wenn man sein Leben nicht in den Griff bekommt. „Catastrophy“, „pathologic“, „bitter and resentful“, „literally hell“ und weitere sind Worte die jeder auswendig mitsprechen kann, der sich ein paar der Vorträge angeschaut hat. Die hellen und schönen Seiten der Welt bzw. der Psyche, die Liebe, das Paradies, die Ausschweifung kommen dagegen eher kurz.
ZEIT: Haben Sie jemals nachts wachgelegen und sich gefragt, ob Sie die Büchse der Pandora geöffnet haben?
Peterson: Jede einzelne Nacht. Und das meine ich todernst.
Peterson ist ein eher düsterer Typ, der in tiefe menschliche Abgründe geschaut hat, aber eben daraus seine Weisheit bezieht. Er gibt gelegentlich ein Carl-Jung-Zitat zum besten, dass auch in diesen Zusammenhang passt: „Die meisten Menschen finden Gott nicht, weil sie nicht tief genug suchen.“
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