Der Sommer ist da, die Badestrände füllen sich. Sittliche Bedenken haben Hitzefrei und die bürgerlichen Damen holen ihre Hotpants und bauchfreien Spaghetti-Tops heraus. Denn schließlich ist es etwas völlig normales und überhaupt nichts irgendwie anstößiges, halbnackt in der Uni, im Büro oder in der Schule zu erscheinen. Bekanntermaßen kleiden sich Frauen nämlich nur deswegen freizügig, weil ihnen doch sonst so heiß wäre und weil es ihnen halt irgendwie selbst so gefällt. Maximal tun sie es noch aus Gruppenzwang heraus. Keineswegs aber wollen Frauen dadurch ihre sexuellen Reize und ihre Verfügbarkeit öffentlich zur Schau stellen und Männer herausfordern. Das muss allen klar sein! Aber gewisse Männerschweine verstehen das natürlich mal wieder alles völlig falsch. Und nun haben im Nachbarland Frankreich diese Agenten des Patriarchats gnadenlos zugeschlagen. Eine neue „Sexismus“-Sau wird durch Twitter und die Medien gejagt. Die „Berliner Zeitung“ berichtet:
Den Startschuss gab die Nutzerin „célineb“: Sie veröffentlichte auf Twitter ein Foto ihres Ausschnitts mit dem Text „Nach Angaben eines Typen, dem ich gerade begegnet bin, ist das hier das ‚Dekolleté einer dreckigen Hure’“
[…]
Kurz danach rief die Kolumnistin des französischen Radiosenders RMC, Zohra Bitan, alle Frauen dazu auf, „wegen der Hitzewelle und im Widerstand gegen die Kleiderpolizei“ Dekolleté-Fotos von sich zu posten. Dazu veröffentlichte die 55-Jährige ein Foto mit den Schlagworten „Liberté, Egalité, Décolleté“ (Freiheit, Gleichheit, Dekolleté).
Hier der Tweet mit dem es den Anfang nahm:
So nahm der große Busenspaß seinen Lauf. Unter #JeKiffeMonDecollete („ich liebe meinen Ausschnitt“) posten seit einigen Tagen tausende Französinnen Bilder ihres Dekolletés. Aus irgendeinem Tweet, über irgendeine mutmaßliche Beleidigung, die sich irgendwo in dem Millionenland abgespielt haben soll, lanciert eine eifrige Medienmacherin einen Hashtag gegen eine angebliche „Kleiderpolizei“. Zohra Bitan ist kurz darauf auch im französischen Fernsehen. Die FAZ redet ihr das Wort und gibt Auskunft darüber, wie ernst die Lage auf Europas Straßen ist:
Trägt eine Frau einen kurzen Rock oder ein knappes Top auf der Straße, kommen Reaktionen oft automatisch: Von Beschimpfungen über Maßregelungen bis hin zu unangemessenen Anmachsprüchen – viele Frauen erleben all das.
Ich bin kein Franzose, bin mir aber relativ sicher, dass es eine solche Kleiderpolizei nicht gibt und solche Beleidigungen Ausnahmen darstellen. Aus Deutschland kenne ich dergleichen jedenfalls nicht. Anders könnte dies sein, wenn leicht bekleidete Frauen in muslimisch geprägten Vierteln unterwegs sind, doch darum geht es bei dem Hashtag natürlich nicht.
Oder müssen sich Frauen in der westlichen Gesellschaft tatsächlich regelmäßig anhören, sie seien zu leicht bekleidet? Ich lasse mich gern davon überzeugen, wenn jemand dergleichen berichten kann. Denn in der Tat denke ich, dass dies durchaus nicht verkehrt wäre.
Doch meiner Meinung nach existieren die „Kleiderpolizei“ und die „Beschimpfungen und Maßregelungen“ vor allem in dem Köpfen dieser Frauen bzw. Journalisten. Es handelt sich um eine psychische Projektion. Die moderne Frau bzw. der moderne Mann hat Gewissenbisse dafür, dass die Frau ihre Reize tagtäglich mehr oder weniger schamlos zur Schau stellt. Sie entlasten ihr Gewissen dadurch, dass sie ihre eigenen unbewussten Sittlichkeitsbedenken auf die „Sexisten“ projizieren und verdammen. Nachdem man dann erfolgreich die lästigen Schuldgefühle kollektiv auf die Schweinemänner abgeladen hat, kann man gleich viel befreiter, und obendrein mit einem prima politisch-korrekten und progressiven Vorwand der weiblichen Eitelkeit frönen und leckere Busenbildchen von sich hochladen.
Zur Aufklärung muss an dieser Stelle etwas Anschauungsmaterial gezeigt werden. Ich bitte die Leser zu beachten, dass das Bildmaterial NICHT zur erotischen Unterhaltung gedacht ist, sondern ausschließlich politischen und emanzipatorischen Zwecken dient. Die Frauen, die das gepostet haben, möchten darauf aufmerksam machen, dass sie „sexualisiert werden“ (FAZ) und täglich Diskriminierung erfahren und meinen es sehr ernst:
Und falls sich jetzt jemand beschwert, dass ich mir ja jetzt nur besonders hübsche Beispiele herausgepickt habe, sag ich nur folgendes:
Erstens: Das machen die ganzen Zeitungen, die (wohlwollend) über die Aktion berichten, genauso bei ihren Titelbildern. Denn Sexismus lässt sich am leichtesten dadurch bekämpfen, dass aus Sex Kapital geschagen wird. Das wissen wir seit #Metoo.
Zweitens: So etwas wie Unterschiede in der Schönheit gibt es ja schon mal gar nicht. Das ist ein patriarchales Konstrukt, ok?! Jedes Dekolleté ist gleich schön. Alles andere ist nämlich Diskriminierung.
(In eigener Sache: Geschlechterallerlei könnte neue Autoren vertragen. Wer Lust hat zu Geschlechterthemen zu bloggen, kann an christianallesevo (at) gmail Punkt com mailen. Jede politische Ausrichtung wird toleriert.)