Fundstück: Saturday Night Live und die Blase

Über den Aufwachen-Podcast 159 bin ich auf einen Sketch von Saturday Night Live aufmerksam geworden. Er fasst in 2:10 Minuten die wesentlichen Themen aus diesem Monat zusammen:

Saturday Night Live: The Bubble

Bezüglich des erwähnten Aufwachen-Podcasts: Ebenfalls empfehlenswert finde ich zitierte Interview-Ausschnitte mit Hans Joas. Er spricht über den Umgang mit anderen Meinungen, dass man mit Leuten reden soll usw. – absolut spannend, dass mal so deutlich zu hören!

Meta

Vier Monate jeden Tag mindestens einen Artikel im Blog – vielen Dank an alle anderen Autoren! Spätestens Ende Dezember werde ich persönlich eine Pause einlegen, die bis mindestens Anfang Januar dauern wird. Aber dann geht es hoffentlich wieder weiter. Wir nehmen übrigens gerne Gastartikel, egal, aus welcher weltanschaulichen Richtung!

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Und da sage noch einer, Blasen wären immer schlecht… wenn ich da an alte Computerspiel-Zeiten denke!

Bubble Bobble

Warum Cédric Wermuth an keine öffentliche Diskussion mehr geht, wenn nur Männer an der Diskussion teilnehmen

Der Schweizer Parlamentarier Cédric Wermuth (Partei der Sozialdemokraten) will ein politisches Zeichen setzen bzw. Symbolpolitik betreiben und hat erst kürzlich auf seinem Blog verlauten lassen: “Ich werde ab sofort zu keinen öffentlichen Diskussionen mit mehr als zwei Gästen mehr zusagen, wenn sie nur aus Männern zusammengesetzt sind“. Da stellt sich doch gleich die Frage, weshalb sind nur die Frauen Adressaten seiner Symbolpolitik?

Cédric Wermuth schreibt: 

„Spätestens seit dem #SchweizerAufschrei darf man offenbar hierzulande wieder über Feminismus und Geschlechterdiskriminierung sprechen, ohne gleich als vorgestrig abgestempelt zu werden (die rechten Sektenblätter jetzt mal ausgenommen).“

Habe ich da etwas verpasst? Mir ist in den letzten Monaten und Jahren in den linksliberalen Medien, aber auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, kein Feminismus-Bashing oder Geschlechterdiskriminierung-Bashing aufgefallen. Im Gegenteil: Entweder wird sehr neutral darüber berichtet oder sie protegieren den Feminismus richtiggehend. Und vor allem: Wurden im #SchweizerAufschrei auch Frauen als Täterinnen und Männer als Opfer thematisiert? Weiss eigentlich Cédric Wermuth etwas von Männern als Opfer von Gewalt und wie viele Hilfsangebote es für diese Zielgruppe gibt?

Ungleichheit der Geschlechter beruht auf struktureller Diskriminierung

 Cédric Wermuth schreibt:

„Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beruht selbstverständlich zu einem großen Teil auf strukturellen Diskriminierungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.“

Woher weiß Cédric Wermuth, dass die Ungleichheit der Geschlechter in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf Diskriminierung beruht?

Und weshalb auf einer strukturellen Diskriminierung. Was genau ist eigentlich eine „strukturelle Diskriminierung“? Wenn Frauen und Männer anzahlmässig nicht paritätisch in der Legislative vertreten sind, ist das eine Diskriminierung bzw. ist das eine strukturelle Diskriminierung? Jeder Wählende hat ja die Auswahl, ob er alle Männer auf einer Liste streichen will und nur eine Liste abgibt, die nur mit Frauen besetzt ist. Wenn jede Frau die wählen geht, nur Frauen wählt und die Linken mithin das selbe tun, dann gibt es innert kürzester Zeit eine satte Mehrheit von Frauen in der Legislative. Und diese Frauenmehrheit in der Legislative kann dann desgleichen nur noch Frauen in die Exekutive und Judikative wählen und folglich haben wir im politischen System innert kurzer Zeit eine klare Frauenmehrheit. Ich sehe somit keine Diskriminierung und insbesondere auch keine strukturelle Diskriminierung, weil die Veränderungen können mithilfe individuellem Verhalten erreicht werden, ohne dass quasi über Gesetze (Quoten) eingegriffen werden muss, falls dies die Bevölkerung auch will. Abgesehen davon, dass bei einer Legislative, die demokratisch gewählt wurde, keine Ergebnisgleichheit zwischen verschiedenen Populationen vorherrschen muss und dies somit auch keine Diskriminierung darstellen kann, wenn der Männer- bzw. Frauenanteil z.B. bei 70% liegt.

Weiße Männer mit Privilegien

Cédric Wermuth schreibt:

„Das lösen wir nicht mit etwas ‚Willen’ und wenn wir etwas netter sind zueinander. Trotzdem gibt es natürlich enormen Spielraum in unserem individuellen Verhalten – gerade auf der Seite der Privilegierten (das wären dann Männer, vor allem weiße).“

Was für Privilegien haben eigentlich weiße Männer, die kaum ökonomisches, kulturelles und politisches Kapital haben? Diese Männer haben vermutlich vielfach auch noch sehr wenig symbolisches und soziales Kapital, sind also eher auch noch symbolisch und sozial in der Gesellschaft marginalisiert. Wäre es somit nicht viel adäquater, wenn man von weißen Frauen und Männern spricht, die viel kulturelles, ökonomisches oder politisches Kapital besitzen und infolgedessen vielfach privilegiert sind, die dann ebenfalls Veränderungen anstossen könnten? Auch nichtweiße Männer und Frauen, die viel ökonomisches und kulturelles Kapital aufweisen, sind häufig sehr privilegiert.

Sprache und Bilder prägen die Vorstellungen

Cédric Wermuth schreibt:

„Sprache und Bilder prägen unsere Vorstellungen von Gesellschaft und Zusammenleben. Und wenn Politik von Männern „gemacht wird“, bleibt das Bild einer Gesellschaft in der Männer das Sagen haben der Normalfall in unseren Köpfen. Das ist eine selbstverstärkende Spirale, die zu durchbrechen unsere gemeinsame Aufgabe ist. „

Möglicherweise sollte man die Sprache und Bilder, die unsere Vorstellungen prägen, auch nicht zu fest überschätzen. Woran erkennt man beispielsweise bei einer Fernsehdiskussion, dass diejenigen Leute, die besonders viel ökonomisches und kulturelles Kapital besitzen, über vertreten sind im Vergleich zur Gesamtpopulation? Das kann man ja in der Regel nicht unmittelbar feststellen, weil man ja vielfach nicht weiss, wie viel Vermögen und Einkommen sie besitzen bzw. erhalten und welche Bildungsabschlüsse sie vorzuweisen haben. Sprache und Bilder können somit eine Übervertretung bei diesen Populationen nicht erklären, es müssen somit andere Mechanismen verantwortlich sein, die dafür sorgen, dass eine Übervertretung dieser Populationen zustande kommt.

Cédric Wermuth fällt einen Grundsatzentscheid

Cédric Wermuth schreibt:

„Ich habe deshalb heute einen für mich selber gültigen Grundsatzentscheid gefällt: Ich werde ab sofort zu keinen öffentlichen Diskussionen mit mehr als zwei Gästen mehr zusagen, wenn sie nur aus Männern zusammengesetzt sind.“

Also, das heißt: Bei mehr als zwei Gästen in öffentlichen Diskussionen muss, falls man den Cédric Wermuth ebenfalls dabei haben will, mindestens auch eine Frau als Diskussionsteilnehmerin dabei sein. Jetzt kann man sich natürlich gleich fragen, weshalb Cédric Wermuth eine ausgeglichenere Repräsentation der unterschiedlichen Populationen bei öffentlichen Diskussionen nur beim Faktor Geschlecht haben möchte? Weshalb nicht auch beim Alter (Alterskohorten), beim kulturellen Kapital (Bildung), ökonomisches Kapital (Einkommen und Vermögen), Nationalität (Schweizer vs. Ausländer), Migrationshintergrund, Ethnie bzw. Hautfarbe, sexuelle Orientierung (Schwule, Lesben), Konfession, Wohnort (Stadt, Agglomeration, Land) Behinderung, etc., usw., usf.

Weshalb soll also, wenn es um Diversity geht, nur das Geschlecht eine Rolle spielen und alle anderen Unterschiede sollen obsolet sein? Ist das gerecht? Könnte das nicht auch ein falsches Signal aussenden, dass nur gewisse Gruppe angemessen repräsentiert werden sollen und andere sind es nicht wert? Und wenn wir die Sache noch aus der Perspektive der Privilegien anschauen: von denjenigen Populationen, die am wenigsten ökonomisches, kulturelles, symbolisches, soziales und politisches Kapital besitzen ist sicherlich nicht die Population der Frauen diejenige, die in der Schweiz hinsichtlich der vorgenannten Faktoren am wenigsten privilegiert ist, sondern die unteren Klassen/Schichten/Milieus und die Ausländer/Migranten/Flüchtlinge.

Weshalb also nur die Frauen? Cédric Wermuth würde vermutlich wie folgt argumentieren: Frauen würden 50% der Population ausmachen und wären somit eine der größten Gruppe, die ev. in öffentlichen Diskussionen unsichtbar gemacht bzw. nicht repräsentativ vertreten würden und mit einer Population müsse man ja schlussendlich einmal beginnen. Diese Argumentation mag nachvollziehbar sein, aber es zeigt eben doch auf, dass andere Populationen, die unterrepräsentiert sein können, für Cédric Wermuth nicht den selben Stellenwert haben wie die Population der Frauen. Insbesondere eben die zwei weiter oben genannten Populationen nicht, die sicherlich schlechter gestellt sind als die Frauen, weil sie im Durchschnitt weniger ökonomisches, politisches und kulturelles Kapital besitzen als die Frauen. Der soziale Blick von Cédric Wermuth ist infolgedessen sehr selektiv und partikularistisch: Diversity ist jedoch mehr als nur partikularistische Frauenpolitik.

Nostalgie-Fundstück: Die Erste Allgemeine Verunsicherung über Sextourismus

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Heute geht es mal um nichts anderes.

Die Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV) sang 1990/91 über Sextourismus – und war dabei anscheinend weiter als die öffentliche Diskussion heute: Anstatt die Frau wahlweise als „Opfer lüsterner Freier“ oder „in ihrer Sehnsucht nach Nähe ausgenutzt“ zu präsentieren, wird hier mit gleichem Maß gemessen.

Bekommt im ersten Lied ein Herr in Thailand sein Fett weg, ist es im zweiten eine Frau in Kenia. Aus der Erinnerung heraus: Die Bandmitglieder schrieben das zweite Stück nach eigenen Beobachtungen im Urlaub.

EAV: Samurai

EAV: Jambo

Fundstück: Ahoi Polloi mit Ausreden, Fake News und Rassismus

In diesem Monat hat sich einiges verändert und Ahoi Polloi hat gleich mehrere dieser Phänomene kommentiert. Ich bin nach wie vor beeindruckt, wie hier die Schlagzahl an guten Ideen gehalten wird!

  1. neue Ausrede (seit diesem Monat!)
  2. Fake News (werden seit diesem Monat endlich ernst genommen!)
  3. Rassismus (bzw. über den richtigen Umgang mit diesem)

bisherige Erwähnungen von Ahoi Polloi:

  1. prägnante Wahlanalyse
  2. Donald Trump, Politik und Medien
  3. Genderidentität, politisch korrekte Sprache und das Rederecht bei den Grünen
  4. Sexismus
  5. Modernität bei Arbeit, Gesellschaft und Moby Dick
  6. kulturelle Aneignung, rape culture und sexistische Werbung
  7. gegen mansplaining und Mikroaggressionen und für die Wahrheit
  8. das neue Sexualstrafrecht und die Unschuldsvermutung
  9. dreimal zu „hate speech“
  10. eine ganze Sammlung
  11. zu Sprache

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Wo es um Nachrichten geht, die nicht stimmen… hier passen sowohl der Bandname als auch die der Liedertitel.

Huey Lewis & The News – Some of My Lies Are True

Fundstück: Freakonomics über Partnersuche via Internet

„Freakonomics“ hatte ich schon einmal erwähnt. Zum ersten Mal war mir der Name jedoch in ganz anderem Zusammenhang über den Weg gelaufen: Ein Beitrag befasst sich mit Ökonomie bei der Partnersuche übers Internet. Ja, es heißt nicht umsonst Partnermarkt… praktischerweise werden auch einige Tipps gegeben und Gesetzmäßigkeiten erklärt.

Man beachte, was sich zwischen der ursprünglichen Sendung (Textversion) und der Wiederausstrahlung (Textversion) verändert hat!

Einige Details, die zum Teil altbekannte Überzeugungen bestätigen:

  1. Bei Frauen ist Aussehen wichtig, bei Männern Einkommen.
  2. Bei Männern gibt es ein starkes Ungleichgewicht, was das eigene Aussehen angeht. Die besten 10% und noch einmal die besten 5% heben sich deutlich vom Rest ab.
  3. Man sollte sich klar überlegen, was man sucht, und sein Profil entsprechend darauf ausrichten, um passenden Partnern die richtigen Signale zu senden. Bei einer großen Menge von potentiellen Kandidaten lohnt es sich, sein Profil umso klarer auszurichten, damit man leichter als „besonders gut passend“ identifiziert wird.
  4. Absolut unverhandelbare Dinge sollte man sofort nennen. Entweder es geht oder es geht nicht.
  5. Für Männer, die eine feste Partnerschaft wollen, lohnt es sich, zu signalisieren, dass sie etwas festes suchen. Für einen Flirt sind die meisten zu haben, aber nicht alle sind zu mehr bereit.
  6. Entsprechend lohnt es sich für solche Männer, Stabilität und Verlässlichkeit auszustrahlen (und natürlich „andere Frauen fühlen sich in seiner Gegenwart wohl“).
  7. Einem konkreten 28-jährigen Mann wird geraten, bei der Wahl der Frauen wählerisch zu sein. Er sei in einem guten Alter und habe noch Zeit.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Vielen Dank für den Vorschlag, aranxo!

Chic: Le Freak

Linke Identitätspolitik: soziale Klassen und Verteilungsgerechtigkeit kein Thema mehr für die liberalen Linken?!

Die Schweizerische Wochenzeitung (WoZ)  interviewt in ihrer neusten Ausgabe Silja Häusermann (Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Zürich) im Zusammenhang von Abstiegsängsten sogenannter Modernisierungsverlierer. Dabei wird deutlich, dass bei der liberalen Linke Identitätspolitik Vorrang vor allem anderen hat.

Wer ist eigentlich die Elite, gegen den sich der Rechtspopulismus wendet?

Silja Häusermann fragt sich im Interview, wen denn die Rechtspopulisten eigentlich mit der Elite meinen. Der erst kürzlich verstorbenen Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski unterscheidet ja folgende Eliten:

−      Geldelite
−      Finanzelite
−      Politische Elite und
−      Funktions- & Wissenselite.

Silja Häusermann würde als Professorin an einer Universität zur Funktions- & Wissenselite gehören. Nach dem Soziologen Pierre Bourdieu würde sie zu den „Herrschenden in beherrschter Stellung“ gehören. Herrschende deshalb, weil bei Bourdieu das kulturelle Kapital, von dem Frau Häusermann eine ganze Menge besitzt, auch ein Faktor für die Bestimmung einer sozialen Klasse ist. In beherrschter Stellung ist sie deshalb, weil bei Bourdieu das ökonomische Kapital quasi das alles dominierende Kapital ist.

Die SVP-WählerInnen oder die RechtspopulistInnen haben somit eine große Auswahl von Eliten zur Verfügung, die sie nicht so gut mögen; Frau Häusermann könnte ev. auch darunter fallen.

Nicht die Armen und die Prekarisierten wählen die Rechtspopulisten, sondern der untere Mittelstand

Silja Häusermann ist der Auffassung, dass nicht die Armen und die Prekarisierten die Rechtspopulisten wählen, sondern der untere Mittelstand. Wenn wir die Wahl 2015 in der Schweiz anschaue, dann hat

die Einkommensklasse von

– Fr. 0-4000 zu 32% die Rechtspopulisten gewählt; bei der SP sind es nur 22%.
– Fr. 4001-6000 zu 36% die Rechtspopulisten gewählt; bei der SP sind es nur 17%.

Die Aussage von Silja Häusermann dürfte somit falsch sein: Gerade die Armen und Prekarisierten sowie der untere Mittelstand haben überdurchschnittlich die SVP bzw. die Rechtspopulisten gewählt.

Noch krasser sieht es beim kulturellen Kapital aus:

Personen ohne Berufsausbildung haben zu

33% die Rechtspopulisten gewählt, aber nur 14% die SP.

Das heißt, diejenigen Populationen, die am wenigsten ökonomisches und kulturelles Kapital besitzen, wählen eindeutig am häufigsten und zwar überdurchschnittlich häufig die Rechtspopulisten! Die Rechtspopulisten ziehen also nicht nur überdurchschnittlich Leute an, die an einer relativen bzw. subjektiven Deprivation leiden, wie uns dies Silja Häusermann offenbar weismachen möchte, sondern bei denen auch tatsächlich eine objektive Deprivation vorhanden ist.

Hilft vermehrte Sozialpolitik gegen Rechtspopulismus?

Silja Häusermann ist außerdem der Auffassung, dass ein bisschen mehr Geld vom Sozialamt der Rechtspopulismus durch eine linke Partei nicht aufgehalten werden kann.

Es ist sicherlich richtig, dass mit ein wenig mehr Geld vom Sozialamt der Rechtspopulismus nicht aufgehalten werden kann. Die Ursache des Problems des Rechtspopulismus ist m.E. jedoch auch nicht einfach nur ein ökonomisches, das dann in ein kulturelles bzw. identitäres Problem transformiert wird, wie Silja Häusermann behauptet, sondern hat mindestens drei Ursachen:

  1. ökonomisch: Verteilungskrise
  2. kulturell: Identitäts- und Sinnkrise
  3. politisch: Repräsentationskrise und fehlende politische Partizipation

(vgl. Decker, Franz 2006, S. 22)

Und das Problem dieser „Modernisierungsverlierer“ ist somit auch nicht einfach und in erster Linie ein Identitäres, wie dies Silja Häusermann behauptet, sondern durch ökonomische, kulturelle und politische Krisen verursachte objektive und subjektive Deprivation, die durch den Rechtspopulismus mit identitätspolitischen Angeboten (Abgrenzung und Ausgrenzung von anderen Menschen sowie Nationalismus etc.) „bewirtschaftet“ wird.

Da die Problematik mehrdimensional ist, reicht ein starker Sozialstaat in der Regel nicht aus. Es braucht dementsprechend Maßnahmen, die u.a. die politische, die kulturelle und die ökonomische Krise und die daraus resultierenden Deprivationen in den Fokus rückt.

Die Wählerschaft der Linken hat sich in den letzten Jahrzehnten komplett verändert.

Die folgende Aussage von Silja Häusermann finde ich dann schon sehr bemerkenswert:

„Anfang der achtziger Jahre gehörten in Europa zwei Drittel der linken Wähler zur Arbeiterschaft, ein Drittel war Mittelklasse. Heute ist es umgekehrt. Aber nur dank der kulturellen Öffnung konnte die Linke überhaupt ihren Wähleranteil halten, auch in der Schweiz. Die Wählerschaft hat sich komplett verändert. Aber das ist keine schlechte Nachricht.“

Ich habe gedacht, bei den Linken geht es neben der Bekämpfung von Sexismus und Rassismus etc. auch um Einkommens- und Vermögensverteilung, politische Partizipation, Bildungsmobilität, Klassenmobilität, Lebenserwartung, Krankheit, Gesundheit, Armut etc.?!

Silja Häusermann sagt weiter:

„Ich kenne keine Evidenz dafür, dass sie diese Wähler mit sozialpolitischen Themen zurückgewinnen könnte. Das hat nirgendwo funktioniert.“

Was ist denn eigentlich mit Syriza oder mit Podemos? In Deutschland dürfte die AfD um einiges stärker sein, wenn es DIE LINKE nicht geben würde. Warum gibt es eigentlich in Portugal, Spanien oder Irland keinen Rechtspopulismus mit nennenswertem Erfolg? Aber wie bereits weiter oben gesagt, sozialpolitische Maßnahmen alleine dürften vielfach nicht ausreichen.

Das Problem des Rechtspopulismus ist kein ökonomisches, sondern ein kulturelles bzw. Identitäres

Silja Häusermann sagt weiter:

„Sie muss weiter für einen starken Sozialstaat einstehen. Aber sie muss sich darüber im Klaren sein, dass sie damit keine Stimmen zurückholt. Das gibt keinen Wählerzuwachs. Denn das Problem ist: Die Ablehnung der rechtsnationalen Wähler richtet sich nicht in erster Linie gegen das ökonomische Kapital, sondern gegen den kulturellen Wandel. Die Linke müsste also ihre universalistische Politik ablegen. Und was will sie dann anbieten? National gefärbten Klassenkampf?“

Nun, ein starker Sozialstaat reicht alleine vielleicht nicht aus, aber wenn noch zusätzliche Elemente dazu kommen würden, dann könnte man vermutlich dem Rechtspopulismus schon vermehrt das Wasser abgraben. Z.B. vermehrte Bildungsmobilität, Klassenmobilität, Wirtschaftsdemokratie, eine Verminderung der habituellen Entfremdung zwischen Sozialdemokratie, Bildungselite, Wissenselite und den „kleinen Leuten“ und nicht eine andauernde Delegitimierung von Sorgen, Emotionen und Wahrnehmungen dieser Menschen (da könnte ich der Silja Häusermann das Buch von Pierre Bourdieu „Die Feinen Unterschiede“ empfehlen, in dem es gerade um Distinktionsstrategien unterschiedlicher sozialer Klassen geht). Also z.B. eine Politik der Anerkennung nach Axel Honneth für diese „kleinen Leute“. Und wenn man die „kleinen Leute“ nicht mehr in den Blick bekommt, dann ist dies sicherlich keine universalistische Politik mehr, sondern eine reine partikulare Identitätspolitik, die eben partikularistisch vorgeht und den Universalismus abgelegt hat.

Ich verweise mal auf einen Vortrag von Eric Hobsbawm  (Identitätspolitik und die Linke):

Will die Linke wieder zurück zum Nationalstaat?

Silja Häusermann sagt weiter:

„Ja, fürchterlich. In gewissen Ländern in Europa könnte das eine linke Minderheitsposition werden. Bloss: Das ist sicher keine taugliche Politik für eine Sozialdemokratie. Wenn sie beginnt, ihre kulturelle Basis infrage zu stellen, die Stellung der Frau, die internationale Solidarität, die Rechte von Migranten, dann verliert sie jene Wähler, die sie in den letzten dreissig Jahren gewinnen konnte und die heute die Mehrheit ihrer Basis ausmachen: die kosmopolitische, urbane und gebildete Mittelschicht. Menschen, die in den wachsenden Branchen arbeiten.“

Weshalb fragt Silja Häusermann nicht danach, weshalb es einen Brexit gab, und weshalb gewisse Linke ihr Heil wieder in der Nation suchen?

Ich verweise diesbezüglich mal auf Heiner Flassbeck und auf Mario Candeias:

Heiner Flassbeck

Mario Candeias

Verkürzt würde dies heißen: Wenn die Sozialdemokratie weiterhin eine autoritäre Austeritätspolitik fährt und Deutschland weiterhin Lohndumping im eigenen Land betreibt und die eigene Arbeitslosigkeit exportiert, was in einer Währungsunion nicht gut gehen kann, dann werden ev. noch ganz andere Leute an die Macht kommen als Trump et al.

Die kosmopolitische, urbane und gebildete Mittelschicht könnte eben gerade mitverantwortlich sein für einen autoritären Neoliberalismus, der dann ev. zu Nationalismus und antidemokratischem Autoritarismus führt.

Haben wir einen neuen Kulturkampf: Linke Liberale und rechte Nationalisten?

Silja Häusermann sagt weiter:

„Ja, weil es sowohl den heutigen linken Wählern wie auch den ehemaligen Anhängern, die heute rechtsnational wählen, primär um identitäre, um kulturelle Fragen geht. Egal was die Linke macht, sie verliert am einen oder anderen Ende. Es findet ein neuer Kulturkampf statt.“

Das ist richtig: der heutigen Linke geht es primär einmal um Identitätspolitik und kulturelle Fragen und primär nicht mehr um soziale Gerechtigkeit bzw. Verteilungsfragen etc. Ich zitiere Wolfgang Merkel in diesem Zusammenhang:

„Die junge, intellektuelle Linke hat den Bezug zu der Unterklasse im eigenen Land fast gänzlich verloren. Da gibt es vonseiten der Gebildeten weder eine Sensibilität noch eine Aufmerksamkeit und schon gar keine Verbindungen mehr. Die Linke hat sich eben kosmopolitisiert und, wie gesagt, ihren politischen Schwerpunkt auf eine kulturelle Ebene verlagert, und eben auf dieser Ebene unterscheiden sich die Milieus der hoch und weniger Gebildeten deutlich voneinander. Dieser Verlust der Kommunikation zwischen den Klassen, wenn ich diesen Begriff einmal verwenden darf, ist massiv und ein Problem für die soziale Gerechtigkeit.“

Ist linke Identitätspolitik universalistisch oder doch eine neue Klassengesellschaft?

Silja Häusermann sagt weiter:

„Ja, nur dass sich heute nicht mehr Reformierte und Katholische gegenüberstehen wie im 19. Jahrhundert, sondern Linksliberale und Rechtsnationale. Wenn Sie die Reaktionen auf Trump verfolgen: Die grosse Besorgnis ist die um eine liberale Gesellschaftsordnung und um Minderheitenrechte, also um universalistische Rechte.“

Wenn man die soziale Verteilungsfrage und viele andere Fragen, die eben nicht primär Identitätspolitik oder kulturelle Fragen sind, aus den Augen verloren hat, wie kann man dann behaupten, dass man quasi universalistisch denkt?

Silja Häusermann sagt weiter:

„Vieles, was wir heute als selbstverständlich erachten, sind erkämpfte Erfolge einer kulturell liberalen Identitätspolitik. Die gute Nachricht für die Linke ist: Sie kann Einfluss nehmen mit den Stimmen, die sie in den letzten Jahrzehnten dazugewonnen hat. Aber es gibt einen Backlash. Es mag unbefriedigend sein, aber die Diagnose bleibt: Die Linke steckt in einem Dilemma.“

Es würde sich dann mal die Frage stellen, ob die erkämpften Erfolge rein auf eine kulturell liberale Identitätspolitik zurückzuführen sind?  Hier wird m.E. u.a. die ökonomische Dimension vollständig außen vor gelassen, die gerade für die Gleichstellung der Geschlechter auch ziemlich wesentlich war. Nur fragt sich eben, ob eine linke Identitätspolitik wirklich universalistisch ist und nicht eben nur partikularistisch, wenn die Gesellschaft wieder vermehrt zu einer Klassengesellschaft wird. Dazu abschliessend Wolfgang Merkel:

„Im Schatten der wachsenden kulturellen Sensibilität der Linken ist also eine neue Klassengesellschaft entstanden. Und diese Klassengesellschaft ist bislang zumindest nicht Thema des jungen intellektuellen Diskurses.“

Warum ich einige Positionen für schwer zu verteidigen halte

Nach wie vor bin ich erstaunt über das Ausmaß der geplatzten Filterblasen nach der US-Präsidentschaftswahl. Die Kollision einer als unpassend empfundenen Realität mit dem bisherigen Weltbild, der anhaltende Zustand von Ratlosigkeit bis hin zu nackter Angst beschränkt sich nicht nur auf poststrukturelle Genderfeministinnen oder Lügner und Manipulatoren (SJW), sondern grassiert immer noch unter Politikern und Journalisten, also solchen Leuten, die aus den Emotionen anderer Menschen Kapital schlagen, aber selbst nüchtern vorgehen sollten, um in ihrem Beruf Erfolg zu haben.

zu sehr eingebuddelt, um sich zu bewegen

Eine vernünftige Reaktion bestünde darin, die Wirklichkeit unter geänderter Informationlage neu zu erfassen und mit anderen Teilen der Gesellschaft notwendigerweise Dinge auszuhandeln.. Bei den beiden erstgenannten Gruppen ergeben sich jedoch aus deren Grundüberzeugungen und Verhaltensweisen eine ganze Reihe von Hindernissen, die dem im Wege stehen:

  1. Es gibt keine allgemeine objektive Realität, nur die Perspektive mit Priorität zählt.
  2. Probleme der anderen sind nur eingebildet.
  3. Die Mehrheit hat Macht, daher keine Probleme.
  4. Über verschiedene Identitäten/Gruppen hinweg kann man sich nicht verständigen, „nur X kann Xe wirklich verstehen“.
  5. Auf den anderen einzugehen ist Verrat an der Sache. Wer Recht hat, braucht nichts zu erklären!
  6. Eine beliebig komplizierte Sprache zeigt Gruppenzugehörigkeit und Tugendhaftigkeit.
  7. Sachliche Kritik gibt es nicht.

All das kann man sich nur leisten, solange man in der Machtposition ist. Sobald man die Meinungshoheit verloren hat, wird es sehr schwer, sich zu bewegen, denn dafür hat man sich vorher zu sehr eingebuddelt. Und genau diese Immunisierung gegen Kommunikation und Kompromisse, dass man extrem priviligiert ist.

Welten dazwischen

Das zeigt sich auch an den erlebten Realitäten. Zunächst diejenige der Menschen, welche sich in dem Wahlergebnis ausdrückt. Wie schon erwähnt schrieb Jens Berger bei den Nachdenkseiten:

Ist es wirklich so schwer, sich in einen ehemaligen Facharbeiter aus Flint, Michigan hineinzuversetzen, der früher ein stolzes und geachtetes Mitglied seiner Gemeinde war, der seine Familie durch die harte Arbeit ernähren konnte und es am Ende sogar geschafft hat, eines seiner Kinder an eine dieser teuren privaten Hochschulen zu bringen? Was mag in diesem Mann vorgehen, der heute von Glück reden kann, dass er noch einen Job im Supermarkt hat, wo er jungen Schnöseln ihre Einkäufe in Tüten verpacken darf und ansonsten nur sieht, wie „sein Amerika“ vor die Hunde geht?

Eine wichtige Frage vieler Leute in Deutschland sei, „warum man trotz formal guter Ausbildung keinen Job bekommt“.

Ergänzend nannte JK in den Hinweisen des Tages „Menschen, die einfach nur gute Arbeit leisten und davon leben wollen“, welche „sich jeden Tag fragen müssen, wie sie wieder einen Job bekommen können, der es Ihnen möglich macht die Hypotheken für ihr Häuschen oder die Ausbildung für ihre Kinder zu bezahlen“.

Schauen wir im Gegenzug auf ein Aushängeschild des Feminismus in Deutschland. Anne Wizorek hat zwar ihr Studium nicht beendet, aber über eine Twitter-Aktion letzten Endes einen Posten von der Regierung bekommen (Berufung in die Sachverständigenkommission zur Erarbeitung des Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung).

Ihre offenbar größte Sorge: „Für ganz viele Frauen ist es extrem schlimm, einfach schon auf die Straße zu gehen.

Abstieg breiter Schichten vs. vom Staat gefördert: Unterschiedlicher können die Realitäten kaum sein.

Journalisten wie Politiker

Interessant ist ferner, dass auch Journalisten inzwischen die üblichen Ablenkungsmanöver anwenden, um sich nicht mit Kritik zu befassen. Die Glaubwürdigkeit der meisten Phrasen überlebt eine Begegnung mit der Realität allerdings nicht lange:

„der Wähler ist einfach dumm“

Das war schon vor Jahren erkennbar falsch. Dazu schrieb etwa der konservative Journalist Michael Spreng:

Politiker werden immer wieder davon überrascht, dass die Wähler schlauer sind, als Politiker denken.

Und ja, er hat diese Einsicht immer wieder gerne genannt.

Tatsächlich sind Wahlen in den meisten Fällen nur ein sehr grobes Instrument, um den eigenen Willen kundzutun. Insbesondere ohne regelmäßige Volksabstimmungen zu ganz konkreten Fragen fällt dem Wähler die Aufgabe zu, mit wenigen Kreuzen alle paar Jahre seine Meinung zu einer komplizierten Gemengelage auszudrücken. Wie soll das klar und einfach lesbar sein?

„Leute interessieren sich nicht für Fakten“

Die Leute suchen nicht mehr nach Fakten, wo sie schon lange keine mehr gefunden haben! Wenn Meinungen als Fakten vorausgesetzt oder unseriöse Studien präsentiert werden, da ist es doch klar, wenn die Menschen das irgendwann ausblenden.

Das neue Modewort „postfaktisch“ soll eben diese Ausrede liefern. Unter dem Titel „Postfaktisch?“ Was soll denn nun dieser Unsinn schon wieder? schrieb Jens Berger auf den Nachdenkseiten:

Zwischen den Zeilen heißt „postfaktisch“ eigentlich nur, dass das Establishment erkannt hat, dass es die politischen Debatten der Gegenwart nicht mehr auf Sachebene führen kann, weil es faktisch die schlechteren Argumente hat.

„man kann den Leuten nicht mehr Kompliziertes erklären“

Um meinen Eindruck aus Foren im Internet und Gesprächen in der physischen Realität zusammenzufassen: Es herrscht eine große Sehnsucht nach Fakten, Hintergrundinformationen, Erklärungen, Debatten. Viele Leute finden die dargebotenen Informationen schal und wenig ergiebig.

„die Leute haben zu kurze Aufmerksamkeit“

Der beste Gegenbeweis sind stundenlange Podcasts und Youtube-Videos, die Leute auch noch freiwillig finanzieren. Offensichtlich kommt man ohne millionenschwere Technik aus, um Leute bei der Stange zu halten. Nur müssen die Inhalte hörens- und sehenswert sein.

„im Internet schreiben größtenteils Trolle“

Die Nachdenkseiten haben kürzlich 100 Seiten Leserbriefe zur aktuellen politischen Debatte veröffentlicht. Laut Aussage der Macher mussten nur wenige Zuschriften herausgefiltert werden. So sieht es aus, wenn man die Augen nicht verschließt.
Von wegen nur Pöbelei unter den Kommentaren!

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Wenn es schon um Realitätsblasen in diesen Tagen geht, fällt mir der Soundtrack eines Computerspiels ein.

Reality Bubble: Days Like These

Warum ich dieser Dolchstoßlegende keine Chance einräume

Auch zwei Wochen nach der US-Präsidentschaftswahl finde ich immer noch spannende Beiträge. Den heutigen Artikel rahme ich bewusst in zwei davon ein.

Via Fefe stieß ich auf eine großartige Analyse von Scott Alexander beim Slate Star Codex. Die lohnt es sich im Detail nachzulesen. Drei wesentliche Punkte:

  1. Donald Trump hat bei den Schwarzen, Hispanics und Asiaten gewonnen… am wenigsten jedoch bei den Weißen.
  2. Rassisten sind keine relevante Wählergruppe.
  3. Angst und Panik sind keine Lösung.

Die ersten beiden Punkte werden mit Fakten unterlegt und es ist wichtig, sich das klarzumachen, um nicht auf ein hektisch zusammengezimmertes neues Narrativ hereinzufallen („Rassisten haben die Macht übernommen! Wir werden alle sterben!“), das einem zwar einen Teil des (negativen) alten Weltbildes bewahrt, letzten Endes aber nicht weiterhilft. Damit kommen wir zum Thema der Legendenbildung im Fahrwasser der Wahlen. Ich hatte ja schon geschrieben:

Ehrlich gesagt warte ich noch auf die ausformulierte Dolchstoß-Legende: Hillary Clinton sei auf offenem Felde ungeschlagen gewesen, aber weiße Männer hätten heimlich Donald Trump gewählt. Mit solch einer Niedertracht sei die gute und eigentlich siegreiche Sache hinterrücks erdolcht worden.

Darauf kam folgender Hinweis von Lucas Schoppe:

Die Dolchstoßlegende gibt es übrigens schon, aber es sind natürlich nicht die weißen MÄNNER, die der wacker kämpfenden und im Felde unbesiegten Hillary den Dolch in den Rücken gestoßen haben – sondern die weißen Frauen.

Er verweist auf Hengameh Yagoobifarah in der taz. Die These dort lautet: „Weiße Frauen haben den Feminismus verraten“ (schöne Erwiderung von elitemedium!). Diese Dolchstoßlegende passt jedoch nicht gut.

Rufen wir uns in Erinnerung: In den USA leben etwa 70% Weiße, 12% Schwarze, 11% Hispanics, Rest Asiaten/sonstige. Wenn ich dabei 50% Männer annehme (in Wahrheit sind es weniger), dann erklärt das Feindbild weißer Mann 35% der Einwohner zu den Bösen. Dabei kann das sogar ein Abschwächung sein, wenn man mit „Männer sind böse!“ gestartet ist. Letzteres ist seit ca. 200 Jahren ein beliebtes Narrativ, es hat sich eingebürgert. Man riskiert entsprechend wenig, dieses Klischee zu bemühen.

Nun die weißen Frauen der Gruppe der Gesellschaftsfeinde und Modernitätsverhinderer zuzuschlagen, bedeutet aber, in den USA schlagartig 35% der Menschen, die bisher den „Opfern“ zugerechnet wurden, zu „Tätern“ zu machen. Das ist eine zu große Gruppe, zumal Frauen mehr Empathie genießen und ein Angriff auf Frauen Schutz- und Versorgungsinstinkte auslösen kann.

Übertragen auf Deutschland passt das natürlich noch weniger – der Anteil der Nicht-Weißen ist viel geringer. So kommt etwa auf 270 Weiße ein Schwarzer (Marius Jung, ab 10:46).

Natürlich ist das auch den hiesigen Feministinnen klar und sie handeln entsprechend nicht „intersektionell korrekt“, denn sonst würden sie sich größtenteils selbst aus dem Rampenlicht kicken. Wie Christian Schmidt bei Alles Evolution treffend feststellt:

Auch Anne Wizorek geht lieber selbst in Talkshows statt darauf zu bestehen, dass eine schwarze Feministin an ihrer Stelle (oder wenigstens zusätzlich) eingeladen wird.

Doch immer, wenn man denkt, es geht nicht durchgeknallter, hilft einem Twitter: Alex verweist auf einen Tweet, wo jemand allen Ernstes vorschlägt, in den USA allen Weißen (inklusive sich selbst) das Wahlrecht zu entziehen. Das ist natürlich eine „geile“ Idee, einfach mal 70% in den Status vor dem allgemeinen Wahlrecht zurückzuversetzen. Es komme mir niemand mehr mit Emanzipation und Suffragetten!

Aber abschließend zurück zur Vernunft. Via Aufwachen-Podcast stieß ich auf einen anderen Podcast, in dem der advocatus diaboli (ein Sozialkundelehrer!) über „Nach Trump“ spricht. Er fängt etwas verhalten mit der Wahl an, steigert sich dann aber beträchtlich (die Leute merken doch, wie es läuft; man soll mit Leuten reden usw.). Ja, wer sagt denn, die Bevölkerung sei dumm? Hier erklärt ein ganz normaler Bürger, was man machen kann, und das ohne rosarote Brille, sondern klar die Probleme benennend.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Eine weitere Gruppe, deren Einfluss mit dem Ausgang der Wahl gebrochen wurde, wären die „Spin Doctors“.

Spin Doctors: Two Princes

Soll man die Sorgen und Ängste und Ressentiments der Bevölkerung ernst nehmen?

Im Zusammenhang der US-Präsidentenwahl 2016 schreibt ein Arzt (Psychiater) und Philosoph auf einem Blog unter dem Titel „’Make America great again“’. Zur politischen Psychologie des Ressentiments“ folgendes:

„Die übliche Reaktion der Wohlmeinenden auf das Ressentiment lautet: „Man muss die Ängste ernst nehmen.“ Diese ebenso verlogene wie herablassende Haltung nähert sich bis zur Unkenntlichkeit dem Ressentiment an: Auch sie erklärt das Gefühl zur höchsten Instanz. In Tat und Wahrheit ist das Ressentiment eine Verleugnung der Angst.“

Dazu ein paar ein Gedanken meinerseits dazu:

Weshalb soll das eine verlogene Haltung sein, wenn man die Ängste der Leute ernst nimmt? Und was soll daran herablassend sein?

Ob das jemand als herablassend empfindet, dürfte wohl jede Person immer wieder anders empfinden und ist vermutlich keine anthropologische Grundkonstante aller Menschen; dies ist m.E. eine unzulässige Verallgemeinerung.

Wenn man sich empathisch der Angst oder dem Ressentiment eines Menschen nähert, heißt dies selbstverständlich nicht, dass nun das Gefühl zur höchsten (moralischen) Instanz erklärt bzw. erhoben wird? Wenn ein Mensch Mordabsichten hegt, die auf gewissen Gefühlen basieren, dann kann man zwar die dahinter stehenden Gefühle ernst nehmen, aber das heißt noch lange nicht, dass man die Mordabsichten gutheißt. Der Mensch kann zwar seine Gefühle explorieren, aber man kann dann die möglichen, daraus entstehenden Handlungen (Ressentiments, Mordabsichten) selbstverständlich für vollständig unangebracht halten. Jedoch: Sorgen, Ängste und Ressentiments nicht ernst nehmen, lässt diese sicherlich nicht einfach verschwinden, wenn man einfach sagt, das sei alles Schwachsinn. Ich vermute, das Gegenteil dürfte vielfach zutreffen. Sorgen, Ängste und Ressentiments ernst nehmen, heisst für mich, dass ein Mensch diese quasi explorieren darf und man dann schaut, was steckt eigentlich dahinter: wieso, weshalb, warum hat ein Mensch solche Sorgen, Ängste und Ressentiments. Und wie können solche Sorgen, Ängste und Ressentiments in konstruktive Bahnen gelenkt werden, sodass eben Rassismus, Fremdenfeindlichkeit etc. abgebaut wird.

Und ob nun das Ressentiment eine Verleugnung der Angst ist, scheint mir auch nicht so gewiss zu sein. Da kann Angst dahinterstecken, da können aber auch viele andere Gefühle dahinterstecken (Groll, Ärger, Schmerz, Verletzungen etc.). Übrigens: Wenn die Linke die Ängste der Leute nicht ernst nimmt, dann werden sie sicherlich die Rechtspopulisten ernst nehmen; mit den entsprechenden Konsequenzen.

Fundstück: Die Geister, die sie riefen…

Also damit konnte ja wohl niemand rechnen: Donald Trump benutzt das „safe space“-Konzept gegen Kritiker. Wie Fefe ebenfalls zu bedenken gibt: Was, wenn Donald Trump Anti-„hate speech“-Gesetzgebungen (Kriterium: „fühle mich traumatisiert“) durchzieht?

Genau das passiert, wenn man irgendwelche schwammigen Begriffe ins Feld führt, um andere Leute, deren Meinungen einem nicht passen, zum Verstummen zu bringen: Dieselben Regelungen werden dann irgendwann vom ideologischen Gegner gegen einen selbst angewandt.

Das ist aber nur ein Vorgeschmack. Was bei Einschränkung der Meinungsfreiheit anfängt, setzt sich über Überwachung fort und geht hin bis zum Mord. Wie Fefe zum dritten richtig schrieb:

Bei neuen Ermächtigungsgesetzen für Polizei, Dienste und Militär warne ich seit Jahren davor, dass selbst wenn wir unserer Regierung jetzt trauen, dass sie keinen Scheiß macht mit solchen Befugnissen, dann muss man doch im Hinterkopf behalten, dass die nächste Regierung möglicherweise aus verrückten Triebtätern besteht.
(…)
Mir fällt gerade auf, dass Trump sich auch hervorragend zur Illustration dieses Punktes eignet. Obama hat in den USA eine Drohnenmord- und Geheimdienst-Massenüberwachungs-Infrastruktur aufgebaut, die weltweit ihresgleichen sucht. Und jetzt sitzt Donald Trump an diesen Knöpfen. Kann jederzeit weltweit jeden beschnüffeln und gezielt von einer Drohne ermorden lassen.

Die Logik, mit der so etwas installiert wird, ist natürlich immer dieselbe: Wir wollen doch nur gegen das Böse™ kämpfen und da kommen wir mit herkömmlichen Mitteln nicht weiter!

Die Sache nimmt jedoch noch eine weitere gruselige Wende: Die Sache mit der Überwachung und den Drohnen war ja schon immer falsch. Es schienen nur viele gehemmt zu sein, einen jungen, charismatischen Präsidenten dafür zu kritisieren. Spätestens jetzt, wo klar ist, an wen diese Instrumente demnächst gehen, könnte doch auch der letzte aufwachen und darauf kommen, dass Barack Obama der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit da keinen Gefallen getan hat.

Journalisten trauen sich jedoch auf breiter Front noch nicht einmal, Barack Obama überhaupt darauf anzusprechen. Der Aufwachen-Podcast 157 (“ Everybody loves Obama“) hat die gesamte Peinlichkeit im Detail. Tilo Jung erzählt zunächst, wie er auf der Pressekonferenz seine Frage zu den Drohnen nicht stellen durfte („Tilo fragt Obama (nichts)“). Dann kommt das unsägliche Interview von ARD und Spiegel, das statt richtigen Fragen anscheinend nur aus Gefühlen, Belanglosigkeitenen und Vereinfachung besteht („Spon und ARD fragen Obama“). Und die werfen dem einfachen Volk Dummheit vor!

So einfach kommt man von absurden Nischenthemen zur großen Weltpolitik. Es wird Zeit, dass es wieder eine Debatte gibt, denn dieses Schweigen und zum Schweigen bringen kann nichts Gutes hervorbringen.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Es ist so leicht und einfach, „den“ Amerikanern Dummheit vorzuwerfen… dabei ist offensichtlich, dass sie darauf kein Monopol haben.

Green Day: American Idiot

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