Spielanleitung: Dieses Spiel kann von allen gespielt werden. Frauen nennen sich dabei „Feministinnen“, Männer „Allies“. Bonuspunkte für diejenigen, die darauf hinweisen, dass sie sich weder als Mann noch als Frau empfinden und bereits diese Zweiteilung böse ist.
Zu Beginn des Spiels sucht man sich eine Gruppe, in der überwiegend Männer sind – zumindest der Außenwahrnehmung nach. Im Zweifelsfall guckt man auf die einflussreichsten Personen dieser Gruppe oder diejenigen, die offiziellle Posten haben.
Wichtig: Es muss eine Gruppe sein, bei der Geld im Spiel ist oder bei der wichtige Leute mediale Aufmerksamkeit bekommen, die sie als Sprungbrett für ihre Karriere / ihr Selbstmarketing nutzen können. Es hat also keinen Sinn, auf Obdachlose oder Gefängnisinsassen zu schauen.
Im nächsten Schritt weist man auf die Ungleichverteilung der Geschlechter innerhalb dieser Gruppe hin und erklärt dies mit Sexismus. Entscheidend ist, dass man sich nicht auf einzelne Vorfälle, Personen oder die Vergangenheit beschränkt, nein, grundsätzlich sind alleine aufgrund der wenigen Frauen alle Mitglieder automatisch sexistisch. Diejenigen, die sich tatsächlich sexistisch verhalten, sind denn auch leicht für Außenstehende zu erkennen; wer sich bisher nichts hat zuschulden kommen lassen und beteuert, kein Sexist zu sein, ist hingegen perfide, weil er sich weigert, seinen verinnerlichten Sexismus anzuerkennen.
Im günstigsten Fall ist die Gruppe groß genug, dass sich dort ein paar Idioten ohne Manieren befinden, die sich daraufhin dankenswerterweise komplett danebenbenehmen. Diese Entgleisungen stellt man nun als stellvertretend für alle Reaktionen dar, die man auf die eigene „Enthüllung“ bekommen habe. Jetzt ist man ein verfolgtes Opfer, dessen Wahrheiten eben zu unbequem sind, als dass sie von dieser schrecklichen sexistischen Community akzeptiert werden können.
Frauen sollten an dieser Stelle weinen, Männer in den aggressiven Abwehrmodus umschalten. Spätestens jetzt kann man die Solidaritätskarte spielen: Wer will diesen Leuten, die unverdient soviel Hass abbekommen haben, nicht helfen? Und wer würde angesichts einer solchen Eskalation nicht die Gegenseite vollkommen abscheulich finden? Nun kann man einfordern, dass jeder sich für die eigene Seite erklären muss. Es gibt keine Neutralität: Wer nicht für einen ist, ist gegen einen (vgl. George W. Bush, Sith). Ab jetzt kann man Taten einfordern, durch die die richtige geistige Haltung demonstriert wird, etwa Geldspenden, einen Vortrag bei einer Konferenz oder einen Anti-Sexismus-Beauftragten-Posten.
Eine menschliche Gemeinschaft, die so sehr mit inneren Feinden beschäftigt ist, wird darunter natürlich leiden. Deswegen ist es wichtig, gegebenenfalls von Bord zu gehen, bevor man mit dem Kahn untergeht. Für die nächste Runde im Spiel kann man seine bisherigen Handlungen als „Erfolg im Kampf gegen Sexismus“ aufführen.
Was kommt als nächstes?
Und hier setzt das große Ratespiel ein: Wir hatten zum Beispiel bereits politische Organisationen wie die Piratenpartei und Popkultur (Computerspiele, Comics, Metal). Auf welchem Spielfeld wird als nächstes eine Runde „Blame Game“ gespielt? Vorschläge werden angenommen!
Mir wären ja Hoverboards am liebsten, weil wir dann 2015 wie versprochen Hoverboards hätten. Wie wäre es mit einem Aufreger darüber, dass das Hoverboard des einen Mädchens rosa ist? Mir schwebt (ha, ha!) eine Schlagzeile vor wie „Mattel produziert sexistisches Spielzeug“.
Zurück in die Zukunft II: 2015
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein Lied, das man auch im Jahre 2015 noch hören wird.
Ich muss vorausschicken, dass ich Khaos.Kind in der Vergangenheit als gemäßigte und durchaus (in gewissen Grenzen) diskussionsbereite Feministin erlebt habe. In Ihrem Blog hat nun – wie schon viele Feministinnen vor ihr – eine Kritik am System des Pick up veröffentlicht.
Sie stellt dabei erst einmal aus meiner Sicht richtigerweise fest, dass es bei Pick up gar nicht vordergründig um Frauen geht, sondern erst einmal für den Mann um die eigene Verbesserung und den eigenen Persönlichkeitsaufbau. Daran kann ich beim besten Willen nichts Schlechtes erkennen.
Was so gut wie nie erwähnt wird, ist, dass zwei Drittel der Arbeit aus Selbstverbesserung besteht. Von der Auswahl eines Stylings, dass die eigenen Vorzüge hervorhebt bis hin zu grundlegenden Dingen wie „dusche regelmäßig, benutze Deo, mach dein Bett jeden Tag“. Sachen, die selbstverständlich sein sollten aber wohl bei einigen nicht angekommen sind.
Weiterhin stellt Khaos.Kind fest, dass Pick up zu einem gewissen Teil von einer Community lebt, in der die Nutzer sich austauschen und auch, dass Pick up tatsächlich funktionieren kann. Was ist daran jetzt also so schlimm?
Ein Punkt, der mich im Buch von Neil Strauss überrascht hat, war, dass er keinen Hehl daraus macht, wie misogyn und zerstörerisch Pick up ist.
Hui „zerstörerisch“ soll Pick up also sein. Wie kommt Khaos.Kind zu diesem Schluss?
Wer ein guter Aufreißer sein will, muss „üben“. Muss also oft raus- und ausgehen, muss viele Personen ansprechen und lernen, dass fremde Menschen nicht beißen. Muss viele Sachen ausprobieren und viele Nummern oder Küsse oder Sex „sammeln“. Wie weiter oben bereits ausgeführt, werden die einzelnen Personen zu Objekten, werden austauschbar. Frauen werden nicht als Persönlichkeiten gesehen, sondern gelistet und ins System eingefügt als „Hot Babe“, kurz HB auf einer Skala von 1-10. Diese gilt es anzusprechen und für sich zu gewinnen. Von welchem Schönheitsbild sie ausgehen, will ich gar nicht so genau wissen.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Feministinnen auf Pick up wie auf ein rotes Tuch reagieren, weil Pick up gerade nicht davon ausgeht, dass jede Frau ein absolut einzigartiger faszinierender Schmetterling sei, sondern sich zumindest in wesentlichen Punkten sehr gut in ein Raster einsortieren lässt. Aus feministischer Sicht wird die Frau damit aber immer gleich „zum Objekt degradiert“.
Wenn man von einem Frauen- und Beziehungsbild ausgeht, bei der es nur darum geht DIE einzig wahre für einen vorherbestimmte Liebe, die einzig wahre Frau für das gesamte Leben zu finden, mag Pick up einen etwas desillusionieren. Ja, Frauen (und Männer auch) sind insbesondere auf der ersten Stufe des Kennenlernens tatsächlich sehr gut austauschbar. Wenn eine Frau kein Interesse hat, ist es nach Pick up völlig unproblematisch möglich, sich einfach einer anderen Frau zuzuwenden. Ich finde das nicht verwerflich. Und was wäre denn die Alternative? Einer Frau die einen abgewiesen hat ein Leben lang nachtrauern und einsam und unglücklich sterben? Oder trotz einer Abweisung die Frau weiter bedrängen um sie doch noch zu überzeugen? Die Grenze zum Stalking ist hier nicht mehr weit.
Das Problem ist, dass gesellschaftlich gerne ein Bild von Paarfindung propagiert wird, dass mit der Realität nicht übereinstimmt. Männern wird hier oft vorgegaukelt, dass man nur „nett genug“ zu Frauen sein müsse, um eine Partnerin zu finden oder das „die einzig wahre Liebe“ irgendwo dort draussen wartet und nur gefunden werden müsse. Ich kenne eine Menge netter einsamer Männer, die allein auf diese Sichtweise gestellt todunglücklich sind. Pick up befreit den Mann von vermeintlichen Mächten des Schicksals und gibt ihm das Heft des Handelns selbst in die Hand. Zerstört wird letztendlich nur ein weichgezeichnetes ohnehin unrealistisches Beziehungsbild, wie es gerne in zuckrigen amerikanischen Liebeskommödien entworfen wird. Die Realität sieht aber anders aus.
Was Khaos.Kind weiterhin stört ist natürlich, dass Pick up auf einem theoretischen Ansatz zu Geschlechterverhältnissen beruht, der sich nicht mit der Sicht der Gender“wissenschaft“ auf die Welt deckt.
„Zudem basiert Pick up auf äußerst fragwürdigen Annahmen. Etwa der These, dass Frauen seit jeher die Wahl über ihre Sexualpartner treffen (weil wenige Eizellen und die müssen sie evolutionsbiologisch gut einsetzen – ja, dieser Quatsch). Ein Hohn gegenüber gesundheitlichen Risiken (der hohen Kinder- und Müttersterblichkeit bis vor wenigen Jahrzehnten in westlichen Gefilden) und gesellschaftlichen Verhältnissen (Eltern/Vater wählen Ehepartner aus, Ideal der Jungfräulichkeit bis in die Ehe, Vergewaltigungen, gesellschaftliche Ächtung alleinstehender Frauen). Diese Annahmen werden wahlweise gemischt mit Pseudowissenschaften wie der Neurolinguistischen Programmierung (NLP) und Alltagspsychologie à la Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.“
Man kann das natürlich gerne diskutieren, aber es stellt sich natürlich die Frage, ob der Ansatz denn so falsch sein kann, wenn er in der Praxis funktioniert. Und Praxistauglichkeit ist ja etwas, das man den Ergebnissen und gesellschaftlichen Verhaltensempfehlungen der Gender“wissenschaft“ auch nicht gerade bescheinigen kann.
Nachtrag: Wenn eine Frau Pick up erfunden hätte, um Frauen zu ihrem Wunschpartner zu verhelfen, würde man sie vermutlich als feministische Gallionsfigur feiern, die Frauen zu einer selbstbestimmten Sexualität verhilft.
Was soll man an einem Tag wie heute schreiben? Einen Friedensgruß zu Weihnachten? Das passt mir irgendwie nicht in dieses Blog, in dem ich doch gerade auslebe, dass ich mit vielen Dingen nicht einverstanden bin. Ich kann auch schlecht einfordern, dass doch jetzt bitte alle schön friedlich werden – das wäre anmaßend und widerspräche meinem Verständnis von Freiheit. Andererseits hatte ich einen Adventskalender versprochen und der hat nun einmal auch ein Türchen für die 24.
gerade in der Weihnachtszeit, in der die Familie, die Liebe und gefühlsbetont der Zusammenhalt der Menschheit hochgehalten werden, schwappen die Wogen der Enttäuschung und Verbitterung verstärkt an die Oberfläche.
Ich bleibe aber dabei: wir tun uns kein Gefallen, wenn wir nicht im politischen Dialog das Kunststück fertigbringen, souverän über unserem Leid zu stehen und die Türe offen zu halten für eine Annäherung der doch nur scheinbar diametral entgegengesetzten Meinungen.
auch dann obliegt es uns, das Prinzip einer ergebnisoffenen Auseinandersetzung hochzuhalten, das vor allem dem vermuteten „Gegner“ respektvoll unterstellt, sie/er (…) führe grundsätzlich die besten Absichten im Schilde.
Dem Gegner in einer Auseinandersetzung Ehrbarkeit zuzugestehen, das klingt für Diskussionen im Internet natürlich so exotisch wie ein konstruktiver Youtube-Kommentar. Dennoch, als Hinweis auf einen gesitteten Umgang möchte ich das gerne erwähnen – ungeachtet der Tatsache, dass ich oft nicht über mich hinauswachse und so edel handele, wie ich es jetzt hier als Positivbild beschreibe.
In diesem Zusammenhang fällt mir eine andere Genderama-Meldung aus diesem Jahr ein, die eigentlich als Nicht-Meldung hätte untergehen können: Tristan Rosenkranz schreibt kein Buch. Es ging um ein Manuskript namens „Akte Jugendamt“. Letzten Endes hat sich der Autor von diesem Projekt verabschiedet:
Grund für diese Entscheidung ist der Umgang einiger Betroffener mit Andersdenkenden und -handelnden. Verständlicherweise sammeln Eltern, denen die Kinder weggenommen wurden, zwangsläufig eine zu große Menge an negativen Erfahrungen und Emotionen, um damit immer umgehen zu können.
Wenn diese Emotionen jedoch gegen Menschen gerichtet werden, die ein erhebliches Maß an Lebenszeit darin investieren, ihrer Betroffenheit und dem erfahrenen Unrecht eine Stimme zu geben, ist rasch das Maß des Erträglichen erreicht. Aussagen werden ins falsche Licht gestellt, eigene Beweggründe auf Feindbilder gespiegelt und projiziert, Vergleiche des Jugendamtes und seiner Mitarbeiter(innen), aber auch jener Engagierten der Gegenseite, die das Gespräch mit unterstützungsbereiten, politischen Institutionen suchen, mit der Gestapo bemüht, Lokalpolitiker ohne Chance auf Wortmeldung angeschrien, Andersdenkende als „Verräter“ und „Freunde des Jugendamts“ bezeichnet.
Ich glaube nicht, dass man ein Buchprojekt, an dem man jahrelang gearbeitet hat, leichtfertig aufgibt. So ein Buch hätte sicher so auf so manches wenig Bekannte Licht werfen können. Ich finde es ehrenhaft von Tristan Rosenkranz, insbesondere die Verunglimpfung des Gegners zu ächten auch in einer Sache, bei der es zentral darum gegangen wäre, Missstände auf der anderen Seite aufzudecken.
Es muss frustrierend sein, so eine Arbeit schließlich aufzugeben. Die Kräfte sind begrenzt. Man lese sich mal die Kommentare unter diesem Artikel durch.
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein Klassiker vom kürzlich verstorbenen Joe Cocker.
(Die Einleitung zum ersten Teil lohnt es sich auf jeden Fall zu lesen. Hier soll es aber direkt weitergehen, es wird ja noch lang genug.)
Gamergate – und die Computerspieler
Dieses Thema hätte ich gerne schon früher angesprochen, aber es ist leider sehr verwoben mit anderen. Entweder man muss bewusst etwas auslassen (so dass man sich bewusst dem Vorwurf aussetzt, nicht das ganze Bild präsentiert zu haben) oder man kommt überhaupt nicht auf den Punkt. Es gibt beim Gamergate mindestens drei weitere Fässer, die man ebenfalls aufmachen muss:
Fass 1: Anita Sarkeesian
Fass 2: Quinnspiracy
Fass 3: Notyourshield
sowie diverse Nebenkriegsschauplätze (Comicgate, Metalgate usw.)
Anita Sarkeesian
Die Dame ist entweder die Heilsbringerin der neuen, modernen Weltordnung oder ihr Untergang – dazwischen gibt es eigentlich kaum eine Einschätzung. Gut, das war jetzt übertrieben.
Dirk M. Jürgens hat sich etwa bei Buddelfisch etwas nüchterner mit ihren Videos beschäftigt:
Ansonsten ist Anita Sarkeesian schon polarisierend: Für bestimmte feministische Kreise ist sie die Heldin, für manche andere Leute nur noch nervig. Ich erinnere mich an ihr erstes Video, bei dem sie kritisch über Computerspiele berichtete. Einige interessante Ideen, über die es sich zu diskutieren lohnen würde, aber mir war das alles zu schwarzweiß dargestellt.
Sarkeesians Ziel war es, Geld für eine Videoserie einzusammeln, was ihr mehr als gelungen ist, da ein Vielfaches der angezielten Summe zustandekam. Sie hat es geschafft, durch geschicktes Selbstmarketing inzwischen ihren Lebensunterhalt mit den Themen „Videospiele“ und „Feminismus“ zu bestreiten.
Das ruft natürlich Neider ebenso wie Kritiker auf den Plan. Erstere sind eine nervige Plage; letztere ein notwendiges Korrektiv, denn jeder, der Macht und Einfluss gewinnt (und das kann man Sarkeesian zumindest in den Medien nicht absprechen), muss sich auch kritisch beleuchten lassen. Da kam eine ganze Palette zusammen: Ihre Darstellung sei zu einseitig und wissenschaftlich unredlich, denn sie blende Beispiele aus, die ihr widersprechen würden. Sie sage in einem Video, sie habe Computerspiele seit ihrer Kindheit gespielt, in einem anderen, sie habe nie Computerspiele gespielt. Ihre Behauptung, die Darstellung der Welt in Computerspielen sei prägend für Handlungen und Denkweisen in der realen Welt, sei nicht bewiesen. Schließlich wurde ihr noch ein unsouveräner Umgang mit Kritik vorgeworfen: Natürlich gebe es bei einer hinreichend großen Zahl an Reaktionen immer einige, die vollkommen indiskutabel seien, aber so zu tun, als sei damit die gesamte Kritik wiedergegeben, sei verzerrend.
Der Wissenschaftler Thunderf00t (der übrigens – natürlich völlig überraschend! – zu den prominenten Fällen gehörte, die ohne vernünftigen Grund bei Twitter gesperrt wurden) hat in seinem Kanal eine ganze Reihe kritischer Videos zu Anita Sarkeesian gemacht. Erwähnen möchte ich jedoch etwas leichtere Kost, nämlich seine Persiflage auf die benannten Videos über Computerspiele: Parodie (Teil 1) Parodie (Teil 2)
Quinnspiracy
Es fing für mich an mit einem Youtube-Video namens „The Quinnspiracy Theory – The Five Guys Saga“ von jemandem namens „Internet Aristocrat“ (das Konto gibt es inzwischen nicht mehr; dasselbe Video an woanders). Ich kannte ihn bereits aus einem anderen Zusammenhang als jemanden, der lieber scharf austeilt, als undeutlich zu sein.
Der Beginn ist äußerst unappetitlich: Der Ex-Freund der Spieleentwicklerin Zoë Quinn hatte in einem Blog schmutzige Wäsche gewaschen und war mit allerlei Vorwürfen angekommen.
Was der Internet Aristocrat zu bieten hat, ist erst einmal nichts Neues: Die Mainstreammedien sind verkommen und einseitig, Blogs im Internet wären eine Hoffnung auf Besserung gewesen, aber sie seien inzwischen ebenfalls verlogen. Das klingt nach enttäuschter Liebe.
Er präsentiert Quinn als eine Person, die sich als Opfer darstellte, um ihre Karriere voranzubringen. (Der Fall „Wizardchan“ wäre noch ein Extrafass. Übrigens bekam sie daraufhin Unterstützung von Anita Sarkeesian.) Hinzu kommt im Video die Verdächtigung, mit fünf konkret benannten Spieleentwicklern / -journalisten ein privates Verhältnis zu haben bzw. gehabt zu haben. Ergänzend wird die Beschuldigung zitiert, ein feministisches Spieleentwicklungsprojekt sabotiert zu haben (Quinn hatte ein eigens Vorhaben in dieselbe Richtung).
Nüchtern betrachtet also erst einmal nichts Spektakuläres. Einige der Vorwürfe könnte man prüfen (Wizardchan, Spieleprojekt). Anderes gehört nicht an die Öffentlichkeit gezerrt (Privatleben).
Zur engen Verbandelung von Machern und Journalisten sei zudem gesagt, dass das ein grundlegendes Problem ist, das in andernsorts ebenso begegnet: Man denke an die Sportberichterstattung, bei der die Reporter natürlich auch Fans sind und zum Teil Ex-Profis, die „die Seiten gewechselt“ haben. In kleineren Popkulturszenen ist es ohnehin schwer, den Fan vom Schreiber zu trennen. Bei den Computerspielen kommt das zum Tragen, wie etwa der in der Branche tätige Tom in Mein Senf aufführt.
Das eigentliche Gamergate
Das alles wäre also keiner Aufregung wert bzw. hätte recht sachlich abgehandelt werden können. Zum Skandal wurde es erst, als verschiedene Internetmagazine anfingen, Computerspieler generell als frauenhassend, sexistisch und was weiß ich noch zu beschimpfen und zu behaupten, die Zeit der Gamer sei vorbei. Ob man dadurch dem Vorwurf entgehen wollte, selbst sexistisch und frauenverachtend zu sein, oder tatsächlich davon überzeugt war, das richtige im Dienst einer edlen Sache zu tun – es war so oder so eine dumme Idee, die umso dümmer erscheint, je mehr man es sich überlegt:
Wer irgendetwas mit Popkultur macht, muss doch wissen: Nichts ist rachsüchtiger als enttäuschte Fans.
Seine eigenen Kunden zu beschimpfen ist ein Geschäftsmodell, das generell nicht mit sehr viel Aussichten auf Erfolg versehen ist. Es dauerte auch nicht lange, und die Leser fragten bei diversen Unternehmen, die für gewöhnlich Anzeigen schalteten, mal ganz unverbindlich an, ob sie denn weiterhin dieses oder jenes Magazin unterstützen wollten. Ergebnis: Einnahmeausfälle im angeblich siebenstelligen Dollarbereich.
„Mit Kanonen nach Spatzen schießen“ geht leicht nach hinten los. Wenn ich berühmt und erfolgreich bin und irgendwelche Leute über mich im Internet sich einen abranten – was soll’s? Lasst sie doch reden. Je mehr ich mich ihnen widme, desto größer mache ich sie dabei und gebe ihren Aussagen mehr Gewicht, als sie ursprünglich hatten. Dementsprechend war es ebenso überzogen, die Kritiker-Videos mit fadenscheinigen Begründungen von angeblichen Urheberrechtsverletzungen aus dem Verkehr zu ziehen.
Man stelle sich vor, in der Kneipe um die Ecke sitzt seit Jahren ein Typ, der herumlästert, was die in der Regierung doch für Verbrecher seien. Eines Tages wird er vor aller Augen von der GSG9 abgeholt.
Die psychologische Wirkung ist doch klar: Plötzlich muss man annehmen, dass an seinen Aussagen etwas drangewesen sein muss.
Dabei beweist das alleine ja nichts. Dass nicht die eigentlichen Vorwürfe zum Skandal werden, sondern der unsouveräne Umgang mit ihnen, ist nicht neu. Das kann gleichermaßen dann eintreten, wenn man unschuldig ist (siehe Christian Wulff).
Plötzlich taten sich Gräben auf, die überhaupt nicht nötig gewesen wären und in denen die Welt zweigeteilt wurde in die guten Entwickler und Journalisten, die Opfer von bösen Trollen und Stalkern würden und die bösen Computerspieler, die alle weiß, männlich, heterosexuell und im richtigen Leben Versager sein müssten. Die Übereinstimmung dieses Feindbildes mit einem Zerrbild, das im Radikalfeminismus gezeichnet wird, war dabei nicht zufällig, schließlich bezeichnen sich mindestens einige der Protagonisten auf Seite der „Guten“ als feministisch.
Es hatte etwas Surreales: Man hatte sich der Mission verschrieben, das Klischee der bedrohten Frau zu überwinden, indem man dramatisierend die Geschichte bedrohter Frauen erzählte. Mit anderen Worten: Alkoholsucht überwinden durch ordentlich Saufen!
Dabei hätten wenige Minuten Lesen im Popkultur-Wiki „TV Tropes“ bereits ein vielfältigeres Bild ergeben, als es Anita Sarkeesian in ihren Videos verbreitet. Man beachte etwa den Artikel Damsel In Distress (etwa „Dame in Not“), ein Begriff, auf den sie oft zurückgreift. Da wird verwiesen auf dieselbe Situation mit vertauschten Geschlechtern oder die Negation dieses Erzählklischees.
Auch über Seximus kann man dort eine Menge lernen. Unter dem Schlagwort Double Standard (Doppelstandard) findet man die Unterkategorien „Sexistisch gegen Männer“, „Sexistisch gegen Frauen“, „Sexistisch gegen beide“, „Oft sexistisch in der Ausführung oder Umsetzung, aber nicht sexistisch in der Natur der Sache“ sowie „Nicht-geschlechtsbezogen / andere“ (jeweils meine Übersetzungen).
Und so ist ein kleines, aber beliebtes Wiki schlauer als so manches Internetmagazin mit seiner einseitigen Darstellung. Ich wage mal die These, dass nicht zuletzt deswegen die Vorwürfe, Computerspieler seien alle sexistisch und würden Frauen als Helden nicht akzeptieren, vielen so sauer aufgestoßen sind. Denn wer anderes als große Fans von Popkultur sammelt mit Feuereifer Beispiele für Erzählklischees und ihre Brechung? Und wer regt sich am meisten darüber auf, wenn die Geschichte zu einem Spiel mal wieder nach Schema F verläuft? Die Hardcore-Popkultur-Fans sind es doch meistens, die überhaupt dafür sorgen, dass ungewöhnliche Ideen (und dazu gehören auch Charaktere, Figurenkonstellationen, Plots) plötzlich unerwartete Erfolge feiern und massenkompatibel werden. Produkten, die von Anfang an für einen großen Markt konzipiert werden, fehlt oft die Innovation – das Ausgefallene, das experimentierfreudige Fans so lieben.
Notyourshield
Die Idee, alle Computerspieler sozial ächten zu können, ist insgesamt gescheitert. Zum einen hat man verkannt, welche demographische Zusammensetzung die Konsumenten inzwischen haben: Das sind nicht mehr irgendwelche Teenager, das ist die Mehrheit der Bevölkerung, und entsprechend bunt. Zum anderen hat man kurioserweise die Bedeutung des eigenen Berichtsgegenstandes unterschätzt.
Für Leute wie Jayd3Fox (deren Youtubekanal es inzwischen nicht mehr gibt), die Außenseiter waren, eventuell introvertiert und gemobbt, waren Computerspiele extrem wichtig. Wer in der Vergangenheit bereits ausgegrenzt wurde, der reagiert natürlich umso sensibler auf jeden Versuch, erneut stigmatisiert zu werden. „Die wollen uns etwas wegnehmen, was früher unser Rückzugsort war!“ – so etwa die Haltung verärgert Computerspieler, die dann wiederum aktiv wurden. So sammelten sich dann unter dem Motto „Notyourshield“ alle möglichen Leute, auf die nicht alle Kennzeichen der „Bösen“ zutrafen, um zu zeigen, dass Computerspieler in der Realität sehr unterschiedlich sind und dass sie, die Angehörigen angeblich bedrohter Minderheiten, sich nicht als Schutzschild für eine Kampagne gegen Computerspieler benutzen lassen würden.
Die stärkere Reichweite von Internetmagazinen und die größere Bekanntheit von Protagonisten wie Anita Sarkeesian war zunächst ein Vorteil für die „Guten“. Auf der anderen Seite hat man sich mit den Computerspielern eine Gruppe ausgesucht, die internetaffin ist, also zumindest teilweise versteht, das Medium für sich zu benutzen. Außerdem sind Gamer es gewohnt, sich gegen haltlose Unterstellungen zu wehren („Ballerspiele führen zu Amokläufen“).
Zwischenfazit
Gamergate ist nicht vorbei, die „Gamer“ haben nicht gewonnen. Man schaue sich etwa an, was derzeit Achdomina auf seinem Twitterkonto alles zitiert. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass man nicht irgendwelche Gruppen kollektiv als böse brandmarken kann und damit durchkommt.
Dass es plötzlich überhaupt so ein Bohei um Computerspiele gibt, nachdem sie jahrelang als Hobby für Außenseiter und unattraktive Männer galten, hat wohl mit ihrem Erfolg zu tun und den Summen, die in der Branche inzwischen kursieren und das Budget so manches Films überschreiten. Überspitzt dargestellt ist dieser Wandel in einem Fundstück bei Meinungen und Deinungen. Arne Hoffmann hatte dasselbe Prinzip in anderem Zusammenhang einmal so zusammengefasst:
Generell beginnen Feministinnen sich dann für ein Projekt zu interessieren, sobald es erfolgreich zu werden scheint (…), um sich dann zu beklagen, dass es ein reines Männerprojekt sei, das Frauen ausgrenze – gefolgt von Forderungen, dass es von jetzt ab gefälligst nach dem Kopf der Feministinnen gehen solle.
Um jetzt nicht grandios dieselben Fehler zu machen, die ich bei anderen anprangere: Ich finde obiges Zitat bezogen auf alle, die oder auch nur die meisten Feministinnen grundfalsch. Ich schreibe dieses Vorgehen einer kleinen Grupppe von Radikalfeministinnen zu, deren Beweggründe nach meiner Wahrnehmung nichts mit Gleichberechtigung oder sich „für Frauen einsetzen“ und viel mit Macht zu tun haben.
Zum Vergleich: Dirk M. Jürgens über die ganze Angelegenheit:
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal mit einem Orchester, das Stücke aus Computerspielen aufführt. Besser hätte man das Eintauchen einer Randkultur in den Mainstream nicht demonstrieren können.
Mit der Nachsilbe „-gate“ lockt man heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Sie wird inzwischen für alles verwendet, was zwischenzeitlich im Internet für (seien wir ehrlich: durchaus willkommene) Aufregung gesorgt hat.
Dennoch gibt es drei „Gates“ des Jahres 2014, an die ich noch einmal erinnern möchte. Sie sind drei Beispiele dafür, wie es nicht gelungen ist, die radikalfeministische Sichtweise durchzusetzen. Das finde ich beachtlich angesichts der Aussichtslosigkeit, mit der bisher – in der medialen Öffentlichkeit – bei Debatten stets diejenige Haltung gewann, die als „feministisch“ ausgegeben wurde, so zumindest meine Wahrnehmung. Der so präsentierte Standpunkt war dann modern, gut und damit alternativlos, alles andere Ressentiments von Ewiggestrigen oder herumheulenden Verlierern, die mit der heutigen Realität nicht Schritt halten konnten.
Zwei Einschränkungen an den Lesewert der folgenden Ausführungen möchte ich gleich vorweg machen: Es handelt sich weder um eine tiefgreifende Analyse noch um ein irgendwie empirisch unterlegtes Werk, sondern einzig um meine Einschätzung und gegebenenfalls Meinung. Außerdem ergibt sich darauf nicht automatisch ein Kochrezept, wie man in Zukunft vorgehen sollte, denn längst nicht alles ist von der eigenen Handlung abhängig, sondern knüpft an Vorbedingungen an, die entweder erfüllt sind oder nicht.
Ich fange an mit dem kleinsten der dreien. Beim Schreiben des Artikels wurde es soviel Text, dass ich schließlich mein ursprüngliches Ziel, alles in einem Rutsch abzuhandeln, aufgeben musste.
Fappygate – und Sascha Pallenberg
Die Ganzkurzfassung: Yasmina Banaszczuk alias FrDingens und Sascha Pallenberg haben sich auf Twitter wegen einer Nichtigkeit gefetzt. Dabei ging Frau Dingens, die den Streit auch vom Zaun gebrochen hatte, irgendwann verbal unter die Gürtellinie, was Pallenberg mit gleichen Mitteln konterte. Das wollte Banaszczuk als Skandal verkaufen und forderte Solidarität (für sich) und Sanktionen (für den Gegner). Das klappte jedoch nicht, so dass sie schließlich ihr Twitterkonto löschte.
Zwei Leute streiten sich im Internet – und das auch noch bei Twitter! Also damit konnte ja wohl niemand rechnen! Dagegen sieht die Meldung „Sack Reis in China umgefallen“ wie die nächste Titelschlagzeile aus. Die ganze Geschichte wäre auch nicht weiter erinnernswert, wenn sie nicht ein größeres Nachspiel gehabt hätte.
Das F in Feminismus steht für Freiheit.
(Anne Wizorek: Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute, S. 312; Fettschrift im Original)
Es ist bei einem Streit für Außenstehende meistens klüger, sich nicht auf eine Seite zu stellen. Dennoch finde ich Sascha Pallenbergs Reaktion souveräner. In seinem Kommentar – Yasmina Banaszczuk und die Hetzjagd der “Femtrolle” dokumentiert er den Streit (ich gehe hierbei davon aus, dass dies korrekt geschieht).
Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek nahm diesen Artikel zum Anlass, zu fordern, man möge Sascha Pallenberg keinen Platz mehr auf der re:publica geben. Das ist eine für sie sehr wichtige Konferenz (siehe o.g. Buch, S. 230), bei der sie stolz war, eine Feministin untergebracht zu haben (siehe o.g. Buch, S. 238; gemeint ist „re:publica 2011 – Jaclyn Friedman – How Feminist Digital Activism Is Like the Clitoris“; der Vortrag bei Youtube).
Nun teile ich Anne Wizoreks Haltung zu Hollaback nicht und ich habe bereits zwei perfide Stellen in ihrem Buch analysiert. Hier erlebt man jedoch in Reinform, wie sie sich Freiheit in den Farben des Feminismus vorstellt: Es geht darum, die Kritiker zum Verstummen bringen zu lassen (gut dokumentiert etwa mit genau diesem Beispiel bei Don Alphonso).
Sascha Pallenberg hatte in seinem Artikel, den Anne Wizorek offenbar verdammenswert findet, Aufschrei als wichtige Aktion bezeichnet. Er nahm auch den Sexismus-Vorwurf persönlich und führte aus, wie er Frauen auf techniklastigen Veranstaltungen auf die Bühne gebracht habe (ergänzt darum, dass diese Frauen später recht erfolgreich in ihrem Beruf geworden sind). Er lud seine Kontrahentin in eben jenem Beitrag ein, bei der nächsten re:publica aufzutreten. Er ergänzte in seinem nachfolgenden Beitrag „Kommentar: Diskussion anstatt Eskalation – Letzte Anmerkungen zu #fappygate„, wie er seit Jahren gegen Sexismus kämpfe, den etwa seine Firmenmitgründerin erlebe. Das entspricht nicht dem Sexisten aus dem Lehrbuch oder dem vom Sexismus ahnungslosen Mann, sondern klingt wie jemand, der sich der Problematik bewusst ist und sich aktiv dagegen einsetzt.
Und ausgerechnet dieser Mann sollte nun auf einer Konferenz keinen Platz mehr haben, auf die er seine Gegnerin in der Sache ausdrücklich eingeladen hatte? Da fiel er doch aus allen Wolken. Er war, völlig überraschend, nicht besonders angetan von Anne Wizoreks Buch und schrieb eine entsprechende Rezension. Im Rahmen der Diskussion über das Buch gab er via Facebook Einblicke, wie sich seine Wahrnehmung durch die Reaktion auf das „Fappygate“ verändert hat:
leider erweist diese Filterblase einer wichtigen Bewegung einen Baerendienst. Diese ganze Geschichte ist eher ein Paradebeispiel fuer narzisstische Persoenlichkeiten. Das ist alles sehr sehr schade, denn die damalige #aufschrei Kampagne hatte ich damals in aller Konsequent unterstuetzt. Leider habe ich viel zu spaet erkannt, in welcher bunten Welt Wizorek und Co. leben.
Der Streit von vor ein paar Wochen war rueckblickend Augen oeffnend.
Nach meinen Erfahrungen mit Frau Dingens, die selbstverstaendlich nun abermals wie Phoenix aus der Asche aufsteigt (im Rahmen meiner Recherche habe ich da relativ schnell ein bekanntes Schema erkennen koennen) und versucht subtil gegen mich nachzutreten, ist das was die „Zeugen Wizoreks“ auffuehren leider sehr vorhersehbar.
Die Rethorik, die verzweifelten Versuche den ueberschaubaren Mob zu mobilisieren…. all dies durfte ich ganz persoenlich waehrend der #Fappygate Geschichte erfahren.
Nur mich wirft sowas nicht aus der Bahn. IM Gegenteil, ich finde es durch motivierend sich einer derartig hasserfuellten und radikalisierten Sub-Bewegung entgegenzustellen. Die Menschen beim Namen zu nennen, die einem „die Beine brechen“ oder auf den „Kopf scheissen“ wollen.
Anne Wizoreks damalige Reaktion, sprich dafuer zu sorgen dass mich Veranstaltungen wie die re:publica mich nicht mehr einladen, zeigt ganz einfach wessen Geistes Kindes sie ist. Ein zur Selbstreflektion unfaehiges Maedchen, das in der #aufschrei Luftblase ihre finale Chance sah endlich was auf den Weg zu bringen, was sich auch finanziell auszahlt.
Was Sascha Pallenberg gerettet hat? Ich kann es nicht beurteilen. Vielleicht ist er wirklich eine so große Persönlichkeit in der Szene (die ich nicht kenne) und zu bekannt und vernetzt, als dass man ihn jetzt nebenbei brandmarken und entsorgen konnte. Vielleicht war Frau Dingens eine Nummer zu klein und er eine Nummer zu groß – absolut oder im Verhältnis zueinander. Beachtlich finde ich, dass er glaubhaft und ganz elegant vorweisen konnte, wie er sich selbst gegen Sexismus eingesetzt hat und dass er mit Kritikern lieber redet. Für eine Verurteilung durch den Radikalfemininus spielte das zwar keine Rolle, aber für einen unbeteiligten Zuschauer muss es doch absurd gewirkt haben, auf wen da eingedroschen werden sollte.
Das Fappygate ist aus der Rückschau denn auch in zweierlei Hinsicht interessant:
Zum einen wurde hierbei der Bann gebrochen, dass „die Feministen“ immer Recht bekommen (bzw. diejenigen, die sich als solche bezeichnen und als Vertreter der reinen Lehre auftreten). Zum anderen wurde dabei jemand, der von den ursprünglichen Aktionen überzeugt war und es von dem eigentlichen Ziel nach wie vor ist, nachhaltig von der Gruppe der Radikalen abgeschreckt, so dass er inzwischen gegen sie auftritt. Interessant auch, dass Sascha Pallenberg auf Facebook dann Hinweise von Arne Hoffmann entgegennahm und sich etwa einen Artikel von Lucas Schoppe durchlas, dem er zustimmte.
Abschließend möchte ich Pallenberg noch aus seinem zweiten Blogeintrag zitieren. Da sagte er etwas, das zu einem Fundstück, in dem es um die Wahl der Mittel geht, sehr gut passt:
Wir koennen nicht Toleranz fuereinander einfordern, wenn wir uns selbst wie die intolerantesten Trottel verhalten.
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Dieses Lied passt aufgrund seines Hintergrundes zum Auslösers des „Skandals“.
Es folgt ein Gastartikel von Emannzer. Vielen Dank!
Ein ziemlich persönlicher Beitrag, der viel in der ich-Form geschrieben sein wird. Einer, der mancher egozentrisch anmuten könnte und dennoch mal das beschreibt, was jeden Tag in diesem Land passiert.
Genetik bedeuted, dass zwei Menschen sich sexuell vereinigen und etwas Neues daraus entsteht. Diese Vererbungslehre bedeutet aber aber ebenfalls, dass aus dem natürlichen Prozess von „Mutation und Selektion“ etwas evolutionionäres entsteht. Quasi eine Art ‚Unsterblichkeit‘ auf begrenzte Zeit, denn mit jeder Generation halbiert sich potenziernd die Wahrscheinlichkeit, in seinen Enkelskindern weiter zu leben.
Aber das soll hier nicht das Thema sein und es geht auch nicht um irgendwelche Diskussionen oder abgehobenen Beiträge zum Thema „Sozialisation“ oder ähnlichem.
Es geht schlicht und einfach um einfach um das hier:
Abtreibung
Die etwas dramatisch wirkende Überschrift oben, mag polarisierend klingen – so man denn den einleitenden Text nicht verstanden hat. Aber er ist es nicht im Kontext der Fortpflanzung – und ich stellte im Laufe meines Lebens fest, dass es ausgeblendete Grauzonen in der Gesellschaft gibt, die bis heute kaum einer Betrachtung wert waren, denn „ihr Bauch gehört ihr“. Ist dem wirklich so, oder reden wir von einer Gruppe Narzisstinnen, die sich nabelzentriert nur um sich selbst dreht und dabei vergisst, dass es immer zwei Seiten gibt.
Der Auslöser zu diesem Thema war ein Beitrag von Graublau hier und es ging um das Thema „Sexuelle Selbstverantortung und Fortpflanzung“, sinngemäß. Daraus entspann sich eine Diskussion, welche u.a. im Thema Abtreibung mündete. Und diese hatte, bei bestimmten Menschen, immer den gleichen Grundtenor: Die Mutter trägt das Risiko, der Vater hatte seinen Spaß und sollte diesbezüglich auch nichts zu melden haben.
Dies ist nun stark ‚abstrahiert‘, stellt aber dar, wo ein Vater-in-spe steht – und wo sich eine Mutter-in-spe zu wähnen scheint: „Eine links, eine rechts und einen fallen lassen“ (es geht ums Stricken)
Irgendwann platzte mir der Kragen und ich brachte mich um eine Nacht, in einer hitzigen Diskussion, welche u.a. so (und nicht direkt) kommentiert wurde:
Beim Thema Abtreibung gibt es überhaupt keinen maskulistischen Konsens und keine Forderungen, sondern lediglich Vorschläge wie dass Väter ihren Widerspruch zumindest offiziell festhalten können und im Fall einer Traumatisierung aufgrund ihrer Machtlosigkeit, bei der Tötung ihres Nachwuchses kein Einspruchsrecht zu haben, bessere therapeutische Hilfe erhalten sollten.
Was passiert in diesen und zahllosen anderen Fällen? Feministinnen führen sich in einer unfassbaren Weise auf und steigern sich in die schrillste Empörung hinein, weil Männer ihren diversen Behauptungen und Wünschen überhaupt noch zu widersprechen wagen, statt bei all diesen Fragen ausschließlich radikalfeministische Maßstäbe gelten zu lassen. Diese „Empörung“ erinnert regelmäßig an die Tobsuchtsanfälle von Vierjährigen“
Bevor ich dieses Zitat auf Genderama las, hat mich diese unglaublich ‚emanzipierte‘ Diskussion; nebst einer Argumentation auf selbstfixierter Ebene derartig ‚getriggert‘ und ‚gespoilert‘, dass ich in nachtschlafender Zeit das Folgende schrieb:
Die Frau, die ich mal liebte wurde schwanger – und hat abgetrieben. Es war sicherlich nicht einfach für sie – aber ebenso sicher fehlte jede persönliche und gesellschaftliche Empathie dafür, wie sich der Partner dabei fühlt und was er gerne gewünscht hätte.
Und dieses auch auf eigenes finanzielles Risiko, ohne Regressansprüche, durchzuziehen bereit wäre. Der Name des Kindes hätte (so ein Junge) Julian gelautet – auch wenn er jurististisch nur ein Es bis dato war. Nun liegt der fiktive “er” auf dem Komposthaufen ungelebter Geschichte.
Tja, das ist lange her, seit es mir passiert ist (bzw. ich erleben musste). Hier also nun die Geschichte hinter der Geschichte und ich hoffe, die lange Einleitung hat, bis jetzt, noch niemanden zum Einschlafen gebracht.
Es ist eine kleine Geschichte der Zeit, unter der Männer heutzutage sozialisiert werden, aufwachsen müssem und mit deren Nebenwirkungen sie halt zu leben haben – bzw. zu leben lernen müssen, in diesem Zeitalter einer ‚Selbstbestimmung‘. Es ist die Geschichte eines Vaters in spe, welcher mitabgetrieben wurde und das Selbstbestimmungsrecht über sein Erbgut verlor:
Mein Name war Julian
Niemand kennt mich, niemand nimmt Notiz von mir und niemand nimmt mich wahr – denn ich existiere nicht und werde es auch niemals tun.
Denn ich war ein „Zellklumpen“, juristisch ein Ding und neuronal noch nicht ausgebildet. Und ich war zur falschen Zeit wohl falschen Ort.
Es war ein schöner Vorsommertag, als ich mit meiner Freundin Konstanze in einem Park spazieren ging. Händchenhaltend und verliebt gingen wir also spazieren und anschließend ins näheste Café. Ein traumhafter Tag also.
Während wir Kaffeer tranken, uns übereinander freuten, den späten Frühling genossen, da kam es dann plötzlich:
„Ich bin schwanger“
Und mein Herz machte (tatsächlich) einen Aussetzer vor Freude, und froher Erwartung, sodass ich anfangs gar nicht den ernsthaften Ausdruck in ihrem Gesicht bemerkte. Erst viele Sekunden später bemerkte ich diesen auch.
Und mir wurde kalt und klamm ums Herz, denn ich ahnte, was wohl anschließend folgen wird. Meine diesbezügliche Intutition wurde auch nicht ‚enttäuscht‘:
„Ich werde abtreiben“
In ihem Gesicht las ich die gleiche Verzweiflung, welche mich im selben Moment überkam und ich fragte nach dem Grund. Die Antwort hatte nichts uns zu tun, sondern mit ihrem (fehlgeschlagenem) Unternehmertum dahinter (was aber auch nicht weiter zum Thema beiträgt i.Ü.)
Mich übermannten Gefühle einer völligen Verzweifelung, der bizarren Vorstellung es ihr auszureden und der stillen Hoffnung, das es dennoch nicht soweit kommen wird, wie prophezeit.
Und da diese Frau mich liebte, wie ich sie eben auch, war es eben auch für sie wohl nicht einfach, da eher der introvertierte Typ auf exaltierte Art. Um ehrlich zu bleiben, sie hat wohl auch mit sich gerungen.
Und was waren meine Optionen?
Nun, sie waren klitzeklein. Sozialisiert, wie man als Mann heutzutage zu sein hat, ergab ich mich meinem Schicksal, das eines ungeborenen Kindes zu ebengleichen werden sollt. Ich sagte:
„Ja – ich freue mich auf unser Kind“ und gleichzeitig „Ja, ich respektiere deine Entscheidung“ (was ich auch tat – und ‚was anderes hätte ich auch tun können, in diesem Land).
Um nicht missverstanden zu werden: Sie kämpfte mit sich selbst und wusste sogar das Sternzeichen , welches sie recherchiet hat. Sie machte es sich also auch nicht einfach. So rungen wir mitenander und wurden uns nicht einig.
Die Realität ist grausam
Das sind nicht meine Worte, sondern die von der Frau, welche ich mal liebte. Sie nannte diese im Zusammenhang mit der vorgeschriebenen Ultraschall-Untersuchung und meinte, dass es weh tut, einen Herzschlag sehen zu können; den man noch niemals gesehen hat.
Ich biss damals die Zähne aufeinander und fragte dennoch, warum wir diesen Puls nicht am Leben halten können. Es gab niemals eine Antwort darauf.
Und weil ein ‚Unglück‘ wohl selten allein kommt, kam am Tag vor dem Abort eine Dokumentation über das werdende Leben.
Niemals werde ich vergessen, wie ich in diesem Moment Rotz und Wasser heulte und die Ex mit starren Augen (ohne erkennbare Gefühlsregung auf den Monitor starrte). Vielleicht begriff ich in diesem Moment:
Realität ist kein Ponyhof.
Wie auch immer, am nächsten Tag stand die Abtreibung an. Und Ex kämpfte damit, auch wenn ich solche Fragen wie „sollen wir das wirklich tun“ schon etwas schräg empfinde, im Kontext der Optionen.
Es hat sehr weh getan!
Einige Stunden später war es vorbei. Schluss, Aus, Feierabend! ES war weg und ich fix und fertig. Das war schlimm, noch schlimmer empfand ich allerdings dieses hier:
„Es war mein Problem – nicht deins!“
Soweit also das persönlichste, was ich bereit bin im WWW von mir preis zu geben und ich denke, jeder Blog, Kommentar oder Thread hat so seine eigene Geschichte. Mutatiom und Selektion halt. Auch zu Zeiten einer Christi Geburt aka Weihnacht.
Für meinen heutigen Blogpost greife ich auf eine spezielle Art von Textkonserve zurück: einen Text, den ich 1991 während meines Studiums als Hausarbeit verfasst habe und der vom Dozenten damals für gut genug eingeschätzt wurde, um mir zu empfehlen, ihn bei einer sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift einzureichen. Das habe ich auch getan – dort wurde er dann allerdings nicht genommen: laut Aussage des Lektors, weil man dort aus einem deutlichen Überangebot an Manuskripten wählen musste.
Ich finde den Aufsatz rückblickend aus mehreren Gründen immer noch interessant: erstens passt er aufgrund des Themas zum Profil von »Geschlechterallerlei«: weil er sich – wenngleich vor allem in der Art einer philologischen Fleißarbeit – mit einem im Feminismus zu einiger Prominenz gelangten soziologischen Autor und seinem speziellen Gebrauch zweier soziologischer Grundbegriffe, genauer: zweier sozialer Strukturkategorien, befasst. Ich finde Bourdieus Begriffsgerüst auch heute immer noch brauchbar und anregend, obwohl meine Distanz zu ihm heute deutlich größer ist als damals.
Zweitens finde ich es im Rückblick interessant, wie ich damals versucht habe, feministische Theorie als konsequente Fortführung des modernen Emanzipationsbegriffs zu verstehen. Ein paar Bemerkungen über von Männern ausgeübte Gewalt stammen aus einer Zeit, in der Behauptungen, die wir heute als empirisch glattweg falsch verwerfen, als nicht bezweifelbar erschienen.
Und schließlich finde ich interessant, dass ich im Hinblick auf meine damalige Vorstellung, Feminismus könne das »Prinzip der Distinktion« (ein analytischer Zentralbegriff bei Bourdieu) überwinden und damit an die Wurzel von Prozessen »symbolischer Herrschaft« gelangen, einen konsequenten Kulturalismus vertreten habe, den ich heute nicht mehr aufrecht erhalten kann (und will). Statt dessen würde ich dieses Prinzip bei den anthropologischen Konstanten einsortieren.
Der Text ist ein bearbeiteter OCR-Scan, kann also übersehene Scan-Fehler enthalten.
Triggerwarnungen:Soziologischer Jargon, gelegentliches Binnen-I, feministische Ideologie in mehr als nur homöopathischer Dosis.
Und keine Sorge: mehr als einen solchen Text habe ich nicht in Reserve, das bleibt also ein Einzelfall. 🙂
Mit Statistikkenntnissen Aufklärung leisten gegen Mythen wie „Jede dritte Frau in der EU von Gewalt betroffen“ oder das „Gender Pay Gap“ – das halte ich für ein generell lohnenswertes Ziel, welches noch einigen Stoff für dieses Blog abwerfen wird. Tatsächlich hatte ich einen weiteren Beitrag dazu in Vorbereitung, aber der wurde immer länger, so dass ich ihn jetzt aufteile und in kleineren Häppchen serviere.
Fangen wir an mit der Anleitung für ein Hassblog. Den Text habe ich vor Jahren auf politicallyimpotent.narod.ru gefunden.
Auszug: (Zum Hassblog braucht man…)
eine Faktenbasis – findet sich leicht, denn jede größere und langlebige Menschengruppe hat oder hatte irgendwelche Verbrecher in ihren Reihen.
eine Pseudotheorie, die erklärt, warum diese verbrecherische Minderheit das Wesen der Gruppe punktgenau repräsentiert, obwohl sich die Mehrheit der Gruppe nicht verbrecherisch verhält.
einen inneren Feind, der als Erklärung dafür herhält, warum es außerhalb eurer Hasscommunity keiner merkt, dass die Hassgruppe die ganze Menschheit terrorisiert und kurz vor der Weltherrschaft steht.
Ehrlich gesagt habe ich diesen Text im Kopf, seit ich ihn das erste Mal gelesen habe. Das hilft mir oft, um über stumpfe Propaganda schmunzeln zu können.
Auch bei der Analyse der Ansichten von Mördern wie Elliot Rodger kann man die Anleitung wieder hervorholen. Als es etwa um die Einstellung “Ich habe eine Frau verdient, sie steht mir zu” (Entitlement) ging, schrieb ich auch da wieder einen Kommentar. Allerdings ging es mir da weniger um den Verbrecher als um die Deutung seiner Weltanschauung als „typisch“ für alle Männer. Oder wie ich damals schrieb:
Interessant finde ich bei dem Entitlement-Vorwurf, dass aus dem falschen Verhalten einer Minderheit eine repräsentative Qualität der Grundgesamtheit gefolgert wird.
Siehe auch Regel 2 der Anleitung für ein Hassblog. Ich denke, man kann damit noch eine Menge Spaß haben!
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal mit einem alten, etwas kitschigen Lied.
Jackie Deshannon: What the World Needs Now is Love
Ich hatte als Fundstück zum Mythos Gender Pay Gap die „Unstatistik des Monats“ des Rheinisch-Westfälischen Institus für Wirtschaftsforschung erwähnt. Mit Statistikkenntnissen kann man tatsächlich eine Menge Unsinn als solchen erkennen, weswegen es sich meiner Meinung nach sehr lohnt, sie zu haben. Vor allem ist solches Wissen weltanschaulich neutral; es kann von jedem vernünftig eingesetzt werden.
In der genannten Serie sind noch weitere lesenswerte Beiträge erschienen, etwa im März diesen Jahres „Gewalt gegen Frauen in Zahlen“ (PDF). Dabei geht um die Meldung „Jede dritte Frau in Europa von Gewalt betroffen“, die die Runde machte. In dieser Blogblase gab es schon eine Menge Kritik. Die Statistiker weisen noch auf einige weitere Punkte hin: So etwa wurden die Daten unterschiedlich erhoben, was sie bereits nicht vergleichbar macht. (Wenn ich Leute telefonisch befrage, bekomme ich andere Antworten, als wenn sie mir gegenübersitzen.) Zusammenrechnen ist dann natürlich ebenfalls unseriös. Das ist nicht der einzige Kritikpunkt, der genannt wird, aber der für mich bereits offensichtlichste.
Wie der Zufall es so will, reichte jemand vor einigen Tagen noch einen Artikel zum selben Thema ein. Es folgt ein Gastartikel, der unter dem Pseudonym Denkselbst! eingereicht worden ist.
„Jede dritte Frau in Europa ist Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt“
Im März 2014 veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte eine Studie über Gewalt gegenüber Frauen, die in der Schlagzeile mündete: „Jede dritte Frau in Europa ist Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt“. Willfährig wurde diese Schlagzeile von sämtlichen Medien übernommen und dominierte für ein paar Tage die Informationslandschaft. Eine differenzierte Betrachtungsweise oder gar eine tiefere Beschäftigung mit der Studie fanden nicht statt. So schnell wie die Pressemitteilung der EU-Agentur sich in Schlagzeilen niederschlug, konnte das auch gar nicht passiert sein. Es ärgerte mich schon damals. Der Journalismus ergötzte sich an einer Sensationsmeldung („nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“) und kam seinen Aufgaben des Hinterfragens und des differenzierten Betrachtens nicht nach. Wie in so vielen Dingen heutzutage.
Jetzt, wo ich diesen Artikel schreibe, ist Mitte Dezember 2014 und den Zuschauern von ARD und ZDF wurde die Schlagzeile innerhalb von vier Tagen erneut zweimal um die Ohren gehauen. Am 11. Dezember im „Heute Journal“, als eine Feministin sie zum Thema der Frauenquote in Aufsichtsräten nannte. Mit dem Nachsatz, dass daher „noch Einiges im Argen läge“ (was nun Gewalt gegen Frauen mit der besagten Frauenquote zu tun hat, wurde nicht gesagt – Hauptsache, es wurde mal wieder erwähnt). Ein zweites Mal fand der Satz am 14. Dezember Eingang in „Titel, Thesen, Tempramente“ der ARD. Dort ging es im Thema tatsächlich um Gewalt gegen Frauen.
Diese Schlagzeile bzw. Aussage wird uns wohl noch länger begleiten, so dass ich mich veranlasst sehe, doch ein paar Punkte dazu zu schreiben. Was in diesen 33% enthalten ist und was man zur Beurteilung dieser Zahl berücksichtigen sollte. Dazu habe ich mir die Studie selbst und auch einen Report zur Studie vorgenommen, der ebenfalls von der EU-Agentur veröffentlicht wurde.
Doch eines vorweg: Ich bestreite nicht im Mindesten, dass es Gewalt gegen Frauen gibt und bezweifle auch nicht, dass die Taten, die dort in der Studie zusammengetragen wurden, dem entsprechen, was die interviewten Frauen zum Ausdruck gebracht haben.
Die Studie wurde 2010 in Auftrag gegeben, die Interviews mit 42.000 Frauen in 28 EU-Ländern überwiegend im ersten Halbjahr 2012 durchgeführt. Pro Land um die 1.500 Frauen, lediglich in Luxemburg waren es 900. Befragt wurden Frauen zwischen 18 und 74 Jahren.
Der ersten Punkt, den ich bezüglich der „33%“ anbringen möchte, gilt der Vermischung von qualitativ unterschiedlichsten Taten. Diese reichen von „Schubsen und Stoßen“ und gehen bis zur vollzogenen Vergewaltigung. Die Studie gibt etwas differenzierter an, dass 31% aller befragten Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr eine der nicht-sexuellen Gewaltformen erlebt haben, die die Studie in Kategorien vorgab, und 11% sexuelle Gewalt. Von der mathematischen Logik her müssen dann 2% der Frauen ausschließlich sexuelle Gewalt erlebt haben (31+2=33), 9% sowohl sexuelle als auch nicht-sexuelle Gewalt (11-2=9) und 22% ausschließlich nicht-sexuelle Gewalt (31-9=22).
Die Kategorien nicht-sexuellen Gewaltakte sind:
Schubsen und Stoßen
Mit der flachen Hand geschlagen
Mit einem harten Gegenstand beworfen
Gepackt oder in den Haaren gezogen
Mit der Faust oder einem harten Gegenstand geschlagen
Verbrennungen zugefügt
Versucht, zu ersticken oder strangulieren
Mit Messer verletzt oder mit Schusswaffen beschossen
Zustimmung zu sexuellen Handlungen, aus Angst vor Repressalien bei Verweigerung
Den Erstellern ist wohl selbst aufgefallen, dass es ein eklatanter Unterschied ist, ob „Geschubst / Gestoßen“ wird oder eine andere schwerwiegendere Gewalt vorliegt. Infolgedessen wird angegeben, dass es noch 25% Frauen ab ihrem 15. Lebensjahr waren, die nicht-sexuelle Gewalt erfahren haben, jedoch ohne die Kategorie „Schubsen und Stoßen“ zu berücksichtigen. Leider kann man nun nicht so einfach errechnen, wie die Gesamt-Schlagzeile hätte lauten müssen, ließe man diese Bagatellen weg, aufgrund der möglichen Mehrfachnennungen bzw. Überschneidungen zwischen erfahrener nicht-sexueller und sexueller Gewalt (Frauen könnten „nur“ geschubst worden sein, andererseits zu einem anderen Zeitpunkt zu sexuellen Handlungen gezwungen worden sein).
Nicht nur bei den Bagatellen kann man den Kontext der Gewaltakte, die in den „33%“ stecken, nicht erkennen. Insbesondere (aber nicht nur) bei den leichteren Gewaltformen kann man durchaus auch rein weibliche Gefechte vermuten (z.B. auf dem Schulhof oder vor einer Disko), denn dass bei nicht-sexueller Gewalt die Täterschaft zu 26% weiblich, zu 7% gemischt und zu 67% männlich ist, kann man an der Schlagzeile nicht ablesen. Auch nicht, dass es sich beim Täter nicht zwangsläufig um den aktuellen oder einen früheren Partner handelt. Bezüglich nicht-sexueller Gewalttaten gaben die Befragten an, sie hätten zu 7% Gewalt vom aktuellen Partner erfahren, zu 24% von einem früheren Partner und zu 20% von anderen Personen (zusammenrechnen darf man wegen möglicher Mehrfachnennungen nicht, zusammen sind es die besagten 31% nicht-sexuelle Gewalt).
Natürlich, da beißt die Maus keinen Faden ab, sind die rein von männlicher Seite verübten Gewalttaten mit 2/3 immer noch deutlich in der Mehrheit, aber die Schlagzeile lässt die Gesellschaft nur allzu leicht im Glauben eines Bildes vom prügelnden Mann. Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass bezüglich der 11% der Frauen, die sexuelle Gewaltakte erlebt haben, es sich zu 97% um männliche Täter handelte.
Fazit aus dem Vorgenannten: Mit dem Schlagsatz wird ein sehr grobes Bild gemalt, wichtige, zur Einordnung notwendige Informationen fallen bei lediglicher Nennung des „Gesamtergebnisses“ unter den Tisch.
Schwerwiegender ist jedoch der nachfolgende Punkt. Die Studie kennt zwei extreme Zeithorizonte bezüglich der stattgefundenen Taten: Innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung oder einfach nur ab dem 15. Lebensjahr der jeweilig Befragten bis zum Befragungszeitpunkt.
Für die Schlagzeile „33%“ wurde letzterer Zeithorizont herangezogen. Dazu mal ein paar Informationen über die Alterszusammensetzung der befragten 42.000 Frauen:
26% waren im Jahr 2012 zwischen 60 und 74 Jahren alt
Knapp jeweils 20% zwischen 50-59 und 40-49
18% zwischen 30-39
16% zwischen 18-29.
(Die Daten stehen auf Seite 29 des zusätzlichen Reports zur Studie).
Zur Erinnerung: Gefragt wurden die Frauen, was sich in ihrem Leben ab dem 15. Lebensjahr ereignet hat. Ich definiere dies als Zeitraum nach dem vollzogenen 14. Geburtstag, denn dann beginnt das 15. Lebensjahr. Für die älteste Teilnehmergruppe bedeutet dies, dass es um einen Zeitraum beginnend zwischen 1952 und 1966 bis zum Jahr 2012 handelt(!). Mithin um fünf bis sechs Jahrzehnte, in denen die Zeit nicht stehen geblieben ist. Bei den jüngeren Semestern kann man Schritt für Schritt jeweils ein Jahrzehnt Zeitspanne abziehen, dennoch wird in weit in die Vergangenheit geschaut.
Man kann anhand der Studie nicht wissen, ob eine bestimmte Tat, die einer Frau angetan wurde, 1965 passiert ist, 1978 oder 2009. Aber man darf die Frage stellen, was es noch mit unserer heutigen Gesellschaft zu tun, wenn es um weit zurückliegende Dinge geht. Denn Gesellschaften verändern sich aufgrund der Personen in den Gesellschaften.
Insbesondere haben wir mehrere Jahrzehnte Frauenbewegung hinter uns, in denen die Gesellschaft für die Benachteiligung von Frauen sensibilisiert wurde, was es für Gewalttäter deutlich schwerer gemacht haben sollte, ihre Taten vor sich und der Gesellschaft zu rechtfertigen.
Oder anders ausgedrückt: Bei der Studie handelt es sich um eine Verbrechensstatistik. Welcher Statistiker würde heute fragen, ob jemand seit seinem Erwachsenenalter einen Wohnungseinbruch oder einen Betrugsfall zu verzeichnen hatte? Wohl niemand, außer dem, der eine Entwicklung über die Jahrzehnte darstellen will. Seltsamerweise wurde mit der vorliegenden Studie ein immenser Aufwand betrieben, aber dies gleich damit zu verbinden, zu ermitteln, wie sich das Gewaltpotential in den letzten Jahrzehnten entwickelte, unterblieb (oder wurde zumindest nicht veröffentlicht).
Stattdessen wurde nur untersucht, wie es um Gewalt in den letzten 12 Monaten bestellt war. Dort waren es 7% bei den nicht-sexuellen Gewalttaten und 2% bei sexueller Gewalt, bzw. 8% beides zusammengezählt. Damit diese Zahlen nicht so „mickrig“ aussehen, wurden auffälligerweise die absoluten Zahlen beigestellt: 13 bzw. 3,7 Mio. Frauen (S. 17 der Studie).
Hätte man eine Studie machen wollen, die die gegenwärtigen Verhältnisse darstellt, hätte man meines Erachtens Taten erfassen sollen, die in den letzten 10-15 Jahren passiert sind. Das wäre gegenwartsnah gewesen. Das Ergebnis hätte dann irgendwo zwischen 8% und 33% gelegen.
Letzter wesentlicher Kritikpunkt. Eine vollständige Interpretation des Ergebnisses wäre nur möglich, wenn nicht nur einseitig nach Gewalterfahrungen der Frauen, sondern auch der der Männer gefragt worden wäre. Jede Gewalt, die einem widerfährt, ist schlimm, da spielt das eigene Geschlecht keine Rolle. Es fehlt die für Studien wichtige Referenz, an dem sich diese Studie würde messen können. Es ist nicht begreiflich, warum seitens der EU, die ja angeblich so viel von Gleichbehandlung hält, nicht parallel eine entsprechende Abfrage für Männer durchgeführt hat. Sind denn nur das Anprangern und die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen wichtig? Gewalt an und zwischen Männern „sollen die Jungs unter sich ausmachen, das ist deren Bier“?
Die Studie beschränkte sich mitnichten nur auf körperliche/sexuelle Gewalt. Auch psychische Gewalt und z.B. (Cyber-)Stalking gegenüber Frauen wurde untersucht. Es wäre doch interessant gewesen, wie die Verhältnisse in diesem Bereich für Männer ausgesehen hätten, in einem Bereich, wo es nicht auf Muskelkraft ankommt.
Unerwähnt gelassen habe ich die tendenziöse Formulierungsweise, die in der Studie wiederholt vorkommt. Oder auch unbekümmert gemutmaßt wird. So wird auf Seite 16 wegen der Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Staaten angenommen, dass es an den kulturellen Unterschieden läge, ob eine Frau über Gewalt berichten würde und gefolgert, dass auch in den Interviews nicht alles gesagt worden sein könnte. Man sollte die Studienmacher darauf hinweisen, dass sie damit die Ergebnisse ihrer eigenen Studie in Zweifel ziehen. Denn was „kulturell bedingt“ in einem Land in die eine Richtung geht, kann in einem freizügigen Land auch in die andere Richtung gehen. Aber das ist natürlich reine Spekulation. Merke: Wenn „zu wenig“ Gewalt in einem Land herrscht, dann hat man sich nicht getraut, in vertrauter Atmosphäre des Interviews darüber zu sprechen. Gibt es mehr Gewalt, dann liegt es daran, dass die freiheitlichen Umstände des Landes dazu ermuntern, darüber zu sprechen.
Als Resümee bleibt mir ein: „Traue keiner Studie, deren Ergebnisse du nicht selbst interpretiert hast“ (frei nach Winston Churchill).
Der Hinweis bei Genderama erschien schon im August, aber seitdem ist viel Zeit vergangen, um es zu vervollständigen: Auf Twitter gibt es ein „feministisches Wörterbuch„, das ich allerdings als „radikalfeministisch“ oder „genderfeministisch“ nenne. All die verquasten Begriffe und selsamen Neudefinitionen, die man so an Kopf geworfen bekommt, werden einmal so erklärt, dass sogar ich sie verstehe.
Wie immer ist längst nicht alles ein Treffer. Aber um mich zwischendurch mal zum Schmunzeln zu bringen, hat der ursprüngliche Eintrag bei Genderama gereicht – und auch der Blick neulich.
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal geht es um „Hass“ – nur ein Vierbuchstabenwort.