Deutschland, deine Kindererziehung – Teil 1

petpanther

Link

petpanther2

Link

Angeregt unter anderem durch die beiden Kommentare werde ich mich im Folgenden mit den verschiedenen Erziehungsstils befassen und versuchen, einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Erziehungsstils und der gesellschaftlichen Entwicklung darzustellen. Ob es mir gelingt, dessen bin ich mir gerade noch nicht so sicher. Bedingt durch den Umfang, den dieser Artikel jetzt schon hat, werde ich das Thema Kindererziehung in mehrere Teile aufsplitten.

Ich bitte um Nachsicht, falls ich für einige Vermutungen keine Quellennachweise liefere, da es wie gesagt Vermutungen sind. Ich lese regelmäßig alle möglichen Artikel zu den Themen Erziehung und Familie sowie die Konflikte, welche hier häufig entstehen; Das Interessante bleibt hängen, der Rest meist nicht, doch tatsächlich kann ich mir viel zu oft einfach nicht merken, wo ich was gelesen habe. Außerdem führte ich etliche Gespräche mit meiner sozialpädagogischen Familienhelferin sowie mit zwei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. In jedem Fall werde ich versuchen, nicht allzu weit auszuholen. Falls jemand von euch Verbesserungsvorschläge, Ergänzungen oder interessante Links zum Thema hat, immer her damit.

Jedes Mal, wenn wieder ein Mensch durchdreht und Amok läuft, wird das Ereignis bis zum Erbrechen dazu benutzt, unliebsame Dinge an den Pranger zu stellen. Die Computerspiele sind schuld [Gewaltverherrlichung! Objektifizierung! Misogynie!], die Schützenvereine sind schuld [Zugang zu Waffen! Umgang mit Waffen!], Pen & Paper Rollenspiele sind schuld [glaubt es oder nicht, habe ich vor Jahren tatsächlich im Zusammenhang mit einem Amoklauf in den USA im Reader´s Digest gelesen, die Begründung lautete: Realitätsverlust!], die Pharmaindustrie ist schuld [Ritalin!!!11einself]. Ach und fast hätt ichs vergessen: Das Patriarchat™ ist schuld, genau genommen sind es die „patriarchalen Strukturen“, die das verursacht haben. Kurz: Nichts scheint weit genug hergeholt und für kaum etwas sind sich jene Menschen zu schade, wenn es nur der eigenen Sache nutzt.
Natürlich ist es verlockend, nach einem Schuldigen zu suchen. Irgendwer/Irgendwas muss es ja gewesen sein. Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass es im Falle eines Amoklaufes eine Verkettung ungünstiger Umstände war, welche die betreffende Person dazu brachte zu tun, was sie tat. Klingt nach einem Versuch, die Täter in Schutz zu nehmen? Ja und nein. Ja weil jeder Täter auch irgendwann einmal ein Opfer war. Und nein weil solche Taten absolut nicht entschuldbar sind. Ja weil jedes erziehende Elternteil heute die Chance hat, dem eigenen Kind ein gesundes Großwerden zu ermöglichen, ohne dabei – bewusst oder unbewusst – in dessen Bewusstsein die Idee des „Schlechtseins“, des „Nichtgenügens“ oder des „Schuldseins“ einzupflanzen. Und nein weil keiner von denen, die bei einem Amoklauf verletzt oder getötet wurden, auch nur ansatzweise etwas für das kann, was dem Täter einst angetan wurde.

Vor längerer Zeit las ich einen Artikel, welcher sich mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund befasste bzw. mit deren Schwierigkeiten, eine eigene Identität zu finden. Sie fühlen sich nirgends zuhause, in der Heimat ihrer Eltern nicht und in Deutschland irgendwie auch nicht so richtig.

Auch wenn das sehr spezifische Probleme sind mit denen man sich hierzulande als sogenannter weißer Cisgender heterosexueller Mensch oder, [laut 3rd Wave Feminismus] die Steigerung dessen, als WHM [white heterosexual male] nicht herumschlagen muss: Es gibt genügend andere problematische Entwicklungen, welche auf die Persönlichkeit der betreffenden Menschen nicht minder gravierende Auswirkungen haben können.

Ich selbst habe in meiner eigenen Kindheit zwei Extreme erlebt: die überfürsorgliche Mutter mit problematischem Religionshintergrund, deren Wunschkind ich war, und den entweder autoritären [wann immer ich es wagte, aufzubegehren] oder desinteressierten [alles war gut, solange ich funktionierte], in jedem Fall jedoch recht lieblosen Vater, der eigentlich nie da war, wenn ich ihn brauchte; Zumindest fühlte es sich für mich damals so an. Zur Verteidigung meines Vaters sei gesagt: Er, geboren 1938 in Deutschland, wo gerade der zweite Weltkrieg tobte, war ein Kind der so genannten „Verlorenen Generation“, Kinder für sie sich keiner interessierte, weil sie die Kinder der Kriegstreiber waren. Was der Krieg und was er mit sich bringt aus Kindern macht, dürfte hinlänglich bekannt sein. Doch das – zumindest an dieser Stelle – nur am Rande.

Wie fängt also es an? [Baby]

Ein Baby sollte möglichst viel menschliche Nähe und Ansprache erfahren. Ferner sollen seine Bedürfnisse [„satt und sauber“] zeitnah erfüllt werden. Wenn sich jedoch niemand um das Baby kümmert, macht es früher oder später durch Schreien auf sich aufmerksam. Spätestens dann sollte eine Bezugsperson für die Erfüllung der Bedürfnisse des Säuglings sorgen, da Schreien in dessen Körper und Gehirn massiven Stress auslöst: Während einer Stress-Situation werden im Körper die Hormone Cortisol , Adrenalin  und Noradrenalin  ausgeschüttet. Kümmert sich die Bezugsperson um die Erfüllung des kindlichen Bedürfnisses, wird Oxytocin ausgeschüttet, was eine Senkung der Stresshormone bewirkt: Das Kind beruhigt sich. Lassen Eltern ihren Säugling wiederholt für längere Zeit schreien, steigt der Stresslevel und das Kind wird zunehmend ängstlicher und gestresster. Ohne Unterstützung der Erwachsener stellt es das Schreien erst durch Erschöpfung oder Resignation ein.

Hierzu ein interessanter Artikel bei Geborgen Wachsen.

Mögliche Folgen des Schreienlassens:

  • Beeinträchtigung des Gehirns bis hin zu einer Anfälligkeit für Depressionen, Angststörungen und stressbedingten körperlichen Erkrankungen.
  • Völlige Erschöpfung, körperliche Schmerzen
  • Erschütterung des Urvertrauens
  • Gefährdung der späteren Bindungsfähigkeit
  • Im späteren Leben kein gesunder Umgang mit Stress/Frust möglich

Ebenfalls interessant: Schlaflernprogramme: ein Blick hinter die Schreikulisse 

Und dann? [Kleinkind bis Vorschulalter]

Ein Kleinkind hat natürlich die selben Bedürfnisse wie ein Säugling, hinzu kommt in wachsendem Maße noch ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Das Kind stellt irgendwann fest, dass es anders möchte als Mama oder Papa und teilt dies mehr oder weniger energisch mit [Trotzphase/Trotzalter]. Jedoch kann es mit zunehmendem Alter problemlos einige Zeit auf die Erfüllung eines Bedürfnisses warten, beispielsweise weil das jüngere Geschwisterkind zuerst gewickelt werden muss, oder weil das betreuende Elternteil zuerst noch fertig essen möchte.

Hier beginnt es, erziehungstechnisch richtig interessant zu werden, denn es gibt einige Erziehungsstils, die sich zum Teil gravierend voneinander unterscheiden und sich daher auch unterschiedlich auf das Verhalten und die Psyche des späteren Erwachsenen auswirken.

Die größten Unterschiede bestehen wohl zwischen der autoritären  und der antiautoritären  Erziehung. Ferner gibt es noch die autoritative  Erziehung sowie verschiedene Abstufungen der einzelnen Erziehungsstils und -konzepte, beispielsweise autokratisch, demokratisch, egalitär, laissez-faire, negierend und permissiv.

Unterschiede bestehen beim Ausmaß der Lenkung des Kindes sowie bei der Art und dem Ausmaß der Responsivität des Elternteils. Generell gilt, dass es nicht die ultimative, auf alle Kinder anwendbare Erziehung gibt. Jedoch besteht laut Wikipedia eine Korrelation zwischen autoritärer Erziehung [hohe Kontrolle, geringe Responsivität] und Essstörungen bei autoritär erzogenen Kindern. Ferner neigen solche Kinder später selbst zu Aggressionen und zeichnen sich durch geringe soziale Kompetenz sowie ein geringes Selbstwertgefühl aus.

Ebenso hat die Art der Erziehung Auswirkungen auf die Suizidalität des Kindes bzw. des späteren Erwachsenen. So erhöht ein vernachlässigender [wenig Kontrolle, geringe Responsivität] Erziehungsstil die Gefahr, dass der spätere Erwachsene einen Suizidversuch unternimmt, während ein autoritativer Erziehungsstil  bzw. eine hohe Responsivität der Eltern diese Gefahr verringert.

Idealerweise sollten Eltern den „goldenen“ Mittelweg finden zwischen einem Zuviel und Zuwenig an beidem, Kontrolle und Responsivität. Kontrolle ist dort wichtig, wo das Kind die Konsequenzen seiner Entscheidungen noch nicht in vollem Ausmaß abschätzen kann. Innnerhalb eines geschützten Raumes kann man ein Kind durchaus eigene Entscheidungen treffen lassen; Ein Kind im Kindergartenalter kann zum Beispiel mitentscheiden, was es zu Mittag geben soll, oder ob es Nachmittags lieber Fahrrad fahren möchte, anstatt beim kleinen Geschwisterkind im Sandkasten zu sitzen. Bei der abendlichen Zubettgehzeit hört die Eigentständigkeit jedoch wieder auf, da das Kind noch nicht abschätzen kann, dass es am Folgetag völlig übermüdet und entsprechend um ein Vielfaches weinerlicher und schlechter gelaunt sein und daher seitens der Eltern und Erzieher mehr Aufmerksamkeit, Zuspruch und Trost benötigen wird.

Die richtige Dosierung der elterlichen Responsivität ist mE ähnlich heikel wie die der Kontrolle, da ein Zuviel ebenso wie ein Zuwenig erheblichen Schaden anrichten kann, wenn auch auf andere Art und Weise. Zuwenig Responsivität kann Störungen im Bindungsverhalten sowie starke Defizite in den Bereichen Selbstwert, Selbstkonzept, intellektuelle Entwicklung, Selbstkontrolle und Aggressionskontrolle bewirken.

Ebenso kann Überbehütung, ein Fernhalten von allen schwierigen Situationen, eine zu lange Unterstützung der narzisstischen Bedürfnisse einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben, da es auf diese Weise keine Möglichkeit hat, den Umgang mit Frustrationserlebnissen und Rückschlägen zu erlernen.

Hierzu ein interessanter Artikel über Ursachen und Auswirkungen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Was ich selbst tatsächlich erlebt habe waren Eltern, die kindliche Probleme als unwichtig abtaten, wenn sie sie denn überhaupt wahrnahmen. Weil die Welt für Erwachsene bekanntlich um so vieles unbarmherziger und grausamer ist als für Kinder. Heute frage ich mich: ist sie das wirklich? Ein Kind, das von den Eltern kaum Ansprache bekommt außer ein „Hör auf zu heulen/stell dich nicht so an, meine Welt ist viel schlimmer als deine!“ hat es einfacher als ein Erwachsener? Natürlich muss ein Kind erst lernen, eine frustrierende [Niederlage beim Spiel, ein Spielzeug das es sich wünscht, nicht zu bekommen] oder schmerzvolle [zB Verlust eines Haustieres oder schlimmer: Eines Familienangehörigen] Situation zu bewältigen, und natürlich braucht ein Kind die Unterstützung eines Erwachsenen, ggf. eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.
Als ich sieben Jahre alt war, beging ein naher Verwandter, welcher das Obergeschoss unseres Hauses bewohnte, Selbstmord. Damals, im selben Alter wie meine Tochter jetzt, hätte ich wirklich jemanden brauchen können, der mir dabei helfen würde, den Verlust zu verkraften. Ich versuche mir vorzustellen, ob ich heute meine Tochter mit einem solche Verlust allein lassen könnte, und bin mir ziemlich sicher, dass ich es nicht fertigbrächte. Natürlich kann ich es nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Aber so war das wohl damals.

Kindern beim Erlernen dieser Kompetenzen zur Seite zu stehen kann schmerzvoll sein, ist jedoch in jedem Fall anstrengend, nerven- und kräftezehrend. Einerseits möchte man das Kind nicht zu sehr verhätscheln, andererseits möchte man dem Kind auch nicht den Spaß am Spiel verderben, denn für eine Langzeitmotivation braucht es – natürlich – Erfolgserlebnisse. Und wer sagt den Eltern, wie es „richtig“ geht? Einig sind sich Experten darin, dass Gewalt, sei sie körperlicher oder seelischer Natur, sich negativ auf die Entwicklung der kindlichen Psyche auswirkt, und daher zu unterlassen ist. In der Praxis ist der Grat zwischen der Ausübung von „schützender Macht“ und „missbräuchlicher Gewalt“ manchmal ganz schön schmal. Wichtig ist immer die Kommunikation zwischen Eltern und Kind, Signale der Wertschätzung [damit meine ich keine materiellen Zuwendungen] und, fast noch wichtiger: Authentizität. Ich kann meinem Kind gegenüber nicht sagen „Hauen darf man nicht!“, es am nächsten Tag Ohrfeigen und dann erwarten, dass es mich glaubwürdig findet. Natürlich war das ein überspitztes Beispiel, doch Kinder lernen hauptsächlich durch Imitieren des elterlichen Verhaltens; Wenn ich a sage und b mache, wird mein Kind das bemerken und mich als Autoritätsperson früher oder später in Frage stellen.

An dieser Stelle mache ich einen Schnitt und werde mich im nächsten Teil dem Schulalter und der Pubertät widmen.