Vorab: allen Leserinnen und Lesern, allen Lesenden und LeserXen, ein ganz herzlichen Glückwunsch zum diesjährigen Walexplosionstag 2017. Am 12. November 1970 strandete ein ausgewachsener toter Pottwal am Strand von Oregon (USA). Die Behörden wollten das Tier beseitigen, aber wie entfernt man einen tonnenschweren Wal? Den riesigen Kadaver im Ganzen ab zu transportieren ist schwierig, also zerlegt man ihn vorher in Stücke. Und wie geht das am schnellsten? Richtig: mit einer halben Tonne (!) Dynamit. An diesem 12. November vor genau 47 Jahren passierte das, was der große Schriftsteller Stefan Zweig eine „Sternstunde der Menschheit“ nennen würde: Ein stinkender schleimiger Walkadaver wurde in tausend Stücke gesprengt und regnete stückchenweise in einem Radius von mehreren hundert Metern auf Land und Leute hernieder. Todesopfer: mindestens ein Auto, das von einem gewaltigen Fleischmeteoriten zerschlagen wurde. Um diesen denkwürdigen Moment zu feiern, veranstaltet mein Mitbewohner jedes Jahr den Walexplosionstag: er bäckt Kuchen und es wird gesoffen: Auf den Irrwitz der Menschheit!
Offenbar möchte sich auch die ZEIT dieser Tradition anschließen, denn der neue „Sexismus“-Artikel bringt den alten stinkenden Kadaver namens „Sexismus“ endlich zur Explosion. Eine neue Qualität wurde erreicht. Und „neue Qualität“ bedeutet nicht „neuer Tiefpunkt“ sondern mehr: Der Artikel ist eine radikale Gesellschaftskritik.
Wenn aber – mit Marx – radikal sein heißt, ein Problem bei der Wurzel zu packen, dann müssen Frauen schon auf dieser tieferen Ebene dazu ansetzen, aus dem asymmetrischen Regime des Gutaussehenmüssens auszubrechen. Sie müssen aufhören, sich zu schminken, zu schmücken und zu stylen, sich selbst permanent als Körper zu präsentieren.
Und radikal bedeutet hier nicht „extrem“ oder „männerfeindlich“ und schon gar nicht bedeutet es „besonders dumm“, sondern radikal bedeutet hier, dass hier tatsächlich das Problem bei der Wurzel (radix) gepackt wird und rücksichtslos rausgerissen wird; Mit allen Konsequenzen wie zum Beispiel herabregnende Kadaverstücke. Operation geglückt; Patient aber leider gestorben. Die Autorin Barbara Kuchler plädiert dafür, dass sich Frauen weniger schön machen müssen, da sie ansonsten Teil des frauenunterdrückenden „Systems“ seien. Ihre Ausgangsthese (die im Artikel leider sehr weit hinten steht) ist äußerst hellsichtig; sie dreht sich um die Doppelbelastung von Frauen:
Und noch eine Warnung an die weiblich-selbstbewussten Frauen, die jetzt sagen: „Ich kann beides, Leistung bringen und gut aussehen, und wer denkt, dass sich das ausschließt, ist Opfer seiner Vorurteile.“ Im besten Fall läuft das auf eine Doppelbelastung von Frauen hinaus, wie wir sie am Punkt „Kinder und Karriere“ schon kennen und fürchten gelernt haben: Es lässt sich eben nicht einfach problemlos beides nebeneinander machen, sondern wer beides macht, bezahlt mit einem insgesamt gesteigerten Stresslevel. Dieselbe Doppelbelastungsgefahr droht auch in puncto „Karriere und Gutaussehen“. Mädchen und Frauen dürfen zwar jetzt auch in Sachen Leistung voll ran, ohne aber in Sachen Aussehen dafür entlastet zu werden.
Und da stimme ich ihr voll zu: Frauen, die glauben, dass sie Barbiepuppe und Bundeskanzlerin sein können machen sich Illusionen und werden an diesen Erwartungen meistens scheitern. Ich finde es daher wunderbar, dass hier eine Feministin klipp und klar die Vereinbarkeitslüge anspricht, an der sich Millionen Frauen in der westlichen Gesellschaft sinnlos kaputt arbeiten. Doch der nächste Schritt, den die Radikalfeministin Kuchler nun gehen muss ist fatal. Da sie als Feministin selbstverständlich Frauen, wie sie nun mal gerne und freiwillig sind nicht akzeptieren kann und sie unbedingt zu Männern umerziehen muss, platzt nun die Bombe im Walbauch. Hier nur ein paar Häppchen aus dem großen Fundus von fauligen Walspeck-Fetzen:
Schulen: Verschärft eure Kleidungsvorschriften und zwingt Mädchen, ebenso viel von ihrem Körper zu bedecken wie Jungs.
Oder
Deshalb, Frauen, Schwestern, Geschlechtsgenossinnen: Lasst das Schminken sein! Legt die Kosmetikdosen in den Schrank und kauft sie nie mehr nach. Wenn ein Männergesicht ohne Tünche schön genug ist für die Welt, warum nicht auch ein Frauengesicht? Hört auf, jeden Tag schicke, formlich und farblich aufeinander abgestimmte Klamotten zu tragen! Zieht das an, was im Schrank gerade oben liegt. Spart die Energie, die das Schminken, Augenbrauenzupfen, Nägellackieren, Beinerasieren, Schmuckanlegen, Shoppen, Durchblättern von Modemagazinen kostet, und steckt sie in das Voranbringen eurer Karriere durch Lernen, Leistung, Sachverstand, oder wahlweise in Spaß und Erholung. Geht nicht mehr als einmal im Vierteljahr zum Friseur.
Und
Politiker, Frauenminister: Droht mit der Regulierung der Modeindustrie! Erwägt Vorschriften, wonach Modefirmen gleich viele Artikel im Frauen- und im Männersortiment haben müssen und gleich viel Geld für deren Produktwerbung ausgeben müssen, oder bestenfalls um einen gewissen, anpassbaren Faktor von 1,5 oder 1,25 differierend. Nein, das ist nicht schön und freiheitlich. Aber dafür spart man hinterher Regulierungsaufwand in Sachen Antidiskriminierung und Anti-Grapsch-Gesetzen.
Leider hab ich nicht so viel Zeit diese ganze radikale Moralisierung, diesen widerwärtigen autoritären Modernisierungseifer, diese kulturfeindliche wahnhafte Gleichheits-Ideologie zu kommentieren. Denn ich muss jetzt Kuchen essen und Bier trinken: Auf den Untergang von Schönheit, Liebe und menschlicher Kultur! Prost!
Ich stelle mir gerade vor, die Autorin würde ihre pseudoimperative Rhetorik nicht im safe space von ZON sondern mitten in einem vollen Schuhgeschäft vortragen.
Die Schlagzeile in der Zeitung am nächsten Tag dann: „Von einem wütenden Frauen-Mob mit Heels gesteinigt“
Also, deswegen musst Du nicht mit Kuchen und Bier den Untergang des Abendlandes betrauern 😉
ach zum saufen ist kein grund zu schade 😀
das problem ist gerade dass sie, würde sie das z.b. in einem schuhgeschäft vortragen, es mit sicherheit schaffen würde, damit genug frauen ein schlechtes gewissen zu machen und sie einzuschüchtern. der psychologische trick dabei ist der, dass die Autorin sich auf die Moderne und die emanzipation beruft – also auf zwei Wertesysteme, die in unserer gesellschaft sehr hohe autorität genießen, denn die Westler haben eine irre Angst, als „unmodern“ oder „sexistisch“ dazustehen. Und da die meisten frauen wahrscheinlich intellektuell nicht in der lage wären, gegen diese radikale moralisierung starke argumente hervorzubringen, müssten sie klein beigeben oder sich mit dem argument begnügen, dass ihre privatsphäre andere nichts angeht. aber dieses argument ist rein formal ohne inhaltliche relevanz.
das problem ist also, dass Kuchlers fanatische Gleichheitsideologie zwar verheerend für die gesellschaft ist, letztendlich aber bei vielen einen wunden punkt treffen würde und daher „erfolgreich“ sein könnte.
Was für ein gesammelter Haufen Schwachfug! Als ob Frauen dazu gezwungen würden, sich zu schminken und sich anderweitig zurechtzumachen. Jede Frau hat die Wahl, entweder wie Katja Suding oder wie Cindy aus Mahrzahn herumzulaufen, oder wie irgendwas zwischendrin. Man muss halt eben mit den Konsequenzen leben. Wenn man Karriere machen und/oder sich einen attraktiven Mann schnappen will, ist das Modell Cindy eben nicht ganz so erfolgversprechend. Trotzdem kann man natürlich auch so irgendwie leben.
Bei der Aussage bin ich besonders hängen geblieben:
Das könnte man natürlich auch umdrehen mit dem Appell an die Männer:
Und so Nonsens wie:
Nein, flache Frauenschuhe gibt es nicht zu kaufen, niemals. Bei Frauenschuhen ist es gesetzliche Norm, dass die Absätze mindstens 5 cm Höhe haben müssen. Btw., da kann ich mich daran erinnern, dass meine liebe Ex jahrelang darüber getrauert hat, dass sie mit ihrer Größe 44 kaum schöne Frauenschuhe finden kann und sie sich häufig auch im Männerbereich nach tragbarem umgeschaut hat. Als das in den letzten 10-15 Jahren endlich besser wurde, kam zum Klamottentick auch prompt ein Schuhtick dazu.
„Das könnte man natürlich auch umdrehen mit dem Appell an die Männer:
Bietet den Frauen nicht mehr finanzielle Unterstützung, als sie euch bieten!“
da sprichst du einen guten punkt an. konsequenter weise hätte sie das genauso fordern müssen. aber ganz so radikal wollte die gute Kuchler dann doch nicht sein. vielleicht ja aus perönlichen finanziellen motiven ;D
„Deshalb, Frauen, Schwestern, Geschlechtsgenossinnen: Lasst das Schminken sein! Legt die Kosmetikdosen in den Schrank und kauft sie nie mehr nach. “
Also ich würds lieben, wenn auch nicht aus feministischen Gründen… Muss mich leider jeden Tag mit pubertierenden Mädels und Jungs rumschlagen und fände es EXTREM entspannend, wenn die Wimpernzange, das Puderdöschen und ja, auch die Haarbürste mal aus meinem Unterricht verschwinden würden ohne dass ich mich erst beschweren muss. Und nein, das tun die Mädels nicht aus lauter Unterdrückung und Zwang (die einzige, die sie ganz schlimm in ihren Bedürfnissen unterdrückt, bin ich *räusper).
Andererseits würden sie dann möglicherweise im Zuge der Gleichberechtigung ebenso viel Deo („Axe“ – macht bekanntlich Frauen scharf) und weitere merkwürdige pheromonverdächtige Gerüche auftragen… Dann wäre Unterricht nur noch bei offenem Fenster möglich 🙂