Warum ich Depressionen für ein wichtiges Männerthema halte

Robin Williams – gut für Aufmerksamkeit

Der Selbstmord von Robin Williams ist einen Monat her. Bisher habe ich (in meiner Filterblase, natürlich) keinen längeren Artikel gelesen, der sich damit befasst und die Zusammenhänge aufzeigt zwischen diesem einzelnen Schicksal, spezifischen Problemen von Männern und den Zielen der Männerrechtsbewegung.

(Das letzte Wort ließe sich ersetzen durch „humanistischen Bewegung“, „Leute, die sich für Gleichberechtigung einsetzen“ oder „Menschen, die sich für alle gleichermaßen engagieren wollen“. Da diese drei Gruppen und ihre Bezeichnungen jedoch kaum auf Widerspruch stoßen dürften, „Männerrechtsbewegung“ hingegen nach wie vor neutral bis negativ konnotiert ist, lohnt es sich am ehesten gerade mit diesem Begriff umzugehen und aufzuzeigen, was die Leute dahinter zur Debatte beizutragen haben.)

Kurz darauf eingegangen ist Wolfgang Wenger ist (gefunden via Genderama). Allerdings weist der Inhalt des Artikels zwei problematische Elemente auf:

Zum einen bekommt ein berühmter Schauspieler die Ehre erwiesen, nachdem er sich umgebracht hat. Zum anderen läßt sich nur erahnen, wie viele namenlose Männer, als Scheidungsopfer oder Trennungsväter, fertig mit der Welt sind, aber auch am Leben – und keine Aufmerksamkeit bekommen, denn es interessiert anscheinend keinen.

Hier kann der verhängnisvolle Werther-Effekt zum Tragen kommen. Die Botschaft lautet dann: Erst mit dem Tod hast Du wieder einen Wert und eine unbedingte Würde, bekommst Mitleid und Anteilnahme zugestanden.

Nichts auf der Welt kann Robin Williams wieder lebendig machen. Wir sollten uns den Lebenden widmen, nicht den Toten.

Das Schicksal Robin Williams‘ kann also nur als Aufhänger dienen, um auf bestimmte Themen hinzuweisen. Da ich mich für Männerrechte interessiere, möchte ich diese Steilvorlage nicht ungenutzt verstreichen lassen, um zu zeigen, dass ich etwas zu sagen habe.

Zum anderen bleibt ein reiner Nachruf zu sehr auf der beschreibenden Ebene. Es reicht doch nicht, zu fragen: Was ist passiert? Die Frage muss lauten: Was ließe sich denn konkret ändern, damit das in anderen Fällen nicht passiert? Es gibt doch genügend andere Menschen, die noch zu retten sind. In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder ein, was Arne Hoffmann im Interview mit MANNdat gesagt hat:

„So erfreulich die in den letzten Jahren entstandene maskulistische Bloggerszene ist, so bedauerlich ist es zugleich, wie sehr sich die meisten von uns noch darauf beschränken, innerhalb der eigenen Filterbubble zu lamentieren, zu analysieren, zu kommentieren und zu diskutieren. Zahllose Blogposts und endlos lange Kommentarspalten helfen uns aber nur begrenzt. Allmählich wären Beiträge dringend geboten, die Aktionen initiieren, um die Positionen und Argumente der Männerbewegung so vielen Leuten wie möglich bekannt machen.“

Selbstmord und Depressionen

Doch zunächst noch ein Schwenk zurück. Vorgestern, am 10. September, war der Welttag der Suizidprävention. Auch darüber habe ich leider hier in der Blogblase nichts gelesen – erst mit meinen Recherchen für passende Verweise zu diesem Artikel bin ich darauf gestoßen.

Gleichmaß e.V. , erst kürzlich mit dem Sonderberaterstatus von der UN versehen, hat sich jedoch rund um dieses Thema außerordentlich verdient gemacht. Der Verein hat unter anderem die Fachbeirätin Prof. Dr. rer. soc. Anne-Marie Möller-Leimkühler, die sich in einem Interview mit dem BR über männliche Depression kurz zusammengefasst so äußerte:

„Unter anderem spricht sie auch das sogenannte Genderparadox an, demzufolge Männern zwar nur halb so oft wie Frauen eine Depression diagnostiziert wird, diese demgegenüber aber eine 3-4 mal so hohe Suzidrate aufweisen. Den durchgeführten Suizid(versuch)en wiederum ging in 90% der Fälle eine nicht diagnostizierte Depression voraus.“ (Anmerkung: Je nachdem, wo man nachschlägt, variieren diese Zahlen etwas. Drastisch sind sie oder oder so.)

Das fasst den Zusammenhang zwischen Selbstmord und Depressionen kurz und knapp zusammen: Nicht jede Depression führt zum Selbstmord (etwa jede sechste), aber Selbstmord hat meistens mit Depressionen zu tun. Und natürlich macht die höhere Selbstmordrate damit Depressionen zu einem Männerthema. Es ist eine Frage von Leben und Tod. Mehr Unterschied kann es nicht machen.

Depressionen bei Männern – ein ignoriertes Thema

Zugegeben, ich habe den WHO-Bericht zur Suizidprävention (PDF, Englisch; gefunden via Flussfänger) nur überflogen. Interessant ist (siehe ab Seite 20), dass Selbstmord bei Männern im Vergleich zu Frauen global fast doppelt so häufig vorkommt, in Europa jedoch sogar viermal so oft. Wenngleich sich Männer überall häufiger selbst töten als Frauen, gibt es also starke regionale Unterschiede – ein Grund mehr, sich dem Phänomen lokal zu widmen!

Die Forschung vermutet, dass bei Männern Depressionen seltener diagnostiziert werden als bei Frauen – was die erwähnte höhere Lebensgefahr bedeutet. Als Erklärungen dienen:

  • Männer ignorieren ihre Gesundheit, gehen später zum Arzt
  • falsches gesellschaftliches Signal: Hilfe in Anspruch nehmen gilt als Schwäche
  • bei gleichem Verhalten gegenüber dem Arzt wird bei Frauen eher auf Depressionen getippt
  • Männer weisen andere Symptome auf, die nicht klassischerweise mit Depressionen in Zusammenhang gebracht werden (Aggressivität, Alkoholmissbrauch)

Aus ganz verschiedenen Gründen – die außerdem zusammen auftreten können – haben Männer also schlechtere Karten, wenn es darum geht, eine Depression zu bewältigen. Denn von alleine kommt man da praktisch nicht mehr heraus; wer das ernsthaft glaubt, hat das Problem nicht verstanden.

Nun mag hinzukommen, dass Männer generell weniger Mitleid (oder Empathie) entgegengebracht wird (so dass das Anzeigen eigener Hilflosigkeit, das bei Depressionen nun wirklich angemessen und auch sehr angebracht wäre, weniger nützt) und/oder dass Männer weniger stark als Opfer wahrgenommen werden (bzw. die Hilfsbereitschaft ihnen gegenüber geringer ist). Ich meine, im Zusammenhang mit dem Konzept des entbehrlichen Mannes („the disposable male“), das mit ein wenig Nachdenken mit der gesamten Menschheitsgeschichte – heutzutage eingeschlossen! – in Einklang gebracht werden kann, so etwas gelesen zu haben, finde aber den Blogartikel und/oder die wissenschaftliche Quelle nicht mehr wieder.

Das wäre aber ohnehin nur das Sahnehäubchen in der Argumentation. Die Angst vor sozialer Isolation, wenn es mal ein Problem gibt, ist wohlbegründet:

„Selbst moderne, emanzipierte Frauen reagieren manchmal verschreckt, wenn ihr Mann wirklich einmal Schwäche zeigt. Therapeuten berichten, dass Frauen erst von ihrem Mann einfordern, Gefühle zu zeigen – und ihn genau dann verlassen, wenn er negative Gefühle, beispielsweise Depressionen, eingesteht. So haben diese Frauen sich das mit der Partnerschaft auf Augenhöhe dann nämlich doch nicht vorgestellt.“

(Das bedeutet allerdings eben nicht, dass man bei psychischen Problem sich niemandem anvertrauen sollte. Im Gegenteil, beim Kampf gegen Depressionen muss im Zweifelsfall alles andere hintenanstehen. Bei der Wahl zwischen einer offiziell intakten Beziehung und dem eigenen Leben sollte die Präferenz klar sein.)

Diesen Tatsachen trägt etwa der Männergesundheitsbericht 2013 Rechnung. Die Stiftung Männergesundheit schreibt dazu:

„Der Bericht zeigt, dass seelische Leiden bei Männern ein Tabu darstellen, woraus sich Defizite in der Diagnostik und Versorgung psychischer Erkrankungen bei Männern ergeben.“

(Die Befürchtung sozialer Stigmatisierung ist der Grund, warum ich pseudonym blogge.)

Hier gibt es im Namen der Gleichberechtigung gleich zwei Felder zu beackern. Offensichtlich ist es erstens für das Überleben vieler Männer wichtig, speziell zu Depressionen und besserer Diagnostik forschen. So etwas wie der Männergesundheitsbericht 2013 scheint genau das richtige zu sein. Warum ist der nicht kostenlos verfügbar? Den Frauengesundheitsbericht (PDF) bekommt man doch schließlich ebenfalls „einfach so“.

Zweitens mag eine vollständige Gleichbehandlung von Mann und Frau zwar Utopie sein, weil sich manche Ansichten und Bewertungen so tief eingebrannt haben, dass man sie nicht mehr wahrnimmt (vgl. „the disposable male“, siehe oben) und sie entsprechend schwer ändern kann. Dies darf aber nicht bedeuten, dass man nicht gesellschaftliche Konventionen aufbricht, die sich im Krisenfall als entscheidende Blockade erweisen. („Reiß Dich zusammen“ – Beschämung, „Wenn ein Mann Probleme hat, soll er selbst sehen, wie er klar kommt.“ – Nichterkennen, dass hier eingegriffen werden muss.) Eine würdige Aufgabe, die auch modernen Männern und Frauen wie schon erwähnt noch viel abverlangt.

Doch selbst wenn einem Männer an sich egal sind oder man annimmt, dass diese im Fall von Depressionen selbst für sich verantwortlich sind (es gehört zu einer psychischen Erkrankung wie einer Depression, dass man diese Verantwortung eben nicht mehr vollständig alleine wahrnehmen kann), gäbe es noch Gründe, sich um Depressionen bei Männer zu sorgen. Zum einen sind Männer volkswirtschaftlich und gesellschaftlich gesehen nützliche Packesel, die viel arbeiten und Geld heranschaffen. Depressionen verhindern genau das. Zum anderen sind von jedem Selbstmord geschätzt sechs weitere Menschen betroffen. Es gehört zur Natur von menschlichen Gemeinschaften, dass die Schicksale ihrer Mitglieder miteinander verwoben sind. (Inwieweit es vor diesem Hintergrund sinnvoll sein kann, ein Geschlecht zu verteufeln oder mit seinen Anliegen komplett zu ignorieren, muss jemand anderes erläutern – ich kann es nicht.)

Depressionen und Selbstmord – kein Schicksal

Es ist schon bedrückend, dass ein Filmthema für einen Hauptdarsteller Realität wurde: Selbstmord taucht mehrfach in Robin Williams‘ Filmen auf – mir wollen alleine spontan drei einfallen. Als erfolgreicher Hollywood-Schauspieler mag er wenig mit unserer Lebensrealität zu tun gehabt haben, doch sein Fall berührt.

Robin Williams‘ Leben endete mit Selbstmord. Er litt an Depressionen, hatte mehrere Scheidungen hinter sich, dadurch Geldsorgen und war daher in seiner Lebensführung stark eingeschränkt. Da der berufliche Erfolg zuletzt ausgeblieben war, hätte er – der großen Karriere zum Trotz – Aufträge annehmen müssen, die ihm nicht gefielen.

Das sind bereits mehrere Antworten auf einmal auf die Frage: Was bringt Männer aus der Spur?

(Klassische Männerthemen wären: Zahlvater, entsorgter Vater, Kuckucksvater, Scheidungsopfer / ansonsten: häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, PTBS zum Beispiel bei Soldaten / von Linksliberalen werden ferner thematisiert: Zwangsheirat, sexuelle Orientierung, Fremdenfeindlichkeit / dazu der „gläserne Boden“: Männer fallen leichter durch alle sozialen Raster, ferner die Vermutung, dass es gerade bei schweren Situationen es weniger Empathie für Männer gibt)

Andererseits muss auch gesagt werden: Nicht jede Krise oder schlechte Situation führt zu Depressionen. Umgekehrt können auch erfolgreiche Menschen Depressionen haben (siehe Robert Enke). Es wäre also falsch, hier eine Art „unentrinnbares Schicksal“ hineinzuinterpretieren. Man darf sich nicht alleine an den negativen Fällen aufhalten. Dazu folgendes Video (gefunden via Iphelgold), von 58:00 bis 1:00:10:

Manfred Lütz: Irre! Das Problem sind die Normalen!

Hier wird noch einmal der Fall Robert Enke angesprochen, aber auch eine sehr wichtige Tatsache: Die meisten Depressionen sind heilbar.

Wenn Depressionen unausweichlich und vorprogrammiert zu Selbstmord führen würden, dann wäre es egal, ob man etwas tut oder nicht. Aber weil dem nicht so ist, kommt es darauf an, zu handeln.

Was tun?

Womit wir wieder bei Arne Hoffmann wären. Als Gleichmaß e.V. Unterstützung für ein Männerhaus von der Politik erhielt, kommentierte er das wie folgt:

„Sobald man seine politischen Aktivitäten nicht darauf beschränkt, in Blogs und Foren miteinander zu plaudern, sind auch Erfolge für Männer möglich.“

Das hatte bei mir gesessen! Der Stachel saß tief.

Was wäre bei diesem Thema eine vernünftige Forderung? Grob beschreibt das etwa
MANNdat:

„Depressionen müssen bei Männern stärker erforscht und besser behandelt werden. Diese Krankheit wird bei Männern häufig nicht als solche erkannt oder sie wird ignoriert, obwohl beispielsweise knapp dreimal so viele Männer wie Frauen Suizid begehen (bei Jugendlichen sind es sogar geschätzt neunmal so viel).“

Vor einigen Monaten hat Lucas Schoppe (wie schon andernorts vorgeschlagen) Politiker angeschrieben. Politischer werden – oder zumindest ein Thema an Politiker herantragen – zeigt, dass einem eine Sache wichtig ist. Wenn das genügend viele machen, kann es irgendwann nicht mehr ignoriert werden. „Das bewegt die Wähler“ ist ein Argument. Vielleicht schade, dass es so laufen muss, aber hey, so weiß man wenigstens, in welche Richtung man arbeiten muss, also nicht über die Art der Lösung klagen.

Was wäre eine Forderung, um sich an Abgeordnete zu wenden? Ganz konkret ein kostenloser Männergesundheitsbericht (vor dem Hintergrund psychischer Erkrankungen wie Depressionen und der erhöhten Selbstmordrate), etwas weiter gefasst die bessere Forschung – und die Frage nach Maßnahmen, die dafür unternommen werden. Aber vielleicht lohnt sich auch die allgemeine Frage, wofür sich der Abgeordnete angesichts der bedrückenden Statistik (und anlässlich des Welttags der Suizidprävention) einzusetzen gedenkt.

Frage in die Runde: Macht jemand mit?

Oh, und wenn wir schon über Männergesundheit und Aufmerksamkeit erregen sprechen: Wollen wir gemeinsam etwas zum Movember machen? (Noch steht auf dem Internetauftritt nichts, aber woanders gibt es etwa ein lustiges Foto von Thomas Hitzsperger mit Erklärung, worum es geht.) Es ist zwar noch über eineinhalb Monate hin, aber nicht, dass wir das schon wieder verpassen!

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein Lied, das sehr gut zum Thema passt.

R.E.M.: Everybody Hurts

22 Kommentare zu „Warum ich Depressionen für ein wichtiges Männerthema halte“

  1. Frage in die Runde: Macht jemand mit?

    Ich. Aber nicht in Deutschland 🙂
    Habe gerade ganz unschuldig beim Bundesministerium für Gesundheit in Österreich nachgefragt, wann ich mit einem Gesundheitsbericht für Männer rechnen könne. Mal sehen was passiert.

  2. …ein grosses Problem für die an Depressionen erkrankten Menschen ist die Tatsache, dass diese für die Gesundheitsindustrie kein grosses Problem sind.
    Ein Mensch, dessen psychische Belastung zu aggressiven Verhalten und zu Gefährdungen seiner Umwelt neigt, wird genau diagnostiziert und (meistens) gut behandelt.
    Der Depressive gefährdet in der Regel nur sich selbst. Allenfalls gibt es Verzögerungen im Bahnverkehr („Wegen eines Personenunfalls auf der Strecke zwischen…“) Ein Amokläufer, der andere tötet – da können behandelnde Ärzte in die Verantwortung gezogen werden; beim Suizid ist niemand ausser dem Toten für dessen Tod verantwortlich. Er hätte ja rechtzeitig Hilfe suchen sollen.
    In den Kliniken sitzen die „Depris“ ruhig in der Ecke, schauen Fernsehen, gehen brav in die Mal-Therapie und essen, was auf den Tisch kommt.
    Ein Psychotiker fordert das medizinische und therapeutische Personal. Den stellst du nicht so einfach in die Bastel-Ecke.
    Ein guter Freund von mir ist seit ca. 2005 an Depressionen erkrankt, arbeitsunfähig, nun in der Berufsunfähigkeits-Rente, hat auch schon einen Suizid-Versuch hinter sich. Bislang hat kein einziger (!) Arzt mit ihm einen standardisierten Test (z.B. den nach Goldberg) durchgeführt. Damit wurde die Wirksamkeit der Anti-Depressiva auch nicht standardisiert überprüft. „Nehmen Sie von diesen hier zwei Stück täglich.!“ – „Geht es Ihnen damit besser? Gut, schlucken Sie das weiter.“ Die Frage nach dem „besser-Gehen“ ist das eine; die Frage nach dem „WIEVIEL besser geht es Ihnen nun?“ wäre aber die richtige. Und die stellt keiner.
    Depressive sind angepasst – deshalb auch „brave“ Patienten. In der Tagesklinik „funktionieren“ sie – wie hoch der Schimmel in deren Küche wächst, wie viele ungeöffnete Briefe sich in der Wohnung stapeln, das überprüft kein Arzt. Und ich betone: „überprüft“ – denn auf die blosse Frage während der Therapie-Stunde wird der Klient aus Gründen der Scham sagen, dass alles in Ordnung sei.
    Ich bin überzeugt, dass die Gruppe der Depressiven die am schlechtesten behandelten Patienten sind. Nicht, weil die Kenntnisse fehlen, sondern weil die Kenntnisse nicht angewendet werden. Und dies, weil dies für die „Gesundheits-Industrie“ nicht profitabel ist. Jeder Depressive in der Klinik verhindert, dass dieser Therapie-Platz von jemanden belegt wird, der „anspruchsvoller“ im Umgang ist. Ganz böse zusammengefasst: Jeder Depressive ist eine „Cash-Cow“ für Kliniken und Ärzte.

    Ich denke nicht, dass eine Forderung an meinen Abgeordneten in diesem Dilemma etwas bewegt.

    1. Nachtrag: Und in wie vielen Fällen wurde im Rahmen der Diagnostik ein Blick auf mögliche körperliche Ursachen geworfen?
      mögliche entzündliche Prozesse im Körper, Vitaminmangel, Eisenmangel, Spurenelemente-Versorgung, Hormonstatus (z.B. Testosteronspiegel, Schilddrüsenhormone,) Eiweissversorgung (Botenstoffe sind Aminosäuren, für die Verfügbarkeit von Aminosäuren braucht es diese schon in der Nahrung und es gibt deren verschiedene), Versorgung mit den richtigen und wichtigen Fettsäuren; zahnärztliche Untersuchung (mit Arzt-Bericht des Dentisten an den psycho-diagnostizierenden Arzt)…

      Welcher Botenstoff/Neurotransmitter ist im Defizit? Mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern behebt man keinen Dopamin-Mangel. Aber mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern kann die durch Dopamin-Mangel verursachte Prokrastination besser ertragen werden. Ändert aber nix am Dopamin-Mangel…

      Falls hier jemand aus der Psycho-Diagnostik mitliest – ich freue mich auf dessen Kommentar zu meinem Kommentar.

  3. Schöner und tief recherchierter Artikel, Graublau. Und (leider) einer, der die existierende Realität in Deutschland beschreibt.

    Zu deiner Frage: „Macht einer mit?“ Ich hatte nicht nur dazu u.a. Anfragen an die Ministerien für Familie und Gesundheit gestellt. Als Antwort kam ein, man glaubt es kaum, Mail von einem Callcenter aus Gütersloh (Bertelsmann wahrscheinlich), welches mir schrieb, dass sie sich für die Frage bedanken und man bald von mir hören werde.

    Das Ergebnis nach vielen Monaten: Nix, nada, njente …

    Da du Robin Williams aufgegriffen hast und das Thema Depression: http://emannzer.wordpress.com/2014/09/11/das-letzte-gefecht-der-medien/

    Ich ergänze den Beitrag mal um einen Link zu deinem Artikel.

  4. zu “Selbst moderne, emanzipierte Frauen reagieren manchmal verschreckt, wenn ihr Mann wirklich einmal Schwäche zeigt. Therapeuten berichten, dass Frauen erst von ihrem Mann einfordern, Gefühle zu zeigen – und ihn genau dann verlassen, wenn er negative Gefühle, beispielsweise Depressionen, eingesteht. So haben diese Frauen sich das mit der Partnerschaft auf Augenhöhe dann nämlich doch nicht vorgestellt.”

    JA, das erlebe ich auch gerade.

    „Depression und Selbstmord – kein Schicksal“. Ja, das ist kein Schicksal. Es ist entweder ein Affekt (der zu vermeiden wäre) oder eine klarer Entscheid (der m.E. dann auch vollzogen werden darf!)

    1. Selbstmord ist meines Wissens auch nicht strafbar. Aber unter Depressionen sieht man die Dinge nicht klar, und wenn wie gesagt 90% der Selbstmorde mit Depressionen zu tun haben, dann hat Selbstmord nur in den allerwenigsten Fällen mit freier Entscheidung („unter Vollbesitz der geistigen Kräfte“) zu tun und in den meisten Fällen mit Krankheit und Verzweiflung.

      Da Du eine Passage zitierst, die auch mir sehr naheging: Möchtest Du vielleicht über Deine Situation schreiben?

      1. Ich habe geschrieben, auf meinem Blog. Ab hier in kurzen Worten:
        Vulnerabilität für Depris seit langem, ebenso Suizidgedanken seit der Jugend (damit meine ich nicht gelegentliches dran denken, sondern schon ein Selbstläufer, seit rund 40 Jahren)
        Burnout vor 4 Jahren
        Seitdem am herumlavieren
        Im Job nicht mehr auf die Füsse gekommen, sondern stetiger Abstieg
        Chef jetzt das Ende angesprochen (des Jobs, letzte Woche)
        Frau das „es geht so nicht mehr“ und Trennung angesprochen, Trennung dann auch ausgesprochen (letzten beiden Wochen)
        Mein Glaube an Gott nicht mehr vorhanden
        Mein Glaube an meine eigenen Fähigkeiten nicht mehr vorhanden. Vielmehr Verachtung für mich selbst.

        Das hat sich nach und nach entwickelt. Und jetzt ist es definitiv zuviel.

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