Gastartikel: Leszek darüber, wie Vertreter der Gender Studies mit Kritik umgehen

Erneut bringt Leszek einen so ausgewogenen und ausführlichen Kommentar, dass ich ihn zum Gastartikel umfunktioniere. Das mag kurzfristig die Diskussion zerfasern, langfristig sind gute Texte leichter wieder auffindbar. Ab hier Leszek; ich habe einzig die Links beschriftet:

Hier noch ein Hinweis auf ein Buch von Vertretern der Gender Studies, das als Reaktion auf Kritik an den Gender Studies veröffentlicht wurde und ein paar kurze Hinweise darauf, wie Vertreter der Gender Studies meiner Erfahrung nach mit Kritik umgehen:

Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Herausgeber): Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen

(Es ist möglich bei Amazon ein bißchen in das Buch reinzulesen.)

Natürlich laufen die Kapitel in dem Buch wesentlich darauf hinaus, dass Kritiker der Gender Studies grundsätzlich rechts (rechtskonservativ, neurechts, rechtsradikal, christlich-konservativ oder religiös-fundamentalistisch etc.) seien, traditionelle Geschlechterrollen als Leitbild erhalten wollten, homophob seien usw.
Es kann leider nicht bestritten werden, dass es unter Kritikern der Gender Studies auch solche Leute gibt und auch ich halte von diesen nichts. Es gibt neben konservativer/rechter Gender-Kritik – die zumindest teilweise leider tatsächlich in entsprechende Einstellungen abrutscht – aber auch Kritiken an den Gender Studies aus liberaler sowie linker politischer Perspektive. Und was wissenschaftlich fundierte Argumentationen angeht, so gibt es Kritik an den Gender Studies, die naturwissenschaftlich ausgerichtet ist und auch solche, die geisteswissenschaftlich oder sozialwissenschaftlich ausgerichtet ist.
(Es gibt sogar Kritiken an den Gender Studies seitens einiger konkurrierender feministischer Strömungen.)

Die Diskursstrategien der Vertreter der Gender Studies im Umgang mit Kritik zielen in der Regel darauf ab Kritiker der Gender Studies pauschal in die rechte Ecke zu stellen, die Vielfalt von politischen und wissenschaftlichen Positionen und Argumenten im Spektrum der Kritik an den Gender Studies wird bewusst ignoriert. Eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlich fundierten Gegenargumenten findet nicht statt.

– Eine gerne gebrauchte Diskursstrategie der Vertreter der Gender Studies behauptet z.B., wer nicht an die reine und ausschließliche soziale Konstruiertheit geschlechtsbezogener Identitäten glaube, der würde automatisch einen biologischen Determinismus vertreten, also dass geschlechtsbezogene Identitäten vollständig biologisch determiniert seien. Natürlich ist das eine so einseitig wie das andere und außer vielleicht ein paar Hanseln aus dem Lager der konservativen/rechten Gender-Kritiker, die ähnlich einseitig wie die Gender Studies-Vertreter soziale Einflüsse überbetonen eben biologische Einflüsse überbetonen, behauptet niemand – auch die naturwissenschaftlichen Gender-Kritiker nicht – dass nicht auch soziale Einflüsse für die Bildung geschlechtsbezogener Identitäten eine Rolle spielen. Schon die Vielfalt der Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Zeiten und Kulturen zeigt, dass es einen sozial konstruierten Anteil bei der Ausbildung geschlechtsbezogener Identitäten geben muss. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch biologische Dispositionen bezüglich geschlechtsbezogener Identitäten existieren, eine ergebnisoffene Geschlechterforschung mit interdisziplinärem Anspruch hätte in dieser Hinsicht eben zu versuchen soziale UND biologische Einflussfaktoren und ihr Zusammenwirken zu erforschen.

– Eine weitere Diskursstrategie der Vertreter der Gender Studies postuliert, dass wer nicht an die reine und ausschließliche Konstruiertheit geschlechtsbezogener Identitäten glaubt, zwangsläufig traditionelle Geschlechterrollen als Leitbild bejahen würde sowie real existierende vielfältige Präferenzen bei Frauen und Männern leugnen würde.
In Wahrheit ergeben sich aus den aktuellen Theorien der verhaltensbiologischen Geschlechterforschung aber keine essentialistischen Geschlechterbilder, vielmehr wird davon ausgegangen, dass es einerseits DURCHSCHNITTLICHE biologisch disponierte Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe, dass es aber andererseits AUCH eine biologisch disponierte breite Vielfalt und Varianz jeweils innerhalb der beiden Geschlechtergruppen von Frauen und Männern gebe. Das bedeutet also, dass es in verhaltensbiologischer/evolutionspsychologischer Perspektive neben durchschnittlichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern von Natur aus auch verschiedene Präferenzen innerhalb der Geschlechtergruppen von Frauen und Männern gibt, dass es also neben Frauen und Männern, die von ihren Präferenzen her stärker zu traditionellen Geschlechterrollen tendieren auch solche gibt, die dies überhaupt nicht tun und die ohne traditionelle Geschlechterrollen leben möchten und wieder andere, die tendenziell irgendwo dazwischen liegen.
Wollte man aus diesen Forschungsbefunden und Theorien also aus einer freiheitlichen Perspektive irgendeine Empfehlung ableiten, dann wären dies weder traditionelle Geschlechterrollen als Leitbild, noch „progressive“ Geschlechterrollen als Leitbild, sondern der Verzicht auf jedes verallgemeinernde geschlechtsbezogene normative Leitbild und die Orientierung am Individuum von klein auf, also dass jedes menschliche Individuum egal welchen Geschlechts hinsichtlich seiner geschlechtsbezogenen Identität und Lebensweise so traditionell oder nicht-traditionell leben können sollte, wie es dies wünscht.

Christian hatte dazu mal einen lesenswerten Artikel geschrieben:

Geschlechterrollen: Häufungen wird es immer geben, dies sollte aber keinen Konformitätszwang erzeugen

Eine solche konsequente Orientierung an der persönlichen Freiheit anstatt an normativen geschlechtsbezogenen Leitbildern würde m.E. auch das gegenseitige Hochschaukeln zwischen Anhängern der Gender-Theorie einerseits und speziell so manchen konservativen Gender-Kritikern andererseits entschärfen, denn in psychologischer Perspektive steckt hinter diesem Konflikt m.E. wesentlich, dass es sich jeweils oft um Menschen mit verschiedenen Präferenzen in geschlechtsbezogener Hinsicht handelt. Die einen – konservative Gender-Kritiker – neigen von ihren persönlichen Präferenzen her stärker zu einem Leben nach traditionellen Geschlechterrollen, die anderen – Anhänger der Gender-Theorie – neigen von ihren persönlichen Präferenzen her stärker zu einem Leben ohne traditionellen Geschlechterrollen. Beide machen leider zu oft den Fehler ihre jeweiligen Präferenzen zu verabsolutieren und es fällt ihnen schwer zu verstehen, dass die andere Seite jeweils eine Lebensweise vertritt, die ihnen selbst aufgrund ihrer anders gelagerten Präferenzen als einschränkend und unbefriedigend erscheint, so dass beide Seiten sich hinsichtlich ihrer für sich selbst als befriedigend empfundenen Lebensweise von der jeweils anderen Seite bedroht fühlen und sich daher gegenseitig hochschaukeln.
Paradoxerweise ist die nicht-essentialistische verhaltensbiologische Perspektive diejenige, die unterschiedliche Präferenzen in geschlechtsbezogener Hinsicht viel leichter anerkennen kann als dies die Vertreter der Gender Studies tun, die auf ihre Weise genauso einseitig sind wie ideologische Geschlechter-Traditionalisten, nur in inhaltlicher Hinsicht umgekehrt.

– Eine weitere gerne verwendete Diskusstrategie von Vertretern der Gender Studies wirft Kritikern der Gender Studies vor Gegner der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu sein. Hierbei wird dann nicht selten mit einer Verwechslung der Begriffe Gleichberechtigung (Chancengleichheit) und Gleichstellung (Ergebnisgleichheit) hantiert.
Viele Kritiker der Gender Studies bejahen aber eindeutig die Gleichberechtigung der Geschlechter, ihre Kritik richtet sich gegen eine durch die Gender Studies mitlegitimierte Gleichstellungspolitik, welche geschlechtsbezogene gesellschaftliche Ungleichverteilungen durch Frauenquoten zu beseitigen versucht ohne vorher genau geprüft zu haben, ob und inwieweit solche geschlechtsbezogenen gesellschaftlichen Ungleichverteilungen tatsächlich ein Produkt von Diskriminierung sind oder ob und inwieweit sie aus unterschiedlichen durchschnittlichen Präferenzen von Frauen und Männern resultieren.
Wenn es IM SCHNITT durchschnittliche Interessenunterschiede hinsichtlich Studium, Arbeit und Karriere zwischen Frauen und Männern gibt, dann ist klar, dass es auch zu gewissen geschlechtsbezogenen gesellschaftlichen Ungleichverteilungen kommen muss, trotzdem hat dies in diesem Fall nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern ist dann in letzter Instanz Ausdruck der persönlichen Wahlfreiheit.

– Dann gibt es noch die Diskursstrategien seitens Anhängern der Gender Studies gegen Männerrechtler und die Versuche von Männerrechtlern auf die Beseitigung von Diskriminierungen, sozialen Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen von denen Jungen und Männer betroffen sind, hinzuwirken. Zur Diskreditierung von Männerrechtlern wurden einige als „Expertisen“ getarnte pseudowissenschaftliche Propaganda-Schriften kreiert. Neben den bereits erwähnten Diskursstrategien der Vertreter der Gender Studies kommt hier häufig noch der Vorwurf hinzu, es ginge darum „männliche Privilegien“ zu verteidigen, es werden pauschale und undifferenzierte Sexismus-Vorwürfe gegen Männerrechtler erhoben, bestenfalls wird zugestanden, dass es, obwohl Frauen sehr viel stärker benachteiligt seien, auch ein paar Benachteiligungen von Männern gebe, die dann meist als „Kollateralschäden des Patriarchats“ gedeutet werden und ansonsten übergangen werden.

Nun wird m.E. jeder, der sich eine Zeitlang mit dem Thema „Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen von denen Jungen und Männer betroffen sind“ ernsthaft beschäftigt und die Argumente und Forschungsbefunde von Männerrechtlern überprüft zu dem Ergebnis kommen, dass die meisten Anliegen und Ziele der Männerrechtsbewegung berechtigt sind:

Was die Männerbewegung will

Was wir wollen

„Das richtige Buch zur richtigen Zeit“, Kundenrezension von Hans A. zu Arne Hoffmanns „Plädoyer für eine linke Männerpolitik“

Männer sind keine „privilegierte Klasse“. Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen von denen Jungen und Männer betroffen sind, sollten daher in der sozialwissenschaftlichen Forschung und Theoriebildung und in der Geschlechterpolitik genauso ernst genommen werden wie äquivalente Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen von denen Mädchen und Frauen betroffen sind. Und genau dies wird auch in der Mehrheit der für die Männerrechtsbewegung zentralen Literatur gefordert und nicht etwa eine einseitige Geschlechterpolitik nur für Jungen und Männer.
Ich verwende für eine geschlechtsübergreifende Perspektive auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen, die versucht die Probleme aller Geschlechter (Frauen, Männer, Intersexuelle, Trans-Personen) in wissenschaftlicher, theoretischer und politischer Hinsicht zu berücksichtigen den Begriff „Integraler Antisexismus“. Mit einer solchen Sichtweise können die Gender Studies leider überhaupt nichts anfangen.
Dies von ihnen zu erwarten wäre so unrealistisch wie aber in moralischer Hinsicht angemessen. Wer wie die Gender Studies u.a. mit dem Anspruch auftritt für geschlechtsbezogene Diskriminierungsforschung zuständig zu sein und dann auf einem Auge blind ist, der verzerrt in erheblichem Maße die Realität.

– Zuletzt sei auch noch auf die von Vertretern der Gender Studies gängigen Homophobie-Vorwürfe an Kritiker der Gender Studies eingegangen. Es gibt ohne Frage leider auch Kritiker der Gender Studies, auf die dieser Vorwurf zutrifft und andere bei denen man zumindest einräumen muss, dass sie wenig Sensibilität für das Engagement gegen Diskriminierungen von Homosexuellen und für die Gleichberechtigung von Homosexuellen haben. Aber da das Spektrum von Kritik an den Gender Studies in Wahrheit sehr breit ist, gibt es selbstverständlich auch ganz andere Ansichten hierzu. Gerade unter den linken und liberalen Gender-Kritikern – einschließlich linker und liberaler Männerrechtler –

Erste maskulistische Blogparade: Warum auch Schwulenrechte Männerrechte sind

gibt es auch viele, die jede Diskriminierung von Homosexuellen ablehnen und die die Gleichberechtigung von Homosexuellen z.B. hinsichtlich Ehe und Adoptionsrecht eindeutig bejahen.

Zudem wird von linken und liberalen Kritikern der Gender Studies bei diesem Thema auch häufiger die Kritik geäußert, dass die in den Gender Studies gängige Auffassung auch sexuelle Orientierungen seien rein sozial konstruiert nicht nur vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu den Ursachen von Homosexualität wissenschaftlich nicht haltbar ist, sondern, dass diese Sichtweise – abgesehen von dem Umstand, dass viele Homosexuellen sich ausgehend von ihrer eigenen Lebenserfahrung gar nicht mit dieser Annahme identifizieren können – auch für die berechtigten Anliegen von Homosexuellen nicht förderlich ist, weil diese Sichtweise paradoxerweise auch homophobe Umerziehungsversuche gegenüber Homosexuellen legitimieren könnte sowie weil die irrationalen Ängste mancher Konservativer dadurch befeuert werden.

Eine wissenschaftliche Disziplin muss sich u.a. auch daran messen lassen, wie sie mit begründeter Kritik umgeht, und was das angeht, sieht es bei den Gender Studies im Allgemeinen schlecht aus.
Mein Text ist leider doch etwas länger geworden, weil ich für Mitleser, die mit den Argumenten einer wissenschaftlich fundierten und emanzipatorischen Kritik an den Gender Studies vielleicht noch wenig vertraut sind, ein paar zentrale Positionen hierzu wenigstens erwähnen wollte.

Ende des Gastartikels. Wie ich schon direkt darauf schrieb:

Das „Kritiker sind alles Rechte“-Argument bedeutet ja nichts anderes als: „Kein Mensch, der ohne ideologische Scheuklappen durchs Leben geht, findet etwas ernsthaftes daran auszusetzen.“ Und das muss doch skeptisch stimmen, denn Wissenschaft speist sich immer daraus, dass Annahmen hinterfragt, kritisiert, widerlegt, verworfen, verbessert, verfeinert werden. Ein „da kann man ja gar nichts mehr dran verbessern“ ist unwissenschaftlich und ein verlässlicher Hinweis auf ideologische Scheuklappen.

Zur falschen Dichotonie „alles sozial konstruiert“ – „biologischer Determinismus“, Zu den unterschiedlichen Präferenzen insgesamt und den gleichzeitig bestehenden Varianzen innerhalb der Geschlechter, zu den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Ergebnissen und warum sie eben kein Zeichen von Diskriminierung sind, zur spezifischen Benachteiligung von Jungen in der Schule, was sich nicht mit der einfachen Erzählung „männlich = privilegiert“ deckt siehe Peter Döge.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Noch ist es nur eine schöne Vision – aber die Art, wie Leszek das Ziel beschreibt, dass jedes menschliche Wesen nach seiner Façon leben kann, ergreift mich jedesmal erneut. Das ist ein positives Bild! Das ist etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt! Nun mag diese Version von „Everybody’s Free“ für manche zu religiös angehaucht sein, ich finde sie aber schön und stimmungsvoll.

Romeo & Juliet (1996) – Quindon Tarver – Everybody’s Free

2 Kommentare zu „Gastartikel: Leszek darüber, wie Vertreter der Gender Studies mit Kritik umgehen“

  1. „Anhänger der Gender-Theorie – neigen von ihren persönlichen Präferenzen her stärker zu einem Leben ohne traditionellen Geschlechterrollen.“

    Kleine Lästerei als Ergänzung: Anhänger der Gender-Theorie scheinen eine deutlich engere Bandbreite an Geschlechterrollen zu akzeptieren (scheinbar geschlechtslose, aber irgendwie können sie trotzdem Männer und Frauen auseinanderhalten) als die offziellen Konservativen, wo man haufenweise unverheiratete Paare etc. vorfindet, und das seit rund einer Generation, also inzwischen traditionell nichttraditionell 😉

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