Warum ich schwangere Kolleginnen völlig ok finde

„Die Wirtschaft könnte so gut laufen, wenn nur die Menschen nicht wären!“ Diese Einstellung führe ich schon immer auf asoziale Ratten zurück. Ja, bei dieser Gelegenheit spreche ich deutliche Worte. Der Mensch als Störfaktor im Wirtschaftssystem – da hat jemand etwas falsch herum verstanden (oder die falschen Prioritäten gesetzt). So direkt sagt das zum Glück fast niemand, aber wann immer eine Argumentation sich in die Richtung bewegt, werde ich hellhörig.

Was musste ich zuletzt lesen? Einen verstörenden Artikel nebst entsprechender Diskussion. Das eigentliche Thema sollte ein ganz anderes sein, aber es wurde zurecht die Hauptsache: Eine diskriminierende, weil sexistische Auswahl von Bewerbern. Frauen hätten, so wurde frank und frei zugegeben, selbst bei bester Qualifikation keine Chance, die Stelle zu bekommen.

Es ist faszinierend und bewundernswert, wie sehr einige Kommentatoren nachsetzten und sich nicht mit halbgaren Beschwichtigungen zufrieden gaben. Darunter fielen:

  1. Die meisten Frauen wollen gar nicht führen.
  2. Es gibt ja ohnehin nur 5% Bewerberinnen.
  3. Es ist ja nur eine Stelle!
  4. Das ist sowieso ein harter, das möchte man den wenigsten zumuten.

Natürlich ist das alles Blödsinn. Wenn sich eine Frau findet, die hart im Nehmen ist, die in einer solchen Stelle ihre Erfüllung sieht, dann muss sie, wenn sie die Qualifikation hat, eine Chance haben, die Stelle zu bekommen. (Immer unter der Voraussetzung, dass sie so gut ist wie andere Bewerber usw. – ich werde jetzt nicht die Bedingungen aufzählen, die unter „mit gesundem Menschenverstand betrachtet“ zusammenfassen würde.)

Mein Lieblingstest bei solchen Fragestellungen ist ja immer: Wie sähe derselbe Sachverhalt aus, wenn man sinngemäß Ausländer / Schwarzer / Jude einsetzen würde? „Wir wollen grundsätzlich keine Ausländer für die Stelle.“ / „Wir wollen grundsätzlich keine Schwarzen für die Stelle.“ / „Wir wollen grundsätzlich keine Juden für die Stelle.“ Starker Tobak!

Stellen wir uns ein anderes, aber sehr ähnlich gelagertes Beispiel vor: Eine Stelle wird geschlechtsneutral ausgeschrieben, es wird aber eigentlich nur eine Frau gesucht. Es bewirbt sich ein hochqualifizierter Mann, formal entspricht er den Anforderungen, aber man kann ihn aus diesen diskriminierenden Gründen nicht nehmen und streicht die Stelle lieber ganz. Unglaublich, oder? Der Fall eines Mathematik-Professors sorgte vor vier Monaten zurecht für Aufsehen (zumindest in dieser Blogblase) – ich staune aus heutiger Sicht, bei wem unter anderem.

Kommen wir nun zu dem Grund, der vorgeschoben wird, um Diskriminierung zu rechtfertigen: „Wir haben Angst vor Frauen als Mitarbeitern, weil die schwanger werden können.“ Alles klar! Und nächste Woche: Warum ist die Geburtenrate (gerade bei Akademikerinnen) so niedrig?

Fummeln wir das mal Schritt für Schritt auseinander. Zunächst einmal sollten wir nicht auf eine billige Nebelkerze hereinfallen: Das sei eine Stelle im Top-Management. Deswegen sei es doch klar, dass man völlige Hingabe erwarten müsse, und das sei bei Frauen im gebärfähigen Alter unwahrscheinlich. Außerdem gehe es um KMU (für die Nicht-Ökonomen: das steht für „kleine und mittlere Unternehmen“). Bei denen wirke sich der längere und unerwartete Ausfall eines Mitarbeiters fatal aus.

Also, was denn nun? Das Spitzenmanagement, über das wir im Zusammenhang mit der Frauenquote reden, betrifft nur eine Handvoll Großkonzerne, also gerade nicht KMU. Und KMU werden uns immer auch damit als wichtiges Rückrat oder Seele der deutschen Wirtschaft verkauft (und ich glaube es sogar), dass sie anpassungsfähiger seien.

Mit Verlaub: Die Karte „die können sich nicht darauf einstellen“ zieht da nicht. Je größer der Laden, desto eher findet man jemanden innerhalb des Betriebs, der den Ausfall ersetzen kann. Je kleiner die Klitsche, desto mehr kann man erwarten, dass sich alle Beteiligten absprechen.

Klar, ungeplante Schwangerschaft läßt sich nie zu 100% ausschließen. Aber bitte, hören wir denn sonst nicht von irgendwelchen Leuten mit stolzgeschwellter Brust, das einzig konstante sei der Wandel, und das sei ihr tägliches Geschäft? Und so etwas Gewöhnliches wie eine schwangere Frau bringt sie aus dem Konzept? Auf welchem Planeten leben diese Leute? Mal umgekehrt gesehen: Wenn in dieser Blogblase Forderungen nach Sicherheit abgelehnt werden (die auch überzogen sind, meine Wertung), dann mit dem Hinweis, dass ich mich nie vollständig vor Risiken schützen kann und vor allem, dass es immer Idioten geben wird. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt auch für diesen Fall.

„Kind und Karriere“ halte ich tatsächlich für eine Illusion, und ich glaube, dass der Ausdruck hauptsächlich wegen der Alliteration verwendet wird, denn ansonsten führt er in die Irre. Ich setze dem mal eine andere entgegen: „Auslaufmodell Alleinverdienerehe“. Darum muss „Kind und Beruf“ vereinbar sein – ohne Reibung und Ärger wird das nicht gehen, aber es muss machbar sein.

Sodann lese ich, die Stelle sei als Sprungbrett geplant. Dann wird nach 2-3 Jahren ohnehin ein Wechsel nötig sein! Gerade wenn man Typen direkt von der Uni im Auge hat, die sich hocharbeiten wollen, muss man davon ausgehen, dass sie von einer anderen Firma abgeworben werden. Dieses Schicksal ist KMU nur zu gut bekannt. Um nach oben zu kommen, muss man wechseln oder von Anfang an bei einer größeren Firma einsteigen.

Der nächste Widerspruch: Entweder es sind genug andere Leute da, weil man eine Flut von Bewerbungen hat, bei denen man nicht nach formalen Kriterien aussortieren kann. Dann wird Ersatz zu finden kein Problem sein. Eine Frau automatisch auszuschließen ist dennoch Diskriminierung, selbst wenn ihre Chance auf die Stelle minimal waren. Oder es herrscht Fachkräftemangel (meiner Ansicht nach generell ein Mythos, er herrscht eher „Mangel an Fachkräften, die man mit einem niedrigen Lohn abspeisen kann“) und man bekommt schwer einen neuen Mitarbeiter: Dann ist jedoch Entgegenkommen sinnvoll in Form von Regelungen, mit denen man auf Schwangerschaften adäquat reagieren kann.

Sexuelle Diskriminierung bei der Vergabe von Stellen trifft Männer wie Frauen (siehe das Mathematik-Professur-Beispiel oben). Mein Bekannter X suchte lange eine Stelle. Eine Regel schälte sich heraus: Aufgrund der „Wir wollen unseren Frauenanteil erhöhen und stellen bei gleicher Qualifikation eine Frau ein“-Regelung vieler Unternehmen hatte er keine Chance mehr, sobald sich eine (wohl mindestens halbwegs qualifizierte) Frau bewarb. Es war ab dann egal, wie gut er war. Genau das würde eine Frau umgekehrt im Ausgangsfall erleben. Aus diesem Grund bin ich auch gegen eine Frauenquote, denn sie läuft auf einen ähnlichen Mechanismus hinaus.

Meine Bekannte Y hingegen wurde in ihrer ersten Stelle ausgebremst und nicht ernst genommen. Es stellte sich heraus, dass der Chef ein mentales Problem hatte. Er war der Meinung, Frauen gehörten an den Herd und da sie irgendwann schwanger würde, würde sie jetzt eh nichts reißen.

Mein Bekannter Z wiederum wurde völlig ausgelaugt an seinem Arbeitsplatz. Sein Vorgesetzter verlangte Übermenschliches. Für den Kram zu Hause, da habe man ja eine Frau, die einem den Rücken freihielte… auch die Einstellung ist natürlich von vorgestern. Textaufgabe: Wie läßt sich diese Idee mit der Realität vereinbaren, in der es homosexuelle Männer gibt, bei denen beide Partner arbeiten – von Single-Männern wollen wir mal gar nicht reden?

Wenn eine Stelle „nur für Männer“ vorgesehen wird, weil man das Frauen aufgrund der Härte „ja auch nicht zumuten“ kann – dann ist das einerseits Frauenbevormundung. Andererseits handelt es sich auch um Männerdiskriminierung („mit denen kann man es ja machen“).

Ich selbst habe in mehreren KMU erlebt, wie sowohl Frauen als auch Männer Elternzeit genommen haben. Schwangerschaftszeiten kann man planen inklusive Rückkehr. Die Einstellung war: Lieber einen Mitarbeiter halb verlieren als ganz an die Konkurrenz. Die Rückkehrer kommen schneller wieder rein in den Ablauf als ganz neue Leute.

Alle anderen Kollegen bekommen die Stimmung mit und eine gute und faire Behandlung motiviert auch die anderen. Die Kollegen ohne Kinder helfen mit. Es ist ja klar, dass das jeder später selbst verlangen kann. Dabei hilft eine gute Mischung im Unternehmen, etwa indem man ein paar „junge Heißsporne“ hat, die sich beweisen wollen. Das ist ein typisches Beispiel für eine Solidargemeinschaft – der eine steht für den anderen ein.

Selbst nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb wird Gutes über die Firma erzählt. Und ein guter Ruf kann viel ausmachen.

Richtig ist aus: Die Elternzeit für Väter musste erkämpft werden. Die Väter, die ich erlebt habe, haben sie gerne genommen. Zufriedene Väter schienen auch besser ranzuklotzen, es hatte also seinen Sinn.

Und die Vorstellung von „totale Flexibilität“ ist ohnehin eine Illusion. Wer soll so ein Haus bauen?

Interessant finde ich, wie Sexismus an dieser Stelle durch „ökonomische Zwänge“ begründet wird auf der Ebene eines einzelnen Betriebes gerechnet wird. Das hat aber gleich mehrere Macken.

Zum einen gilt auch für ökonomische Modelle: garbage in, garbage out. Man kann aus einem Modell nicht herausholen, was man nicht hineingesteckt hat. Was sich nicht beziffern läßt, läßt sich auch nicht einpreisen. Gut motivierte Mitarbeiter sind unbezahlbar! Auch das Wirtschaftssystem existiert nicht im luftleeren Raum, sondern basiert auf der Gesellschaft, die dazugehört. Es gibt also viele Einflussfaktoren, die man aber schwer einpreisen und damit in das Modell packen kann.

Außerdem wird der alte Fehler gemacht, für eine volkswirtschaftliche Beurteilung betriebswirtschaftlich zu denken. Dabei ist klar, dass das nicht funktioniert: Das Gefangenendilemma aus der Spieltheorie ist ein Beispiel, wie man gerade nicht das gesamtgesellschaftliche Optimum bekommt, wenn jeder für sich optimiert. Wenn jemand das „Risiko“ schwangere Frau ausschließen will, will er sich möglichen Kosten entziehen, die gesamtgesellschaftlich anfallen müssen (sonst stirbt die Gesellschaft langsam aus – wir sind übrigens auf gutem Wege dabei).

Schließlich stellt sich noch die Frage, warum denn „das Primat der Wirtschaft“ gelten soll. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, auch wenn das meistens nicht sinnvoll oder möglich ist, sowie ein ins Private überbordendes Wirtschaftssystem, das uns nebenbei eine „marktkonforme Demokratie“ beschert und eine Lebensplanung, bei der die Menschen der Wirtschaft dienen und nicht umgekehrt – es scheint ein weiteres Mal, als sei der wahre Feind einer modernen Gesellschaft nicht „das Patriarchat“, sondern der Neoliberalismus. Es ist zum links werden!

Was tun? Denn die Firma (oder Autorin) hat einfach keinen Bock auf „keine Diskriminierung“. Dazu kann man sie (ohne Beweise) nicht zwingen und selbst mit Beweisen hat es wenig Sinn, jemanden reinzupuschen, der da nicht willkommen ist.

In einer überraschenden Wende bringe ich jetzt (scheinbar) neoliberales Gewäsch: Der Markt funktioniert an dieser Stelle! So eine Einstellungspolitik läßt sich auf Dauer schwer kaschieren, selbst wenn sie nirgendswo aufgeschrieben oder verkündet wird. Die beste Konsequenz für jeden einzelnen besteht darin, einen weiten Bogen um diese Firma zu machen! Die wollen Frauen nicht und laugen Männer gerne etwas mehr aus. Das regelt sich mit der Zeit von selbst, denn die Leute erzählen das ja.

Die beste Strategie für jeden einzelnen besteht also darin, die Augen und Ohren aufzuhalten und solche Sachverhalte weiterzugeben. Wenn ein Unternehmen weniger verkauft oder Probleme hat, neue Mitarbeiter zu finden, weil die Einstellung von hinreichend vielen Leuten einfach nicht hingenommen wird, dann gibt es irgendwann genügend Leidensdruck, um sich zu ändern. Das mag langsamer wirken und weniger plakativ sein als ein Gesetz. Aber ich glaube, dass das am Ende besser funktioniert.

P.S.: Was mich nicht überzeugt: Frauen als „halsstarrig“ darstellen, wenn sie auf etwas beharren. Das nennt man auch Durchhaltevermögen. Zum Vergleich: Ansonsten werden Frauen (zumindest in dieser Blogblase) umgekehrt gerne als „wenig hartnäckig“ abgewertet oder bekommen zu hören „die halten keinen Widerspruch / keine harten Worte aus“ oder „regen sich über ein paar wenig nette Bezeichnungen zu sehr auf, lassen sich davon ins Bockshorn jagen“. In meinem Berufsleben sind Kolleginnen übrigens sehr erfolgreich gewesen mit dieser Methode und auch sehr beliebt bei Kunden und anderen Kollegen!

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