Natur, Kultur und Geschlecht. Eine anthropologische Skizze.

Vorbemerkungen: Dieser Blogpost hat den Charakter eines Fachartikels oder »technical papers« und ist daher möglicherweise nicht immer leicht zu lesen. Auch wenn ich mich bemüht habe, Fachjargon zu vermeiden, habe ich im Zweifelsfall der Ausdrucksabsicht Vorrang vor der Einfachheit gegeben.

Einzelne, ggf.längere Zitate haben nicht die Funktion, eine Beleglast zu tragen (das kann nur in Auseinandersetzung mit der referenzierten Literatur geschehen), sondern sollen die Pointe bestimmter Gedankengänge illustrieren – insbesondere dann, wenn ihre Paraphrase auf ein wörtliches Zitat hinausliefe.

Ein erheblicher Anteil des hier betriebenen Begründungsaufwands entfällt auf die Positionierung zur Soziobiologie, wobei ich grundsätzlich der Absicht folge, deren Positionen, soweit sinnvoll, in eine »integrative« Perspektive einzubeziehen.

(1) Wenn wir daran gehen, aus der wissenschaftlichen Literatur eine naturalistische Grundlegung der menschlichen Kultur zu kompilieren, bietet es sich an, bei der neuronalen Plastizität des menschlichen Gehirns zu beginnen. Die Frage nach Freiheit und Determinismus des menschlichen Verhaltens findet hier das Kernstück ihrer Beantwortung. Das menschliche Gehirn und sein funktioneller Aufbau ist das entscheidende Resultat der Hominisierung, der zum anatomisch modernen Menschen führenden Evolution. Gehirnforscher wie Singer (Singer 2002: 44, 2003: 97 f.) und Roth (Roth 2003: 81) und Soziobiologen wie Wuketits (Wuketits 1997: 166) und wohl auch Wilson (Wilson 2014: 291) sowie Paläoanthropologen wie Mithen (Mithen 1998: 171 ff.) sind sich darin einig, dass sich unabhängig von fortlaufenden genetischen Anpassungen des Homo Sapiens der strukturelle Aufbau und die funktionelle Ausstattung des menschlichen Gehirns seit dem Zeitraum von 80.000 bis spätestens 30.000 Jahren vuZ nicht mehr verändert hat, einem biologischen Lehrbuch zufolge sogar seit »weit über 100.000 Jahren« nicht mehr (Thompson 2001: 444). Laut Hermann Parzinger »besteht inzwischen in der Forschung weitgehende Einigkeit, dass sich der Homo sapiens des Jungpaläolithikums ab 40.000 vor heute in seinen kulturellen Fähigkeiten nicht mehr grundlegend vom heutigen Menschen unterschied.« (Parzinger 2014: 62) Höhlenmenschen und Justizbeamte haben die gleiche Kapazität für Kultur (Wuketits), Kinder der jüngeren Altsteinzeit könnten in modernen Kulturen zu Wissenschaftlern oder Geigenvirtuosen heranwachsen (Singer) und »Einstein hat die Relativitätstheorie mit einem Steinzeit-Hirn ersonnen.« (Welsch 2012: 729) Weiterlesen „Natur, Kultur und Geschlecht. Eine anthropologische Skizze.“