Gastartikel: Nutzt die postmoderne Political Correctness den neoliberalen ökonomischen Herrschaftseliten?

Nachdem sich Leszek schon zu Political Correctness geäußert hatte, erläuterte er in einem weitereren Kommentar genauer, warum aus seiner Sicht die postmoderne Political Correctness den „Interessen der ökonomischen und politischen Herrschaftseliten“ nütze. Erneut hat das einen eigenen Artikel verdient, denn unabhängig davon, ob man seine politische Einstellung oder Sicht auf die Welt teilt, sind seine Ausführungen sehr lesenswert geschrieben.

Die postmoderne Political Correctness nutzt Großkapitalisten und Superreichen m.E. in vielerlei Hinsicht und dies wurde von anderen Kommentatoren und mir ja auch bereits an anderer Stelle mehrfach dargestellt und begründet.

Im Folgenden seien ein paar Aspekte hierzu kurz wiederholt:

– Die politisch korrekte postmoderne linke Strömung hat für die ökonomischen Herrschaftseliten den gewaltigen Vorteil, dass sie sich für Kritik der politischen Ökonomie, Kapitalismuskritik/Antikapitalismus und Klassenkampf in der Regel wenig interessiert. Solche für klassisch linke Strömungen zentrale Themen spielen für politisch korrekte postmoderne Linke in der Regel entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Die politisch korrekte postmoderne Linke befasst sich stattdessen mit spezifischen (Anti-)Diskriminierungsthemen auf Grundlage einer m.E. einseitigen und falsch angelegten (Anti-) Diskriminierungstheorie.
Je einflussreicher die politisch korrekte postmoderne linke Strömung innerhalb der gesamten Linken wird, desto mehr verlagert sich der Schwerpunkt der gesamten Linken weg von ökonomischen, kapitalismuskritischen, klassenkämpferischen Themen, hin zu spezifischen (Anti-)Diskriminierungsthemen, die gemäß einer einseitigen und beschränkten Perspektive angegangen werden.
Auf diese Weise wird eine Linke produziert, die für ökonomische Probleme und Entwicklungen, Strukturen und Auswirkungen des kapitalistischen Systems und die Ziele und das Wirken ökonomischer Herrschaftseliten weitgehend blind sind. Der Vorteil für die ökonomischen Eliten liegt auf der Hand: Durch die Transformation der klassischen Linken zu einer politisch korrekten Linken fällt die Linke als ursprünglich größter Gegner der ökonomischen Herrschaftseliten zunehmend aus.

– Nicht nur stellt die politisch korrekte postmoderne Linke aufgrund ihres weitgehenden Desinteresses an ökonomischen, kapitalismuskritischen und klassenkämpferischen Themen keinen ernsthaften Gegner für die ökonomischen Herrschaftseliten mehr dar, sie agiert außerdem im Gegensatz zu klassischen Strömungen der radikalen Linken, die neben konkreten sozialen und ökonomischen Verbesserungen im Hier und Jetzt in letzter Instanz auch eine grundlegende Gesellschaftsveränderung anstrebten, hinsichtlich der von ihr angestrebten Ziele systemkonform. Die von der politisch korrekten postmodernen Linken angestrebte Beseitigung vermeintlicher oder tatsächlicher Diskriminierungen als wesentliches Ziel ist potentiell innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems möglich und setzt keine grundlegende gesellschaftliche Transformation von gesellschaftlichen Strukturen voraus. Die politisch korrekte postmoderne Linke benötigt für die Erreichung ihrer wesentlichen Ziele keine grundlegende gesellschaftliche Veränderung oder gar soziale Revolution, die von ihr geförderten Gruppen sind keine revolutionären Subjekte.
Je mehr Einfluss die politisch korrekte postmoderne Linke innerhalb der gesamten Linken gewinnt, desto mehr verlagert sich die Perspektive der gesamten Linken weg von grundlegenden Alternativen zur bestehenden staatlich-kapitalistischen Herrschaftsordnung oder gar sozial-revolutionären Perspektiven hin zum Anstreben einer – aus postmodern-linker Sicht – besseren Integration bestimmter vermeintlich oder tatsächlich diskriminierter Gruppen innnerhalb der bestehenden Ordnung.
Auch hier liegt der Vorteil für die ökonomischen Herrschaftseliten auf der Hand: Das bestehende staatlich-kapitalistische System selbst wird weniger kritisch analysiert und in Frage gestellt, der zunehmende Einfluss der politisch korrekten postmodernen Linken innerhalb der gesamten Linken impliziert den Abschied der Linken von grundlegender Gesellschaftskritik, Alternativen zum Bestehenden und sozialer Revolution.

– Je mehr Personen mit politisch korrekt-postmodernen Einstellungen, Werten und Normen in andere linke Strömungen und deren Arbeitsschwerpunkte eindringen, desto mehr entfremden sich diese klassisch-linken Strömungen und Gruppen der Mehrheitsbevölkerung. Nehmen wir mal folgendes Beispiel: Ein paar Leute mit postmodern-politisch-korrekten Einstellungen werden Mitglieder innerhalb einer gewerkschaftlichen Gruppierung oder innerhalb einer linken Gruppierung im Spektrum der Neuen Sozialen Bewegungen. Ab diesem Zeitpunkt werden nun alle alten und neuhinzustoßenden Personen im Kontext dieser Gruppierung mit den „Segnungen“ des politisch korrekten postmodernen Denkens vertraut gemacht und ihnen wird klar gemacht, was sie nun zu erwarten haben: „Geschlechtssensible Sprache“ und andere Sprachumerziehungsmaßnahmen, Privilegienreflektionen, Definitionsmacht, Mikro-Aggressionen, politisch korrektes Sexualverhalten, d.h. Sex nach dem Konsensprinzip usw.
Der Effekt dürfte klar sein: Die Mehrheitsbevölkerung wird massiv abgestoßen, kein Arbeiter bzw. Bürger (Bürger hier gemeint im Sinne von Citoyen, nicht von Bourgeois), der halbwegs alle Tassen im Schrank hat, wird ein Interesse daran haben, längerfristig in einer solchen Gruppe mitzuarbeiten.
Auch hier liegt der Vorteil für die ökonomischen Herrschaftseliten auf der Hand: Je größer der Einfluss der politisch korrekten postmodernen Linken innerhalb der gesamten Linken wird, desto mehr entfremdet sich die Linke der Mehrheitsbevölkerung, wird die Linke zu einer für den „Normalbürger“ und Arbeiter unnachvollziehbaren und abstoßenden Psycho- und Politsekte, die mit den realen sozialen Problemlagen, Ängsten und Interessen der Menschen nichts mehr zu tun hat und als Vertretung für sie nicht mehr in Frage kommt.

– Die theoretische Grundlage der einseitigen und falsch angelegten (Anti-)Diskriminierungstheorie der politisch korrekten postmodernen Linken beruht darauf, stets einer Gruppe den Status der Norm zuzuweisen und einer anderen Gruppe den Status der Abweichung oder Ableitung von dieser Norm, so dass die erste Gruppe dann als privilegiert und die zweite als diskriminiert konstruiert wird. Dabei wird kein Wert darauf gelegt gründlich zu prüfen, ob diese einseitigen Zuweisungen eines entweder privilegierten oder diskriminierten Status überhaupt zutreffend sind – in mehreren Fällen erweisen sich diese Zuweisungen bei genauerer Prüfung als falsch – es geht in keiner Weise darum objektiv festzustellen, inwieweit auf jeder der beiden Seiten Diskriminierungen und Privilegierungen bestehen und dann alle vorhandenen Diskriminierungen auf allen Seiten zu beseitigen.
Aus dieser einseitigen Perspektive haben sich nun bestimmte politisch korrekte Norm-Feindbilder herausgebildet, z.B.: männlich, weiß, heterosexuell, cissexuell, westlich. Das politisch korrekte Feindbild des weißen, heterosexuellen Mannes, in dem verschiedene dieser Norm-Feindbilder zusammenfallen, ist ein direktes Resultat dieser falsch angelegten Form von Analyse.
Dieser fehlkonzipierte (Anti-)Diskriminierungsansatz trägt z.B. dazu bei, dass Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen von denen Jungen und Männer betroffen sind, obwohl vielfach vorhanden, nicht wahrgenommen, sondern ignoriert werden

http://www.vaetersorgen.de/Maennerbewegung.html

http://manndat.de/ueber-manndat/was-wir-wollen

oder, dass – wie der US-amerikanische linke Kritiker der postmodernen Political Correctness Walter Benn Micheals erwähnt – ein großer Teil der zeitgenössischen US-amerikanischen Linken die Armut und die sozialen Problemlagen der weißen Unterschicht ignorieren:

https://www.jacobinmag.com/2011/01/let-them-eat-diversity/

Des Weiteren begünstigt der falsch angelegte (Anti)Diskriminierungsansatz der politisch korrekten postmodernen Linken mit seiner Identitätspolitik und seinen albernen Norm-Feindbildern gesellschaftliche Spaltungen. Anstatt zu versuchen die Menschen im gemeinsamen Widerstand gegen die gesellschaftlichen Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen und gegen die Herrschaftsinteressen der ökonomischen und politischen Eliten zu vereinen, wie es die klassische Linke versuchte, werden verschiedene Teile der Bevölkerung gegeneinander ausgespielt: Frauen gegen Männer, Homosexuelle gegen Heterosexuelle, Nicht-Weiße gegen Weiße usw.
Auch hier liegt der Vorteil für die ökonomischen Herrschaftseliten auf der Hand: Die postmoderne Political Correctness führt mit ihren Norm-Feindbildern und ihrer Identitätspolitik, die dann wiederum Gegenreaktionen hervorrufen, zu Konflikten und Spaltungen innerhalb der Bevölkerung, fungiert also als eine Teile-und Herrsche-Strategie für die ökonomischen Herrschaftseliten und sichert deren Herrschaft und die Verfolgung ihrer Macht- und Profitinteressen, da die neoliberalen ökonomischen Eliten von einer gespaltenen Bevölkerung keinen großen Widerstand zu erwarten haben.

Dabei geht es mir persönlich nun nicht darum, dass die Linke sich ausschließlich auf Kapitalismuskritik, Ökonomie und Klassenkampf konzentrieren sollte und das Thema (Anti-)Diskriminierung keine Rolle innerhalb der Linken spielen sollte. Beides – Kritik der politischen Ökonomie und Anti-Diskriminierung – sind an sich legitime Themen der Linken, es geht mir darum, dass der politisch korrekte postmoderne (Anti-)Diskriminierungsansatz unwissenschaftlich, ungerecht und schädlich ist und deshalb verworfen werden sollte.

Stattdessen braucht es einen neuen, aktualisierten, tatsächlich wissenschaftlichen und um Objektivität bemühten (Anti-)Diskriminierungs-Ansatz, der das postmoderne Paradigma von Norm und Abweichung/Ableitung völlig hinter sich lässt und stattdessen ausgehend von einer humanistisch-universalistischen und integral-antisexistischen Perspektive, die nicht mit zweierlei Maß misst, stets auf allen Seiten sorgfältig prüft, ob und inwieweit Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen jeweils vorhanden sind und was getan werden kann, um diese zu beseitigen ohne dabei in Diskriminierungen einer anderen Gruppe zu verfallen und frei von den Einseitigkeiten, Übertreibungen und Verrücktheiten der postmodernen Political Correctness wie irrationale Sprachumerziehungsmaßnahmen, Privilegienreflektionen, Definitionsmacht, Mikro-Aggressionen, politisch korrektes Sexualverhalten, Kulturrelativismus, Norm-Feindbilder, Identitätspolitik usw.
Es sollte stets Wert darauf gelegt werden, dass mit (Anti-)Diskriminierungsthemen auf eine Weise umgegangen wird, die weder zu einer Entfremdung der Linken von der Mehrheitsbevölkerung führt, noch die Klassensolidarität spaltet. Dann wäre linke Anti-Diskriminierung kein neoliberales Spaltungsinstrument mehr, würde den Klassenkampf nicht mehr behindern und die Linke könnte wieder zu einer konstruktiven politischen Kraft werden.

Die zeitgenössische politisch korrekte postmoderne Linke steht mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen im Einklang mit wesentlichen Interessen der neoliberalen ökonomischen Eliten und wird daher von diesen gehätschelt und großgezogen.
Wenn es die postmoderne Political Correctness nicht gäbe, müssten Großkapitalisten und Superreiche sie erfinden! Vielleicht haben sie das ja auch – falls nicht, so sind sie jedenfalls an der Förderung dieser linken Strömung in ihrem eigenen Interesse stark interessiert.

Eigene Anmerkungen

Soweit Leszek. Dass mit pseudorelevantem Radau à la Identitätspolitik die wirklich wichtigen Themen wie gerechte Verteilung des Wohlstands verdeckt werden, halte ich für eine der wichtigsten Thesen überhaupt („Junge Linke haben Bezug zur Unterschicht verloren“). Dabei ist die Verteilungsfrage keineswegs genuin links; sie gehört vielmehr grundsätzlich zu einer Demokratie mit Marktwirtschaft. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen ist das ganz nüchterne volkswirtschaftliche Ziel der Wirtschaftspolitik.

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