Warum ich die „Fake News“-Hysterie selbst für „Fake News“ halte

Also gut, „Fake News“ sollen es dann sein. Die Massenmedien haben sich auf ein neues Narrativ einigen können, mit dem der Widerspruch zwischen prognostiziertem und tatsächlichem Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen erklärt werden kann:

Die richtige Sache war „auf offenem Felde ungeschlagen“, aber ausländische Mächte haben durch das massenhafte Verbreiten von Falschmeldungen (Fake News) im Internet die Wähler so beeinflusst, dass diese am Ende dem falschen Kandidaten ihre Stimme gegeben haben.

Das ist ein tatsächlich recht rundgeschliffener Mainstreammythos. Die Erklärungen vorher waren letzten Endes schwer zu verteidigende Positionen. Deutungen aus einem geschlossenen Weltbild heraus wie etwa die im Sinne der Identitätspolitik waren nicht massenkompatibel genug. Ich hatte ja bereits der Dolchstoßlegende von den bösen weißen Frauen, die Donald Trump gewählt haben, keine Chance eingeräumt, weil sie als Erweiterung des Feindbildes weißer Mann nicht taugt.

Die jetzt getroffene Lösung hat viele Vorteile: Mit „russischen Hackern“ kann man irgendwelchen anonymen Kräften die Schuld in die Schuhe schieben, aber nebenbei noch andeuten, als gäbe es eine Verbindung zur russischen Regierung / Wladimir Putin. Und das ohne irgendwelche ordentlichen Quellen (wodurch sich das Narrativ natürlich selbst als Fake News entlarvt). Fake News sind noch besser als der Vorwurf der Wahlfälschung, welcher sowieso routinemäßig alle vier Jahre in den USA erhoben wird, zumal man diesen ja irgendwie beweisen müsste. Ferner läßt sich behaupten, Wahlbeeinflussung durch Fake News könne sich jederzeit wiederholen, „auch bei uns“, womit man die Brisanz für Europa hat und das Thema schön warmgehalten wird. Dass die Massenmedien mit diesem Narrativ subtile Fremdenfeindlichkeit schüren („die wollen uns was!“) und Angst verbreiten, während sie sonst Angst bei der Bevölkerung kritisiert – wen kümmert das schon?

Denn die Alternative wäre ja eine echte Wahlanalyse, wie sie etwa die Nachdenkseiten oder Cicero veröffentlicht haben und bei der dann unangenehme Wahrheiten ans Tageslicht kommen: „Junge Linke haben Bezug zur Unterschicht verloren“ – für sie sind soziale Klassen kein Thema mehr.

Dieses Erkenntnis käme aber für weite Teile der Medien einem Schuldeingeständnis gleich, denn sie sind längst Teil der Elite, die eine funktionierende vierte Macht im Staate kritisieren und gegen die diese eine Gegenöffentlichtkeit aufbauen würde. Um sich nicht selbst in schlechtes Licht zu rücken, soll daher vermieden werden, die Bevölkerung ernst zu nehmen.

Der Vorstoß einiger Politiker, „Fake News“ zu einem neuen Straftatbestand zu machen, wurde entsprechend medial flankiert: Journalisten treten allen Ernstes für Zensur ein, nachdem ihnen die Deutungshoheit entglitten ist. Man beachte: Das war nicht irgendein Schreiberling für ein Käseblatt, sondern die WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich in den Tagesthemen!

Wie bei den Nachdenkseiten treffend kommentiert wurde:

Auf dem direkten Weg in die Postdemokratie. Was sind bitte „Gezielte Desinformation zur Destabilisierung eines Staates“? Das liegt immer auch im Auge des Betrachters. Aus Sicht der Eliten kann das jede Kritik an den herrschenden Verhältnissen sein.

Der ansonsten überstrapazierte Vergleich mit den Nazis trifft diesmal: Schon die Nazis gaben vor, „Fake News“ zu bekämpfen. Die Nachdenkseiten haben hierzu eine studentische Hausarbeit von Tobias Jaecker gefunden:

Um die Presse in den Griff zu bekommen, bedienten sich die Nationalsozialisten zunächst des Instruments der Notverordnungen, die der Reichspräsident erlassen konnte. Mit der „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933 wurden Beschlagnahmung und Verbot von Druckschriften geregelt. Unter der Verantwortung von Reichsinnenminister Frick wurde ein umfangreicher Katalog von Verbotsgründen erarbeitet. Darunter fielen etwa die Verbreitung „unrichtiger Nachrichten“ und der Aufruf zum Streik.

Die Nazis im O-Ton (Quelle: Dokumentarchiv.de):

„Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933
„Periodische Druckschriften können verboten werden (…) wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden. (…) Zuständig für das Verbot einer periodischen Druckschrift sind die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen.“

Es ist alles nicht neu: In den letzten Jahren haben wir eine ganze Reihe von Initiativen erlebt, um unter dem Deckmantel einer guten Sache Zensurinstrumente einzuführen. Zunächst waren es die Netzsperren gegen Kinderpornographie. Dann wollte die EU Antifeminismus verbieten. Vor den Vereinten Nationen durften sich Anita Sarkeesian und Zoë Quinn darüber ausheulen, was für schreckliche Sachen ihnen im Internet passieren würden: Es gäbe tatsächlich Leute, von denen sie kritisiert würden! Sie forderten Schutz – wobei der Vorwurf der „Nachstellung“ sich für sie nicht nur auf illegale Aktivitäten erstrecke, sondern auch so fürchterliche Beschimpfungen wie „Du bist eine Lügnerin“ oder „Du bist doof“. Das Wehklagen hatte woanders durchaus Erfolg: Google machte machte den Bock zum Gärtner.

Wie schnell solche Mechanismen, um Leute mit abweichender Meinung zum Schweigen zu bringen, entgleiten können, hätte man eigentlich aus der Geschichte lernen können. Nun hat Donald Trump noch einmal exemplarisch vorgeführt, was „die Geister, die sie riefen“ bedeutet.

Welch Ironie, dass ausgerechnet „Der Postillon“ besonders vielseitig über Fake News berichtet:

  1. Ratgeber: Alles, was Sie jetzt über Fake-News wissen müssen
  2. Bundeskanzler Hubert Dreher will Fake-News unter Strafe stellen
  3. Hat Fake-News verbreitet: Türkischer Journalist zu 5 Jahren Haft verurteilt
  4. Teenager (15) endlich fertig damit, unter jedes einzelne YouTube-Video „Fake!“ zu schreiben – der vielfach vergessene Ursprung der Fake-News-Vorwürfe

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Um „News“ wieder in einen positiven Zusammenhang zu bringen:

Huey Lewis & The News – Perfect World

Fundstück: Toilettenpapier ist sexistisch

Wir wissen ja längst: Alles ist sexistisch. Zuletzt wurde das traditionelle Schneeräumen als sexistisch erkannt (Erfolg der gendergerechten Lösung hingegen: Schneechaos in Stockholm).

Schon vor einiger Zeit bin ich via Genderama auf eine Anita-Sarkeesian-Parodie aufmerksam geworden, die ich bei der Gelegenheit hervorkramen möchte. Dabei kommen dieselben hohlen Argumente, derselbe nörgelnde Ton, dieselbe Hexenprozessbeweislogik wie im Orignal zur Anwendung. Damit bleibt nichts dem Zufall überlassen, damit das Ergebnis denn auch nicht überraschend lautet: Hygieneprodukte wie Toilettenpapier, Wattestäbchen und Seife sind sexistisch.

Toilet Paper Is Sexist!

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Die Autorin des Videos ist inzwischen auf einem anderen Kanal namens „Dead on Wednesdays“ aktiv. Zu diesem Wochentag fällt mir folgendes Lied ein:

Simon & Garfunkel: Wednesday Morning, 3 A.M.

Fundstücke: Gad Saad über Anita Sarkeesians Methode sowie neue Tiefststände dafür, was als rassistisch bzw. Vergewaltigung gilt

Ich bin immer noch fleißig dabei, einige Monate Abwesenheit von den einschlägigen Blogs und Youtube-Kanälen aufzuholen. Dabei fällt mir natürlich so manches Fundstück in die Hände. Der bereits erwähnte Professor Gad Saad etwa kritisiert in seinem Videoblog „The Saad Truth“ die bereits mehrfach behandelte Anita Sarkeesian. Sie habe keine Methologie und interpretiere die Beispiele so, dass diese für sie passen würden:

Anita Sarkeesian vs. The Scientific Method

In Computerspielen etwa:
Mann schießt auf Frau? Böse!
Mann rettet Frau? Böse!
Der dritte Fall, der hier nicht behandelt wird – Frau kommt gar nicht vor – wäre natürlich auch böse, denn dann gäbe es nicht genügend weibliche Charaktere. Wie schon die drei Phasen der Endlosschleife bei der Popkultur zeigen, gibt es keinen „guten“ Ausgang.

Einen ähnlich überzeugenden Ansatz wählte die Dame, die zu dem Ergebnis kam, dass auch ein respektvoller, freundlicher Umgang rassistisch ist:

Please Don’t Be Kind, Nice, and Respectful…That’s Racist!

Aber als ob das Bizarrometer hier noch nicht kräftig genug ausschlagen würde, kam noch eine absurdere Meldung hinzu: Nicht vergewaltigen ist entmenschlichend und rassistisch!

To NOT Rape is Racist & Dehumanizing?

Es ist wie bei einem Hexenprozess… alles und das Gegenteil davon kann als Beweis dienen.

Aber auch der alte Dreikampf „Belästigungslimbo – wer bietet weniger?“ (derzeitiger Titelinhaber), „sexistische“ Werbung und „Was alles bereits Vergewaltigung ist“ hat einen würdigen Kandidaten in letzterer Disziplin bekommen:

„Zustimmung“ zum Sex, die dadurch erlangt wird, dass man über seinen Familienstand, Anzahl der Kinder o.ä. schwindelt, zählt nicht. Lügen ist Vergewaltigung!

Lying to a Woman is „Rape by Fraud“!

Als Lüge zählen allerdings nicht: optische Verbesserungen (sich aufhübschen bei Frauen). Interessant jedoch: Was, wenn die Frau über die Anzahl ihrer Partner lügt?

Und zuletzt erwähnt Saad die Unsitte, in einer Auseinandersetzung anstatt auf auf Argumente einzugehen, zu versuchen, den anderen durch Zuschreibungen indiskutabel zu (damit andere erst gar nicht die Quelle ansehen).

The Regressive Left and the Ostrich Effect

Das halte ich für gute Regel für einen selbst: Wenn jemand dagegen argumentiert, nicht die Person / Quelle schlechtmachen! Ein guter Hinweis für eine gesittete Auseinandersetzung, in der man auch seine Gegner in der Debatte anständig behandelt.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Auf der Suche nach einem Lied, das an prominenter Stelle „sad“ enthält, fiel mir „Mad World“ ein. Das passt auch ganz gut, denn es ist bei den obigen Beispielen schon eine verrückte Welt, in der wir leben.

Tears for Fears: Mad World

Fundstück: Sargon of Akkad über Bell Hooks

Der von mir bereits einige Male erwähnte Sargon of Akkad hat ein neues Video veröffentlicht, in dem er argumentiert, Anita Sarkeesian sei wesentlich von Bell Hooks beeinflusst worden. Auch wenn er einige gute Punkte zu Bell Hooks nennt, die für gewöhnlich bei Radikalfeministinnen fehlen, so führt er insbesondere die seltsame Weltsicht Anita Sarkeesians auf sie zurück.

Sargon of Akkad hat viele interessante Videos gemacht, insbesondere liefert er regelmäßig eine Zusammenfassung der dümmsten Meldungen der Woche („This Week In Stupid“). Dieses Video halte ich deswegen für besonders erwähnenswert, weil es relativ zeitlos ist und nicht irgendwelche Aufreger behandelt, sondern sich stattdessen mit theoretischen Grundlagen des (Radikal-)Feminismus befasst.

Gerade das Lesen und Beurteilen der Quellen, das sich Befassen mit Argumentationsmustern und dem Weltbild von Gegnern in der Debatte halte ich für eine wichtige Sache. Es kam zuletzt mal wieder bei Alles Evolution auf.

Außerdem (eine persönliche Vorliebe von mir) wird Sargon of Akkad hier nicht laut und flucht herum. Aus irgendeinem Grund scheint das ansonsten im angelsächsischen Raum als Indikator für Meinungsfreiheit zu dienen…

Bell Hooks: Anita Sarkeesian’s Influence

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Es gäbe viele Möglichkeiten für Titel mit Glocke („Bell“) oder Haken („Hook“) im Titel. „Hooked On A Feeling“ kennt man vor allem in der „Ooga chaka“-Version von Blue Swede – das hier ist das Original.

B. J. James: Hooked On A Feeling

Fundstück: Evan Delshaw und das Universitäts-Orientierungs-Video für Männer

Ein Video nennt alarmierende Zahlen: 160% aller weiblichen Schüler und Studenten werden vergewaltigt! (*) Da Männer von Natur aus zu Vergewaltigungen neigen, muss man sie darüber aufklären, dass das nicht gut ist. Endlich gibt es ein Video, das männlichen Schülern und Studenten zeigt, wie sie sich zu benehmen haben!

University Orientation Video

Evan Delshaw war mir zuerst durch seine gut gemachte Anita-Sarkeesian-Parodie aufgefallen. Der junge Mann hat aber mehr in petto, so etwa eine Krisensitzung des Patriarchats (ähnlich wie seinerzeit bei Christian Schmidt). Er nimmt auch ein feministisches Podiumsgespräch auseinander oder präsentiert seine feministische Marketingagentur und ihre tollen Erfolge.

Schön finde ich, wie er die verquere Logik von Anita Sarkeesian auf die Schippe nimmt. Dabei ist er gut angezogen und gepflegt und hat offensichtlich technischen Aufwand getrieben, anstatt das Video einfach vor seinem Computer zu drehen:

Feminist Fails with Frequency – Delshaw Daily

Ab 1:22 zitiert er ihren astreinen Catch-22 aus einem ihrer frühen Videos: Sie behauptet sinngemäß, je mehr man glaube, von etwas nicht betroffen zu sein, desto mehr sei man betroffen. (Es ging um Einfluss von Medien auf das eigene Weltbild, also etwa Darstellung von Frauen als hilflos.) Mit der Logik lassen sich auch Hexenprozesse führen: Entweder man gibt es zu und die Schuld ist erwiesen, oder die Tatsache, dass man es nicht zugibt, zeigt, wie sehr man schuldig ist. „Je mehr man abstreitet, ein gefährlicher Massenmörder zu sein, desto wahrscheinlicher ist man einer.“

Gegen 3:59 weist er auf ein interessantes Dilemma hin: Würde man aus Anita Sarkeesians Leben ein Spiel machen – würde sich das nicht erst recht der Kritik aussetzen müssen, eine Frau einseitig und unnötig als hilfslos darzustellen?

Es erinnert an eine Frage, die ich über Dr. Matt Taylor gelesen habe: Hätte er sich ein Hemd machen lassen mit halbnackten Femen-Mitgliedern, wäre das dann sexistisch oder befreiend gewesen?

(*) Es hat ja niemand gesagt, dass die Zahlen stimmen müssen.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein Stück von der Band Feuerschwanz, deren Name bereits andeutet, dass sie unanständige Lieder machen. Ich habe sie Ende 2005 gesehen: Eine lebenslustige Truppe, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt, bei der Frauen mitmachen und den Zuschauern auch einfach mal Met in den Mund gegossen wird. Leider versteht nicht jeder soviel Spaß. Das hat zuletzt anscheinend dafür gesorgt, dass ein Auftritt abgesagt werden musste. Na, dann erwähnen wir das umstrittene Stück doch am besten!

Feuerschwanz: Wunsch ist Wunsch

Warum ich diese drei Skandale bemerkenswert finde, Teil 2

Teil 1

(Die Einleitung zum ersten Teil lohnt es sich auf jeden Fall zu lesen. Hier soll es aber direkt weitergehen, es wird ja noch lang genug.)

Gamergate – und die Computerspieler

Dieses Thema hätte ich gerne schon früher angesprochen, aber es ist leider sehr verwoben mit anderen. Entweder man muss bewusst etwas auslassen (so dass man sich bewusst dem Vorwurf aussetzt, nicht das ganze Bild präsentiert zu haben) oder man kommt überhaupt nicht auf den Punkt. Es gibt beim Gamergate mindestens drei weitere Fässer, die man ebenfalls aufmachen muss:

Fass 1: Anita Sarkeesian
Fass 2: Quinnspiracy
Fass 3: Notyourshield
sowie diverse Nebenkriegsschauplätze (Comicgate, Metalgate usw.)

Anita Sarkeesian

Die Dame ist entweder die Heilsbringerin der neuen, modernen Weltordnung oder ihr Untergang – dazwischen gibt es eigentlich kaum eine Einschätzung. Gut, das war jetzt übertrieben.

Dirk M. Jürgens hat sich etwa bei Buddelfisch etwas nüchterner mit ihren Videos beschäftigt:

Ansonsten ist Anita Sarkeesian schon polarisierend: Für bestimmte feministische Kreise ist sie die Heldin, für manche andere Leute nur noch nervig. Ich erinnere mich an ihr erstes Video, bei dem sie kritisch über Computerspiele berichtete. Einige interessante Ideen, über die es sich zu diskutieren lohnen würde, aber mir war das alles zu schwarzweiß dargestellt.

Sarkeesians Ziel war es, Geld für eine Videoserie einzusammeln, was ihr mehr als gelungen ist, da ein Vielfaches der angezielten Summe zustandekam. Sie hat es geschafft, durch geschicktes Selbstmarketing inzwischen ihren Lebensunterhalt mit den Themen „Videospiele“ und „Feminismus“ zu bestreiten.

Das ruft natürlich Neider ebenso wie Kritiker auf den Plan. Erstere sind eine nervige Plage; letztere ein notwendiges Korrektiv, denn jeder, der Macht und Einfluss gewinnt (und das kann man Sarkeesian zumindest in den Medien nicht absprechen), muss sich auch kritisch beleuchten lassen. Da kam eine ganze Palette zusammen: Ihre Darstellung sei zu einseitig und wissenschaftlich unredlich, denn sie blende Beispiele aus, die ihr widersprechen würden. Sie sage in einem Video, sie habe Computerspiele seit ihrer Kindheit gespielt, in einem anderen, sie habe nie Computerspiele gespielt. Ihre Behauptung, die Darstellung der Welt in Computerspielen sei prägend für Handlungen und Denkweisen in der realen Welt, sei nicht bewiesen. Schließlich wurde ihr noch ein unsouveräner Umgang mit Kritik vorgeworfen: Natürlich gebe es bei einer hinreichend großen Zahl an Reaktionen immer einige, die vollkommen indiskutabel seien, aber so zu tun, als sei damit die gesamte Kritik wiedergegeben, sei verzerrend.

Der Wissenschaftler Thunderf00t (der übrigens – natürlich völlig überraschend! – zu den prominenten Fällen gehörte, die ohne vernünftigen Grund bei Twitter gesperrt wurden) hat in seinem Kanal eine ganze Reihe kritischer Videos zu Anita Sarkeesian gemacht. Erwähnen möchte ich jedoch etwas leichtere Kost, nämlich seine Persiflage auf die benannten Videos über Computerspiele:
Parodie (Teil 1)
Parodie (Teil 2)

Quinnspiracy

Es fing für mich an mit einem Youtube-Video namens „The Quinnspiracy Theory – The Five Guys Saga“ von jemandem namens „Internet Aristocrat“ (das Konto gibt es inzwischen nicht mehr; dasselbe Video an woanders). Ich kannte ihn bereits aus einem anderen Zusammenhang als jemanden, der lieber scharf austeilt, als undeutlich zu sein.

Der Beginn ist äußerst unappetitlich: Der Ex-Freund der Spieleentwicklerin Zoë Quinn hatte in einem Blog schmutzige Wäsche gewaschen und war mit allerlei Vorwürfen angekommen.

Was der Internet Aristocrat zu bieten hat, ist erst einmal nichts Neues: Die Mainstreammedien sind verkommen und einseitig, Blogs im Internet wären eine Hoffnung auf Besserung gewesen, aber sie seien inzwischen ebenfalls verlogen. Das klingt nach enttäuschter Liebe.

Er präsentiert Quinn als eine Person, die sich als Opfer darstellte, um ihre Karriere voranzubringen. (Der Fall „Wizardchan“ wäre noch ein Extrafass. Übrigens bekam sie daraufhin Unterstützung von Anita Sarkeesian.) Hinzu kommt im Video die Verdächtigung, mit fünf konkret benannten Spieleentwicklern / -journalisten ein privates Verhältnis zu haben bzw. gehabt zu haben. Ergänzend wird die Beschuldigung zitiert, ein feministisches Spieleentwicklungsprojekt sabotiert zu haben (Quinn hatte ein eigens Vorhaben in dieselbe Richtung).

Nüchtern betrachtet also erst einmal nichts Spektakuläres. Einige der Vorwürfe könnte man prüfen (Wizardchan, Spieleprojekt). Anderes gehört nicht an die Öffentlichkeit gezerrt (Privatleben).

Zur engen Verbandelung von Machern und Journalisten sei zudem gesagt, dass das ein grundlegendes Problem ist, das in andernsorts ebenso begegnet: Man denke an die Sportberichterstattung, bei der die Reporter natürlich auch Fans sind und zum Teil Ex-Profis, die „die Seiten gewechselt“ haben. In kleineren Popkulturszenen ist es ohnehin schwer, den Fan vom Schreiber zu trennen. Bei den Computerspielen kommt das zum Tragen, wie etwa der in der Branche tätige Tom in Mein Senf aufführt.

Das eigentliche Gamergate

Das alles wäre also keiner Aufregung wert bzw. hätte recht sachlich abgehandelt werden können. Zum Skandal wurde es erst, als verschiedene Internetmagazine anfingen, Computerspieler generell als frauenhassend, sexistisch und was weiß ich noch zu beschimpfen und zu behaupten, die Zeit der Gamer sei vorbei. Ob man dadurch dem Vorwurf entgehen wollte, selbst sexistisch und frauenverachtend zu sein, oder tatsächlich davon überzeugt war, das richtige im Dienst einer edlen Sache zu tun – es war so oder so eine dumme Idee, die umso dümmer erscheint, je mehr man es sich überlegt:

Wer irgendetwas mit Popkultur macht, muss doch wissen: Nichts ist rachsüchtiger als enttäuschte Fans.

Seine eigenen Kunden zu beschimpfen ist ein Geschäftsmodell, das generell nicht mit sehr viel Aussichten auf Erfolg versehen ist. Es dauerte auch nicht lange, und die Leser fragten bei diversen Unternehmen, die für gewöhnlich Anzeigen schalteten, mal ganz unverbindlich an, ob sie denn weiterhin dieses oder jenes Magazin unterstützen wollten. Ergebnis: Einnahmeausfälle im angeblich siebenstelligen Dollarbereich.

„Mit Kanonen nach Spatzen schießen“ geht leicht nach hinten los. Wenn ich berühmt und erfolgreich bin und irgendwelche Leute über mich im Internet sich einen abranten – was soll’s? Lasst sie doch reden. Je mehr ich mich ihnen widme, desto größer mache ich sie dabei und gebe ihren Aussagen mehr Gewicht, als sie ursprünglich hatten. Dementsprechend war es ebenso überzogen, die Kritiker-Videos mit fadenscheinigen Begründungen von angeblichen Urheberrechtsverletzungen aus dem Verkehr zu ziehen.

Man stelle sich vor, in der Kneipe um die Ecke sitzt seit Jahren ein Typ, der herumlästert, was die in der Regierung doch für Verbrecher seien. Eines Tages wird er vor aller Augen von der GSG9 abgeholt.

Die psychologische Wirkung ist doch klar: Plötzlich muss man annehmen, dass an seinen Aussagen etwas drangewesen sein muss.

Dabei beweist das alleine ja nichts. Dass nicht die eigentlichen Vorwürfe zum Skandal werden, sondern der unsouveräne Umgang mit ihnen, ist nicht neu. Das kann gleichermaßen dann eintreten, wenn man unschuldig ist (siehe Christian Wulff).

Plötzlich taten sich Gräben auf, die überhaupt nicht nötig gewesen wären und in denen die Welt zweigeteilt wurde in die guten Entwickler und Journalisten, die Opfer von bösen Trollen und Stalkern würden und die bösen Computerspieler, die alle weiß, männlich, heterosexuell und im richtigen Leben Versager sein müssten. Die Übereinstimmung dieses Feindbildes mit einem Zerrbild, das im Radikalfeminismus gezeichnet wird, war dabei nicht zufällig, schließlich bezeichnen sich mindestens einige der Protagonisten auf Seite der „Guten“ als feministisch.

Es hatte etwas Surreales: Man hatte sich der Mission verschrieben, das Klischee der bedrohten Frau zu überwinden, indem man dramatisierend die Geschichte bedrohter Frauen erzählte. Mit anderen Worten: Alkoholsucht überwinden durch ordentlich Saufen!

Dabei hätten wenige Minuten Lesen im Popkultur-Wiki „TV Tropes“ bereits ein vielfältigeres Bild ergeben, als es Anita Sarkeesian in ihren Videos verbreitet. Man beachte etwa den Artikel Damsel In Distress (etwa „Dame in Not“), ein Begriff, auf den sie oft zurückgreift. Da wird verwiesen auf dieselbe Situation mit vertauschten Geschlechtern oder die Negation dieses Erzählklischees.

Auch über Seximus kann man dort eine Menge lernen. Unter dem Schlagwort Double Standard (Doppelstandard) findet man die Unterkategorien „Sexistisch gegen Männer“, „Sexistisch gegen Frauen“, „Sexistisch gegen beide“, „Oft sexistisch in der Ausführung oder Umsetzung, aber nicht sexistisch in der Natur der Sache“ sowie „Nicht-geschlechtsbezogen / andere“ (jeweils meine Übersetzungen).

Und so ist ein kleines, aber beliebtes Wiki schlauer als so manches Internetmagazin mit seiner einseitigen Darstellung. Ich wage mal die These, dass nicht zuletzt deswegen die Vorwürfe, Computerspieler seien alle sexistisch und würden Frauen als Helden nicht akzeptieren, vielen so sauer aufgestoßen sind. Denn wer anderes als große Fans von Popkultur sammelt mit Feuereifer Beispiele für Erzählklischees und ihre Brechung? Und wer regt sich am meisten darüber auf, wenn die Geschichte zu einem Spiel mal wieder nach Schema F verläuft? Die Hardcore-Popkultur-Fans sind es doch meistens, die überhaupt dafür sorgen, dass ungewöhnliche Ideen (und dazu gehören auch Charaktere, Figurenkonstellationen, Plots) plötzlich unerwartete Erfolge feiern und massenkompatibel werden. Produkten, die von Anfang an für einen großen Markt konzipiert werden, fehlt oft die Innovation – das Ausgefallene, das experimentierfreudige Fans so lieben.

Notyourshield

Die Idee, alle Computerspieler sozial ächten zu können, ist insgesamt gescheitert. Zum einen hat man verkannt, welche demographische Zusammensetzung die Konsumenten inzwischen haben: Das sind nicht mehr irgendwelche Teenager, das ist die Mehrheit der Bevölkerung, und entsprechend bunt. Zum anderen hat man kurioserweise die Bedeutung des eigenen Berichtsgegenstandes unterschätzt.

Für Leute wie Jayd3Fox (deren Youtubekanal es inzwischen nicht mehr gibt), die Außenseiter waren, eventuell introvertiert und gemobbt, waren Computerspiele extrem wichtig. Wer in der Vergangenheit bereits ausgegrenzt wurde, der reagiert natürlich umso sensibler auf jeden Versuch, erneut stigmatisiert zu werden. „Die wollen uns etwas wegnehmen, was früher unser Rückzugsort war!“ – so etwa die Haltung verärgert Computerspieler, die dann wiederum aktiv wurden. So sammelten sich dann unter dem Motto „Notyourshield“ alle möglichen Leute, auf die nicht alle Kennzeichen der „Bösen“ zutrafen, um zu zeigen, dass Computerspieler in der Realität sehr unterschiedlich sind und dass sie, die Angehörigen angeblich bedrohter Minderheiten, sich nicht als Schutzschild für eine Kampagne gegen Computerspieler benutzen lassen würden.

Die stärkere Reichweite von Internetmagazinen und die größere Bekanntheit von Protagonisten wie Anita Sarkeesian war zunächst ein Vorteil für die „Guten“. Auf der anderen Seite hat man sich mit den Computerspielern eine Gruppe ausgesucht, die internetaffin ist, also zumindest teilweise versteht, das Medium für sich zu benutzen. Außerdem sind Gamer es gewohnt, sich gegen haltlose Unterstellungen zu wehren („Ballerspiele führen zu Amokläufen“).

Zwischenfazit

Gamergate ist nicht vorbei, die „Gamer“ haben nicht gewonnen. Man schaue sich etwa an, was derzeit Achdomina auf seinem Twitterkonto alles zitiert. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass man nicht irgendwelche Gruppen kollektiv als böse brandmarken kann und damit durchkommt.

Dass es plötzlich überhaupt so ein Bohei um Computerspiele gibt, nachdem sie jahrelang als Hobby für Außenseiter und unattraktive Männer galten, hat wohl mit ihrem Erfolg zu tun und den Summen, die in der Branche inzwischen kursieren und das Budget so manches Films überschreiten. Überspitzt dargestellt ist dieser Wandel in einem Fundstück bei Meinungen und Deinungen. Arne Hoffmann hatte dasselbe Prinzip in anderem Zusammenhang einmal so zusammengefasst:

Generell beginnen Feministinnen sich dann für ein Projekt zu interessieren, sobald es erfolgreich zu werden scheint (…), um sich dann zu beklagen, dass es ein reines Männerprojekt sei, das Frauen ausgrenze – gefolgt von Forderungen, dass es von jetzt ab gefälligst nach dem Kopf der Feministinnen gehen solle.

Um jetzt nicht grandios dieselben Fehler zu machen, die ich bei anderen anprangere: Ich finde obiges Zitat bezogen auf alle, die oder auch nur die meisten Feministinnen grundfalsch. Ich schreibe dieses Vorgehen einer kleinen Grupppe von Radikalfeministinnen zu, deren Beweggründe nach meiner Wahrnehmung nichts mit Gleichberechtigung oder sich „für Frauen einsetzen“ und viel mit Macht zu tun haben.

Zum Vergleich: Dirk M. Jürgens über die ganze Angelegenheit:

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal mit einem Orchester, das Stücke aus Computerspielen aufführt. Besser hätte man das Eintauchen einer Randkultur in den Mainstream nicht demonstrieren können.

Chris Huelsbeck: Symphonic Shades (HQ)

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