Fundstück: crumar über Titanic und den bürgerlich-feministischen Ausredenkalender

Nach crumars Deutung von Groundhog Day habe ich nun seine Deutung zu „Titanic“ aus den Kommentaren gefischt bei Alles Evolution:

Der Film ist selbstverständlich eine „Konstruktion“ in dem Sinne, dass er die Bedürfnisse der Zuschauerinnen zu erraten und zu bedienen versucht:

Die Heldin wird in dem Film dargestellt, als würde sie dies Opfer zu Gunsten ihrer Liebe bringen wollen und eine höhere Macht habe dies eben verhindert.
Die höhere Macht in Gestalt der NATURGEWALT Eisberg hat demnach verhindert, dass sich die *andere hohe Macht* der Naturgewalt der Liebe über die Klassenschranken hinweg durchsetzt.

Aber leider kam – wie gesagt – ein Eisberg dazwischen.
Der Witz ist, alle Zuschauer wissen, dass das Ende der Titanic UNAUSWEICHLICH ist.
Der Regisseur weiß dies auch und erfindet ein sexistisches Märchen – ein weiteres Blatt im bürgerlich-feministischen Ausredenkalender – in dem die Naturkatastrophe über die Liebe als Naturgewalt (beliebtes bürgerliches Ammenmärchen) jenseits von Klassenschranken einbricht.

Der männliche Held des Films opfert also im Film sein Leben für die Heldin nicht aus männlichem Pflichtgefühl oder aus Liebe.
Sondern die Konstruktion des Regiesseurs gibt dem Tod des Helden einen verborgenen Sinn – um nämlich die Heldin VOR SICH SELBST zu retten.
So lange er lebt und die Fahrt dauert, ist ihr Verzicht imaginär, kommt das Schiff an (wir wissen bereits, das wird es nicht) oder überleben beide, dann besteht die Gefahr, dass sie an dem eigenen Anspruch scheitert.

Er MUSS sterben, damit die Heldin nicht gezwungen ist, den realen Verzicht auf ein Leben in Reichtum und Wohlstand in die REALITÄT umzusetzen.
Camerons Konstruktion und Eingriff zielt also darauf ab, sie vor dem Einbruch der Realität in ihre Traumwelt zu schützen, welche zugleich – retrospektiv – als real vorgestellt wird.

Und in einem zweiten Kommentar:

Wobei es das Drama „Liebe überwindet Klassenschranken“ und „normative Zwänge“ *mit* Happy-End für Frauen natürlich gibt. Aber eben nur für Frauen: „Pretty Woman“.
Interessant ist hier (u.a.), dass letztlich noch einmal „Pygmalion“/“My Fair Lady“ noch einmal neu aufgewärmt worden ist.

Anyway: Vergleicht man unter diesem Gesichtspunkt beide Filme, dann wird klar, dass die Regiesseure messerscharf geschlossen haben, welche der beiden Szenarien *nach Geschlecht* für die Zuschauer REALISTISCH und demnach – mit Bezug auf deren Lebenswelt – GLAUBWÜRDIG sind.

(…)

Es gibt in Titanic die wunderbare Szene, in der sie bereits im Wasser sind – er IM Wasser und sie AUF einem Schwimmkörper.
Sie fleht ihn an nicht zu gehen, während sie *zugleich* seine bereits erstarrten Finger vom Rand pult und er in die Tiefe versinkt.
D.h. ihre *tatsächliche Handlung* steht in starkem Kontrast zu dem, was sie *verbal* (als Traum) äußert.

Der bürgerlich-feministische Ausredenkalender wurde von crumar schon vorher erwähnt (dort noch ohne den Zusatz „bürgerlich“) und so definiert:

„Jeden Tag eine neue Ausrede, warum man partout nicht durch eigenes Handeln oder nicht Handeln sich in der Situation befindet, in der man sich eben befindet.“

Christian Schmidt, crumar und ich selbst hatten Interesse daran ausgedrückt, diese Ausreden mal zu sammeln. Voilà, Nummer zwei.

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Via Fiete in den Kommentaren (Danke, Fiete!):

Manuel’s Love Song from Captains Courageous

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