Mittelalterlicher Gerichtskampf: Mann gegen Frau

Bis an die Grenze der Neuzeit war im germanischen Recht der Zweikampf zwischen Ankläger und Angeklagtem ein legitimes Mittel zur Feststellung der Wahrheit einer Beschuldigung, wenn sie nicht anderweitig zu klären war. Üblicherweise verbindet man damit die Idee eines Zweikampfs zwischen Männern. Dieses Rechtsinstitut galt jedoch allgemein für alle Adligen und Freien und schloss auch Frauen ein, sofern diese keinem Vormund unterstanden, also insbesondere unverheiratete Frauen und Witwen (Megede und Wedewen im Sachsenspiegel).

Jeder Gerichtskämpfer, der es sich leisten konnte, konnte einen Lohnkämpfer bezahlen, der anstelle des Klägers oder Beklagten in die Schranken trat. Das führte dazu, dass es berufsmäßige Lohnkämpfer gab, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten und dementsprechend in den Fechtkünsten bewandert waren. Einer dieser Fechtkünstler war der im 15. Jahrhundert lebende Hans Talhoffer, der darum bekannt ist, weil er die Summe seiner Künste als Bilderhandschrift hinterlassen hat, die uns aus dem Jahre 1467 überliefert ist. In dieser Handschrift stellen neun von insgesamt 270 Tafeln den gerichtlichen Zweikampf zwischen Mann und Frau dar.

Abb. 1: Hans Talhoffer

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Bemerkenswert sind insbesondere zwei Dinge: erstens wird der männliche Kämpfer mit einem Handicap versehen, das darin besteht, dass er aus einer hüfttiefen Grube heraus kämpfen muss, die er nicht verlassen darf, wodurch die Frau die Möglichkeit erhält, sich nach einem Angriff in eine sichere Distanz zurückzuziehen. Zweitens ist die Waffe der Frau ein in ein Tuch (»Schleier«) gewickelter Stein, also eine für das Mittelalter eher untypische Waffe, während der Mann einen gewöhnlichen Streitkolben führt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es Frauen untersagt war, (männliche) Waffen zu führen, es sich also um eine improvisierte Waffe handelt. Hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften und der Handhabung ähnelt diese der Frau zugewiesene Waffe jedoch dem Kriegsflegel.

Die Handschrift belegt, wie ich finde, eindrucksvoll, dass zumindest in den Rechtsordnungen germanischen Ursprungs eine bedingte juristische Parität von Männern und Frauen gegeben war, die in den Regularien für den gerichtlichen Zweikampf eine asymmetrische Chancengleichheit herzustellen suchte.

Im Folgenden gebe ich ohne weitere Kommentare die bei Wikisource verfügbaren Abbildungen wieder, die ich um die deutsche Übersetzung der frühneuhochdeutschen Texte von Dierk Hagedorn ergänzt habe.


Abb. 2: Tafel 242, Folio 122v

de_fechtbuch_talhoffer_240

Mitte oben: »Hier steht, wie Mann und Frau miteinander kämpfen sollen. Hier stehen sie, bereit zu beginnen«

Links: »Hier steht die Frau frei und will schlagen. Sie hat einen Stein im Schleier, der vier oder fünf Pfund wiegt.«

Rechts: »So steht er bis an die Leiste in der Grube. Der Kolben ist genauso lang wie der Schleier in ihrer Hand.«


Abb. 3: Tafel 243, Folio 123r

de_fechtbuch_talhoffer_241

Links: »Hier hat sie einen Schlag vollbracht.«

Rechts: »Nun hat er den Schlag versetzt und gefangen. Er will sie zu sich ziehen und bedrängen.«


Abb. 4: Tafel 244, Folio 123v

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»Hier hat er sie zu sich gezogen und nach unten geworfen; er will sie würgen.«


Abb. 5: Tafel 245, Folio 124r

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»Hier hat sie sich von ihm losgerissen und ist im Begriff, ihn zu würgen.«


Abb. 6: Tafel 246, Folio 124v

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»Hier hat sie ihn auf den Rücken gebracht, will ihn würgen und aus der Grube ziehen.«


Abb. 7: Tafel 247, Folio 125r

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»Hier hat er sie zu sich gerissen und wirft sie in die Grube.«


Abb. 8: Tafel 248, Folio 125v

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»Während sie ihn schlagen will, ist sie ihm zu nahe gekommen, so dass er sie am Bein ergreift und sie umwerfen wird.«


Abb. 9: Tafel 249, Folio 126r

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Links: »So schlägt er ihr vor die Brust.«

Rechts: »Hier hat sie ihm den Schleier um den Hals geschlagen und will ihn würgen.«


Abb. 10: Tafel 250, Folio 126v

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»Hier hat sie ihn am Hals und an seiner Kleidung gefasst und will ihn aus der Grube ziehen.«

Literatur:

  • Talhoffers Fechtbuch aus dem Jahre 1467. Gerichtliche und andere Zweikämpfe darstellend. Mit einer Einleitung von Gustav Hergesell. Neu transkribiert, übersetzt und mit einer Einführung versehen von Dierk Hagedorn. 1998, 6. überarbeitete und erweiterte Auflage 2016. Herne: VS-BOOKS
  • Rummel, Mariella (1987), Die rechtliche Stellung der Frau im Sachsenspiegel-Landrecht. Frankfurt a. M. – Bern – New York – Paris: Peter Lang
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9 Kommentare zu „Mittelalterlicher Gerichtskampf: Mann gegen Frau“

  1. Es scheint, das das Ding mit der geschlechterunabhänigen Fairness tief in unserer Verganegnheit begründet ist und wir schon damals versucht haben, körperliche Ungleichheiten zugunsten der Frau auszugleichen.
    Damit kann man erklären, daß man uns das Feminismus Dingens unterjubeln konnte.
    Und das das Patriarchat aus em althergebrachten germanischen Rechtsverständnis nicht zu erklären und herzuleiten ist.
    Und das Frauen bei uns nie rechtlos gestellt waren.

    Darf ich mal so mit einer Frau um nen Aufsichtsratsposten kämpfen?

    1. @Gereon:

      »Es scheint, das das Ding mit der geschlechterunabhängigen Fairness tief in unserer Vergangenheit begründet ist«

      Die feministische Unterstellung, dass die Geschlechterbeziehungen grundsätzlich von einer »männlichen Hegemonialität« belastet seien, halte ich auch für Unfug. Ich würde hier ein strukturelles Argument veranschlagen: aufgrund ihrer Position am »Perimeter« der Gruppe geraten Männer unter komplizierter werdenden Beziehungen zur Außenwelt leicht – aber nicht mit absoluter Notwendigkeit – in eine Position der Überverantwortlichkeit, die sich dann im gesellschaftlichen Binnenverhältnis regelmäßig als patriarchale Dominanz im Familienverband ausprägt.

      Ich halte es für einen Hauptfehler, der dem weitaus größten Teil des feministischen Denkens unterläuft, ein solches strukturelles Argument durch ein vulgärpsychologisches oder vulgärbiologisches Argument zu ersetzen. Damit verurteilt sich die Mehrheit der Feministinnen dazu, den dem Mann vorgeworfenen Sexismus selbst zu replizieren.

      »Und das das Patriarchat aus em althergebrachten germanischen Rechtsverständnis nicht zu erklären und herzuleiten ist.«

      Ganz so einfach ist es dann doch nicht: »patriarchal« an diesen Verhältnissen ist durchaus, dass das Recht auf den Gerichtskampf eben nicht für verheiratete Frauen gilt, die durch die Heirat unter die rechtliche Vormundschaft ihres Ehegatten geraten, und ebenso, dass Frauen keine »regulären«, den Männern vorbehaltene Waffen führen dürfen.

  2. Lieber Djadmoros,

    vielen Dank für diesen Artikel, dessen Inhalt mir bekannt vorkam. Eine kurze Recherche und Bingo. Eine Sendung von Terra X im November (siehe Link).

    Die Interpretation der Bilder durch die Autoren des Beitrags ist eine ganz andere – nämlich eindeutig sexistisch und männerfeindlich!

    Keine Frage, die Bebilderung legt die Auslegung von Terra X zumindest mit Blick auf das letzte Bild nahe. Und zweifellos bin ich auch kein auf Mittelhochdeutsch spezialisierter Linguist. ABER: Wenn wir schon über Migroagressionen, no-hate-speach, gegenderte Sprache und Sexismus reden, dann doch bitte in beide Richtungen!

    Das ZDF hingehen zeigt – in meinen Augen – allein mit diesem Beitrag, dass es der feministischen Propganda unreflektiert das Wort redet. Das ist nicht gut – weder für Frauen noch für Männer. Sowas säht Hass zwischen den Geschlechtern und unterminiert die Glaubwürdigkeit eine Institution wie dem ZDF erheblich.

    https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=10152350060152931&id=312193427930&refsrc=http%3A%2F%2Fwww.google.de%2F&_rdr

    1. @Thomas:

      Vielen Dank für Deinen Link! Da ich das Fernsehen für mich bereits seit vielen Jahren abgeschafft habe, entgehen mir solche Sendungen natürlich. Den Facebook-Kommentar finde ich tatsächlich auch sehr einseitig, da Talhoffer gerade nicht eine bestimmte Seite bevorzugt darstellt, sondern die Chancen beider Kontrahenten beschreibt. Ich finde dieses Bemühen um ausgeglichene Chancen im Gerichtskampf auch zwischen Männern und Frauen bereits eindrucksvoll genug, da muss »Terra X« nicht noch zusätzlich so tun, als ginge es in der Quelle nur einseitig um die Möglichkeiten der Frau.

    2. „Das ZDF hingehen zeigt – in meinen Augen – allein mit diesem Beitrag, dass es der feministischen Propganda unreflektiert das Wort redet.“

      Das ist nichts Neues. Wenn es um das Geschlechterthema geht, wird auch der letzte feministische Schwachsinn unreflektiert von dort wiedergegeben. Ich schätze den Kanal ZDFinfo, den ich von allen Kanälen mit Abstand am häufigsten gucke, aber sobald es um Frauen geht, driften sie ab in feministische Propaganda.
      Kein anderer Sender, als das ZDF, verbreitet so konsequent die Lüge von den 21% GPG und häusliche Gewalt wird jedes Jahr aufs Neue mit martialischen Bildern von aggressiven Männerfäusten vor verängstigt hingekauerten Frauen per „heute“-Nachrichtensendung in die Wohnzimmer getragen.
      Da ist die ARD deutlich vorsichtiger und sachlicher, wenn auch tendenziell pro Frau.

      Liest man seriöse Geschichtsfachliteratur, bleibt regelmäßig sehr wenig von der rechtlosen, unterdrückten Frau übrig.
      Formal waren Frauen im Mittelalter keine Rechtspersonen, konnten aber sehr wohl gegen ihre gewalttätigen Männer klagen. Auch die in die Ehe mitgebrachte Aussteuer war zwar offiziell in seiner Verfügungsgewalt, verprassen durfte er sie trotzdem nicht.
      Und besonders bei Kaufleuten vertrat die Ehefrau ihren auf Geschäftsreise befindlichen Mann vollumfänglich, so wie eine Fürstin die Aufgaben ihres Gatten während seiner Abwesenheit wahrnahm.

      Wer sich fürs Mittelalter interessiert, den empfehle ich Edith Ennen, Barbara Tuchman und Cordula Nolte (alles Frauen – nur so am Rande 😉 )

      1. @pingpong:

        Ja, der Link ist hart an der Grenze zum Spam, aber ich denke, wir sollten die Verwüstungen in den Seelen unserer Mitmenschen gelegentlich zur Kenntnis nehmen.

      2. Ja das stimmt, ich gebe kein gutes Zeugnis von mir, aber das würdest du auch nicht, wäre, entgegen der regelnden und geregelten Muttersprache, Gott als das erkennende Wort in dir. Nicht etwa sonst etwas für Rauschmittel wie z. B. Bier, sondern nur Gott als das Wort des geistig entlarvenden Inhaltes nehme ich zu mir. Religionen kenne ich dabei nicht, denn die haben für ihn als Wort kein Gewicht.

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