Ein weiteres Mal habe ich einen Kommentar von Leszek in einen Gastartikel umgewandelt, weil er sehr gut formuliert ist. In allen Punkten der Analyse muss man Leszek nicht zustimmen – nur halte ich gut geschriebene Texte immer noch für die beste Basis einer Diskussion.
Ich verwende den Begriff im Allgemeinen in zwei Bedeutungen, eine umfassende und eine speziellere.
Im umfassenden Sinne verstehe ich unter Political Correctness alle Versuche argumentfreie moralisierende Diskursstrategien für ideologische Zwecke zu nutzen, einschließlich damit verbundener Propagandalügen und damit verbundener jeweiliger spezifischer Theorien und Theorieelementen.
Bei Political Correctness geht es demnach nicht um rationale (ethische) Argumentation, sondern um die Herstellung irrationaler Über-Ich-Funktionen, es geht also darum Menschen argumentfrei ein „Du sollst“ bzw. ein „Du darfst nicht“ in den Kopf zu setzen, sowie darum, weltanschauliche Gegner mittels moralisierender Zuschreibungen argumentfrei öffentlich zu diskreditieren.
In dieser umfassenden Bedeutung kann es Formen von Political Correctness in jeder politischen Strömung geben, es existieren demnach linke, liberale und konservative/rechte Formen von Political Correctness. (Vieles, was sich im Spektrum speziell der rechten Kritik an der heute vorherrschenden Form linker Political Correctness findet, ist m.E. in Wahrheit ebenfalls eine Form von PC.)
Ein früher Kritiker jeder Form von Political Correctness, der neomarxistische Philosoph Theodor W. Adorno, bemerkte zu den negativen Folgen solcher Diskursstrategien (in dem Artikel „Zu der Frage: Was ist deutsch?“):
„Nicht wenige Fragen gibt es, über die ihre wahre Ansicht zu sagen, fast alle mit Rücksicht auf die Folgen sich selbst verbieten. Rasch verselbständigt sich eine solche Rücksicht zu einer inneren Selbstzensurinstanz, die schließlich nicht nur die Äußerung unbequemer Gedanken, sondern diese selbst verhindert.“
Und ein weiterer früher Kritiker jeder Form von Political Correctness, der neomarxistische Psychoanalytiker Wilhelm Reich, beschäftigte sich ausführlich mit der kritischen Analyse des negativen Einflusses irrationaler Über-Ich-Funktionen:
http://www.lsr-projekt.de/wrnega.html
Bezeichnenderweise ist eines der zeitgenössischen Standardwerke der linken Kritik am Radikalfeminismus und Gender-Feminismus von einer feminismuskritischen Marxistin in der Tradition von Wilhelm Reichs geschrieben worden:
Im engeren Sinne verwende ich den Begriff Political Correctness je nach Kontext auch für eine ganz bestimmte Variante der Political Correctness, nämlich die heute in westlichen Gesellschaften vorherrschende Form linker Political Correctness und damit verbundene Diskursstrategien, Propagandalügen und Theorien. Diese zweite Bedeutung entspricht weitgehend dem, worauf PC-Kritiker meistens abzielen, wenn sie von Political Correctness sprechen, nämlich die postmoderne Political Correctness und um eben die geht es auch in meinem Kommentar zu Critical Hetness/Knutschverbot. (Anpassung von Graublau: „oben verlinkten“ aus dem Text entfernt und dafür den Link selbst eingefügt)
Die postmoderne Political Correctness hat sich ideengeschichtlich wesentlich aus einer einseitigen, selektiven und dogmatischen US-amerikanischen Rezeption des französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus entwickelt (siehe hierzu das ausgezeichnete Buch des Politikwissenschaftlers Mathias Hildebrandt, auf das ich in meinem letzten Kommentar hinwies.) Ich bezeichne die postmoderne Political Correctness daher auch als Vulgär-Poststrukturalismus. Zur postmodernen PC bzw. zum Vulgär-Poststrukturalismus gehören Theorieströmungen wie Gender Studies, Queer-Feminismus, Critical Whiteness und postmoderner Multikulturalismus.
Die postmoderne Political Correctness beruht auf einer m.E. fehlkonzipierten und einseitig angelegten (Anti-) Diskriminierungstheorie, die stets so funktioniert, dass einer Gruppe der Status der „Norm“, einer anderen Gruppe stets der Status der Abweichung oder Ableitung von dieser Norm zugewiesen wird. Jene Seite, der der Status der Norm zugewiesen wurde, gilt dann als privilegiert und Unterdrücker, die andere Seite gilt als diskriminiert und unterdrückt.
Dabei geht es also in keiner Weise darum aus einer um Objektivität bemühten Haltung heraus AUF ALLEN SEITEN zu erforschen, wo jeweils Diskriminierungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen vorhanden sind, was die Ursachen dafür sind und wie diese beseitigt werden können.
Das postmoderne Paradigma von Norm und Abweichung/Ableitung legt stattdessen von vornherein fest, welche Gruppen den Status als diskriminiert erhalten und welche den als privilegiert. Dies erfolgt über Normzuschreibungen (männlich, weiß, heterosexuell, cissexuell, westlich), die dann für PC-Ideologen oft zu Feindbildern werden.
Die Mitglieder derjenigen Gruppen, denen der Status der Norm zugeschrieben wurde, werden dann u.a. zu „Privilegienreflektionen“ aufgefordert, in der Hoffnung, dass sie die entsprechenden Zuschreibungen dadurch verinnerlichen (was allerdings in der Praxis oft nicht funktioniert, sondern pädagogische Gegenteileffekte hervorruft, wie ich in dem verlinkten Kommentar ja erwähnte).
Die postmoderne PC ist außerdem mit bestimmten, oft irrationalen Sprachumerziehungsmaßnahmen verbunden, das resultiert ideengeschichtlich daraus, dass sich der Poststrukturalismus aus der strukturalistischen Sprachphilosophie heraus entwickelt hat und dazu neigt den Einfluss von Sprache massiv zu überschätzen. Entsprechend fallen PC-Ideologen der Mehrheitsbevölkerung gerne mit schwer nachvollziehbaren Sprachumerziehungsmaßnahmen und Sprachverkomplizierungen auf den Wecker.
Auf Kritik, und sei sie noch so sachlich und begründet, reagieren PC-Ideologen im Allgemeinen, indem Kritiker pauschal und undifferenziert als rechts, sexistisch, rassistisch, homophob usw. gebrandmarkt werden. Dabei bedienen sich PC-Ideologen gerne zweier Strategien der Entwertung von Begriffen, die für die politische Linke in analytischer und kritischer Hinsicht wichtig sind. Entweder werden Begriffe wie rechts, sexistisch, rassistisch, homophob usw. undifferenziert auf alles und jeden angewendet, der eine von der postmodernen PC-Ideologie abweichende Meinung vertritt oder es werden neue ausufernde Definitionen dieser Begriffe erfunden, die zwar rational nicht begründbar sind, aber entsprechende diskursstrategische Funktionen pseudowissenschaftlich legitimieren sollen (z.B. sexistisch ist, wer an durchschnittliche Geschlechtsunterschiede zwischen Frauen und Männern glaubt; rassistisch ist, wer den orthodox-konservativen Islam kritisiert; rechtsradikal ist, wer die postmoderne PC kritisiert, denn solchen Leuten geht es ja nur darum Privilegien und damit Ungleichheiten zu erhalten.)
Der von mir geschätzte linke Philosoph Jürgen Habermas verwendet die schöne Formulierung von der zwanglosen Kraft des besseren Arguments, die einem von ihm befürworteten herrschaftsfreien Diskurs als Leitbild dienen soll. Sowas ist mit PC-Ideologen aber leider nicht zu machen.
Die postmoderne PC bzw. der Vulgär-Poststrukturalismus kommt m.E. den Interessen der ökonomischen und politischen Herrschaftseliten in vielerlei Hinsicht entgegen, denn sie ist, wie in dem verlinkten Kommentar bereits erwähnt, gut dazu geeignet von Staats- und Kapitalismuskritik abzulenken, den Klassenkampf zu behindern, Menschengruppen gegeneinander auszuspielen, eine Teile-und-herrsche-Politik zu betreiben, die Linke der Mehrheitsbevölkerung zu entfremden, die Meinungsfreiheit einzuschränken, sexuelle Repression zu fördern und den Aufbau eines autoritären Staates zu begünstigen, daher wird die postmoderne PC m.E. von den ökonomischen und politischen Herrschaftseliten gefördert – allerdings nur solange die PC-Ideologen als nützliche Idioten brauchbar sind, ist erstmal jede wirksame linke Opposition lahmgelegt und ein autoritärer Staat etabliert, werden die PC-Ideologen von den neoliberalen Herrschaftseliten entsorgt werden.
Ich betrachte die postmoderne Political Correctness also wesentlich als neoliberales Herrschaftsinstrument.
Endes des Artikels – noch ein wenig meta
Entgegen meinen Erwartungen haben wir es geschafft, auch im Oktober jeden Tag einen Artikel zu veröffentlichen. Für die Resonanz war das sicher eine gute Sache! Der Artikel über Thomas Fischer und sjw-watch hat es sogar in ein Video geschafft (3:24-5:40):
MaMMoNMaGaZiN: SAFESPACE 23 – Gesammelter Femi-Müll vom 20.10.2016
Ebenfalls wurden in diesen Monat mehr Gastartikel per E-Mail eingereicht als vorher. Gerne weise ich dabei darauf hin, dass der Blogname bewusst gewählt wurde, um alle möglichen Sichtweisen präsentieren zu können. Wie es schon in der Anfangszeit dieses Blogs erwähnt wurde: Auch ein radikalfeministischer, genderfeministischer oder poststrukturalistischer Text hat hier seinen Platz (von generell feministischen mal ganz abgesehen, davon hatten wir schon welche).
Ich habe da keine Angst, was die freie Debatte angeht: Selbst wenn die Auslegung der groben Kommentarmoderationsregel „jeder moderiert unter seinen Artikel so stark oder wenig wie er will“ streng ausgelegt würde und die Kommentare unter einem Beitrag ganz geschlossen würden – am nächsten Tag könnte direkt ein neuer Artikel mit einer anderen Position zum selben Thema veröffentlicht werden, unter dem die Diskussion dann erst richtig losginge.
Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass Kommentare nicht automatisch freigeschaltet wurden. Hier scheint WordPress übermotiviert zu sein; wessen Kommentare woanders als Spam markiert wurden, der scheint es auch hier im Blog schwerer zu haben. Die Option „ein Kommentar desselben Autor muss bereits freigeschaltet sein“ reicht entgegen der Dokumentation offenbar nicht aus.
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Die „politisch korrekte“ Version hatten wir schon, hier ist das Original:
Die Ärzte: Quark