Vom dummen, männlichen Wähler

Es folgt ein Gastartikel von Lion.

Nach Wahlen werden gerne Statistiken und Erkenntnisse der Wahlforscher veröffentlicht. Schon seit langen Jahren ist es üblich, danach zu schauen, in welchen Wahlkreisen die Parteien die meisten Stimmen einheimsten und welche Wählerwanderungen es zwischen den Parteien gab. Neuerdings wird jedoch auch größerer Wert darauf gelegt, die Wählerschaft anhand persönlicher/demographischer Kriterien zu zerlegen, nach der Fragestellung: „Wer wählt eigentlich Partei XYZ?“.

Vordergründig geht es dabei um das Informationsbedürfnis innerhalb der Gesellschaft, das damit befriedigt werden soll. Man sollte aber nicht vernachlässigen, wozu solche Veröffentlichungen außerdem genutzt werden können.

Neben einer rein quantitativen Wertung einer Wahl („Welche Partei erhielt wieviel Stimmen?“) wird durch die neue Betrachtungsweise unterschwellig eine qualitative Betrachtung ins Spiel gebracht – was dem Gleichheitsgrundsatz „eine Person – eine gleichwertige Stimme“ (egal, welches Geschlecht, welcher ethnischen Herkunft, welche Religionszugehörigkeit, welcher Intelligenzgrad, welcher Schulabschluss, welcher Beruf usw.) widerspricht. Statt es nach diesem demokratischen Grundsatz hinzunehmen, dass es jedem Wähler und jeder Wählerin selbst überlassen bleibt, die Entscheidung zur Stimmvergabe nach eigenem Gutdünken vorzunehmen, wird die Wählerschaft der gewollten Anonymität entrissen und anhand der Kriterien sortiert.

Dieses kann niemals wertfrei geschehen. Eine höhere Intelligenz/ein höherer Schulabschluss wird beispielsweise immer als „besser“ gesehen werden, als eine niedrigere Intelligenz oder ein geringerer Schulabschluss. „Jung“ gilt immer noch als erstrebenswerter als „alt“. Und (Leser von Blogs mit Geschlechter-Themen wissen es) „weiblich“ gilt gerne als moderner / zukunftsweisender / cleverer als „männlich“.

Überlegt man sich dann noch, dass auch Parteien (insbesondere durch die handelnden Personen der Medienbranche) ständig Wertungen erfahren, ist es nur ein kleiner Schritt zu positven/negativen Assoziationsketten und zu einer Sache, die ich „doppelte Diffamierung“ nenne. Gesetz den Fall, Partei XYZ hat in den Medien nicht gerade den besten Ruf, so schlägt man mit einer angeblich neutralen Formulierung wie „Die Partei XYZ wird vorwiegend von Männern, Arbeitslosen und weniger Gebildeten gewählt“ gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Assoziationskette XYZ-Wähler – Mann – arbeitslos – weniger gebildet diffamiert in zwei Richtungen: Gegen die Partei und gegen Angehörige der identifizierten Wählerschaft. Die unterschwelligen Aussagen sind: a) Die Partei XYZ bekommt nur Zustimmung von weniger erfolgreichen/beliebten Personen, also ist Partei XYZ auch zweifelhaft und b) Männer / Arbeitslose / weniger Gebildete wählen oft „die falsche Partei“, also kann man diese Personengruppen auch nicht für voll nehmen.

Im Sinne der Demokratie, aber auch im Sinne unterschiedlicher Personengruppen sollte man sich gegen dieses Gift der unterschwelligen Wertung verwehren. Es gilt: Eine Person – eine Stimme, egal, wie diese Person „beschaffen“ ist oder wie sie zum Entschluß gekommen ist, eine bestimmte Partei zu wählen. Weder die Wählenden noch ihre Stimme sind qualitativ zu gewichten. Wer es trotzdem tut, dem kann getrost unterstellt werden, damit eigene Ziele zu verfolgen, gerade dann, wenn es sich um Medien handelt, die sich ja ansonsten „Gleichheit in jeder Hinsicht“ auf die Fahnen geschrieben haben.

3 Kommentare zu „Vom dummen, männlichen Wähler“

  1. Aber für Parteien könnte das interessant sein. Welche Zielgruppe habe ich? Welche möchte ich (noch mehr) erreichen? (Wie) verfolge ich mit meinem Wahlprogramm die Anliegen welcher Bevölkerungsgruppen? Auch Parteien brauchen ein Werbekonzept und Marketingstrategien.
    So ist es nur logisch zu fragen: Wen haben wir schon mit uns? Wer soll mit ins Boot? Wo wollen wir Wähler gewinnen?
    Eine Partei, die sich gezielt gegen Arbeitslosigkeit und schlechte Bildungsmöglichkeiten einsetzt, müsste sich ja BESONDERS an die „unbeliebten“ Bevölkerungsgruppen der Hartz IV Empfänger und Bildungsfernen wenden und gerade die erreichen wollen.
    Und eine Partei, in der die große Gruppe der „Männer“ bzw. „Frauen“ völlig unterrepräsentiert ist, muss sich fragen, ob sie wirklich eine Volkspartei ist oder die Interessen und Bedürfnisse von 50% der Bevölkerung von vorneherein ausklammert.
    Nach der Logik von Lion, dass der Charakter der Wähler Parteien eine „Wertigkeit“ geben, könnte man z.B. der NPD* auch ein ziemlich hippes Image verpassen: ihre Wählerschaft rekrutiert sich größtenteils aus jungen Wählern (-> Partei der Zukunft, ist im Kommen), das Klientel der Selbständigen ist durchschnittlich gut vertreten. Den größten Zulauf erhielt die Partei durch Ex-CDU Wähler und löst damit diese große Volkspartei in der Meinung ihrer Wähler ab.

    *hier ein Beispiel, das lion so harsch kritisiert: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41899/waehler-der-npd )

    ergo: Liegt die gefühlte Disqualifizierung einer Partei nicht im Auge des Betrachters – und das auch noch hinterher, nach der Wahl?

  2. Natürlich interessiert sich eine Partei dafür, wer sie wählt (und wer noch nicht). Aber hier geht es um die Veröffentlichung dieser Informationen für alle. Und wohlgemerkt: Was veröffentlicht wird, obliegt den Medientreibenden. Man kann getrost davon ausgehen, dass, wenn beispielsweise die in der Presse unbeliebte AfD stark von gebildeteren Leuten gewählt werden würde, dies dann nicht veröffentlicht würde. Weil man dieses Bild nicht „gebrauchen“ kann. Ich kam übrigens drauf, diesen Blogbeitrag zu schreiben, weil ich kurz vorher eine Pressemitteilung las, wie die Wahlen in USA ausfallen würden, wenn nur Frauen oder nur Männer wählen könnten. Bei Frauen gewinnt dann natürlich Hillary Clinton. Bei Männern Donald Trump. Welches Ziel verfolgt man mit solchen Bekanntgaben? Darüber ruhig mal nachdenken …

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