Wenn ich schon einmal alte Kommentare von mir wieder ausgrabe und zu einem Artikel umbaue, dann kann ich noch einige weitere benutzen, die ich immer wieder gerne anbringe. Es passt jetzt gerade, da ich sowieso für einen anderen Artikel etwas Anlauf nehmen muss und dann kann ich gleich etwas Grundsätzliches schreiben, anstatt zu versuchen, alles in eins zu packen.
Es geht um das Thema „Slutshaming“, also zu Deutsch eine Frau damit zu beschämen, dass sie (angeblich) eine Schlampe ist. Ich habe den Eindruck, dass dabei drei Ansichten, die ich samt und sonders für falsch halte, immer wieder hervorgekramt werden:
- Slutshaming erfolgt vor allem durch Männer.
- Slutshaming ist ein Hinweis auf das Wirken des Patriarchats.
- Gegen Slutshaming gibt es kein Rezept – deswegen muss man sich davor fürchten.
Zu Punkt 1: Das kommt vielleicht vor bei enttäuschten Männern, die bei einer Frau abgeblitzt sind und sich an ihr rächen bzw. den Misserfolg schönreden wollen („naja, die ist doch eh eine Schlampe“ = „dem Fuchs sind die Trauben zu sauer“). Aber ansonsten gilt: Slutshaming wird in erster Linie von Frauen betrieben. Wenn ich mir anhöre, wie Frauen über andere Frauen herziehen… mein lieber Scholli!
Zu Punkt 2: Für Slutshaming braucht es kein allmächtiges, im Verborgenen wirkendes Patriarchat (das dennoch erstaunlich ineffizient und ungeschickt vorgeht). Das läßt sich viel einfacher durch intrasexuelle Konkurrenz unter Frauen erklären. Wie heißt es so schön bei Alles Evolution?
Slutshaming ist kein Machtmittel des Patriarchats, sondern recht einfach zu erklärende Folge evolutionärer Prozesse und sexueller Selektion, die sich auch im Konkurrenzkampf von Frauen untereinander zeigt.
Wie es eine Studie recht deutlich ausdrückt: Frauen bewerten “Schlampen” schlechter und wollen nicht mit ihnen befreundet sein.
Erstaunlicherweise gilt dabei, hier erneut Alles Evolution, sich auf eines der Studienergebnisse berufend:
Also selbst Schlampen mögen eigentlich keine Schlampen und wollen lieber “anständigere” Freundinnen.
Das deckt sich mit meiner Lebenserfahrung. Slutshaming ist kein Kampf „konservativ – zurückhaltend“ gegen „modern – lebenslustig“, nein, gerade diejenigen Frauen, die selbst ziemlich aktiv sind, lästern über andere ab, die ebenso manchem Abenteuer gegenüber aufgeschlossen sind.
Und wer hätte es gedacht? Das hat auch einschränkende Konsequenzen für Männer, wie Christian Schmidt feststellt:
Das verstärkt natürlich auch die Wirkung bei Männern. Wer immer mit “Schlampen” rumhängt, der wird sich eben von anderen Frauen anhören müssen, dass sie dazu keine Lust haben.
Wie dämlich müsste das Patriarchat sein, seine Mitglieder derart in ihrer Lebensführung zu gängeln?
Zu Punkt 3: Es gibt Taktiken zur Vermeidung von “Slutshaming”.
Dabei kann ich mich selbst aus einem Kommentar zitieren:
Erst durch den Artikel musste ich überhaupt mal darüber nachdenken, wie ich das meinem Bekanntenkreis wahrnehme. Denn da gibt es durchaus “lockerere” Frauen, die von jedem Verdacht frei sind, eine Schlampe zu sein, und gleichzeitig welche, bei denen (in letzter Konsequenz) der Begriff “Schlampe” ok ist. Warum trifft das aber auf einige Frauen für mich so klar zu, auf andere aber überhaupt nicht?
Tatsächlich meine ich, dass schon im Kommentar zwei Sachen durcheinander geworfen werden:
a) eine Frau ist leichter für Sex zu haben
b) eine Frau ist leicht zu habenKlingt sehr ähnlich, sind aber zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Frau unter a) hat Spaß an Sex, geht vielleicht auch offen und offensiv mit ihrer Lust um und verheimlicht nicht, dass sie eine Reihe von Partnern hatte – auch mal “nur für Sex”. Die Frau unter b) ist generell leicht oder leichter “herumzukriegen”.
Die Frau unter a) ist für mich modern (wer nicht wie a) ist, ist aber nicht unmodern), die Frau unter b) läuft Gefahr, als Schlampe angesehen zu werden.
Das Unterscheidungskriterium: Die Frau unter a) trifft eine Auswahl, mit wem sie ins Bett geht. Die Frau unter b) wählt – aus welchen Gründen auch immer – nicht aus. Die in den Kommentaren geäußerte These, Schlampen seien nur die Frauen, die nicht mit einem selbst ins Bett gehen würden, stimmt so nicht.
Auf Nachfrage schrieb ich noch einen weiteren Kommentar, in dem ich das etwas weiter ausführte:
a) wählt aus und ist in dem Sinne aktiv.
b) fehlt genau diese Qualität. Mögliche (aber nicht erschöpfende) Ausprägungen:
- Sie empfindet sich nicht als attraktiv genug, um Maßstäbe an ihre Partner anlegen zu können. Selbst wenn sie weiß, dass etwas Besseres möchte, handelt sie nicht so, aus Angst, (auch) körperlich allein zu bleiben. Mögliche Variante: Die “Typentrösterin”, bei der alle möglichen (zumeist unerfahrenen) Männer zum Zuge kommen, die bisher oder gerade wenig Erfolg bei anderen Frauen hatten.
- Sie läßt sich mit jedem ein, der sie nur lange genug bearbeitet. Irgendwie ist zwischen “angebaggert werden” und “Sex” kein Hirn mehr dazwischengeschaltet, das die Kandidaten noch einmal darauf prüft, ob b) überhaupt Lust auf sie hat. (Dass eine Frau wirklich Lust auf _jeden_ hat, wage ich einfach mal zu bezweifeln.) Mögliche Variante: Die Frau, die nur unter Alkohol oder anderen Drogen so wird, das inzwischen auch weiß, aber dennoch von (zuviel) Alkohol und anderen Drogen nicht die Finger läßt. Eine weitere Variante: Sie weiß nicht, was sie will, und kann deswegen einem entschlossenen Anbaggerer irgendwann nichts mehr entgegensetzen.
Einige Beispiele von Frauen, die nichts mit “Schlampen” zu tun haben:
- die “Feierfreudige”: Vielleicht gerade aus einer Beziehung raus, vielleicht gerade von zu Hause ausgezogen, vielleicht schon immer so gewesen. Sie hat viel Spaß am Leben und da gehören auch Männer dazu. Da ist es ganz normal, dass sie mal etwas ausprobiert – und da kommt es immer wieder zu tollen Erfahungen, aber auch mal vor, dass sie im Nachhinein sagt: “Naja, mit dem hat es sich jetzt nicht gelohnt.” Sie mag zu vielen “ja” sagen – aber nicht zu allen.
- die “in der Findungsphase”: vielleicht noch minderjährig, oft gerade volljährig, noch wenige Erfahrungen und dadurch einen gewissen Erfahrungshunger. Alles ist neu und aufregend – und wer möchte schon bei den Erlebnissen, die laut Popkultur in dem Alter alle vorzukommen haben, zurückstecken? Es mag einige unangenehme, lange nachwirkende oder peinliche Erfahrungen geben. Typischerweise hört diese Findungsphase nach einigen Jahren auf – und dann weiß diese Frau sehr gut, wer sie ist und was sie will.
- die “Abgestürzte”: Auch der Umgang mit Alkohol will gelernt sein. In jungen Jahren übertreibt es eine mal und findet sich in den Armen oder im Bett eines Typen wieder, den sie gar nicht kannte / ewig kannte, aber eigentlich gar nicht so toll fand / eigentlich schon immer toll fand. Wahrscheinlich schämt sie sich dafür, dass ihr, die sonst immer beherrscht ist und gut aufpasst, so ein Ausrutscher passiert ist. Aber da ist nichts Schlimmes dran – besonders dann nicht, wenn sie den Kerl ohnehin möchte oder noch besser, bisher einfach zu schüchtern war.
Wahrscheinlich alles Selbstverständlichkeiten, die ich hier aufzähle, aber ich wollte den Unterschied in der Wahrnehmung durch Männer erklären.
Das männliche Pendant zur Schlampe ist der Notgeile, der unbedingt _irgendeine_ Frau ins Bett bekommen muss, und sei sie noch so unattraktiv. Der Unterschied zum “tollen Hecht”: Der tolle Hecht wählt ebenfalls aus.
Eine Frau kann also durch ihr Verhalten sehr viel steuern. Klar, zu 100% kann sie kein Risiko vermeiden – das gilt jedoch für praktisch jedes Risiko auf dieser Welt. Ich kann auch nicht zu 100% ausschließen, morgen vom Auto überfahren zu werden, selbst wenn ich mir vornehme, das Zimmer nicht zu verlassen oder einfach nur besonders achtsam über die Straße zu gehen.
Wenn mir jedoch bei vernünftigem Verhalten so etwas vorgeworfen wird, dann ist es offensichtlich unberechtigt – und dann muss es mir auch ein Stück weit egal sein. Wie oft wird einem als Mann vorgeworfen, man sei „zu hart“ oder „aggressiv“, wenn man sich einmal durchgesetzt hat? Das kommt dann gerne vom Unterlegenen oder von Leuten, die nicht begriffen haben, dass mit einfach nur lieb und nett sein in dieser Situation nichts zu machen war. Wer also niemals anecken will, hat auch keine Chance, erfolgreich zu sein.
Für ein erfolgreiches Leben sollte eine Frau also sich nicht fürchten, theoretisch irgendwann mal als Schlampe bezeichnet zu werden. Sie selbst hat es in der Hand, ob dieses Etikett nach den obigen Unterscheidungen berechtigt oder unberechtigt ist. Wer als Mann seine fünf Sinne beisammen hat, wird das auch unterscheiden können.
Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein Lied aus den späten 1990ern, dessen Titel aus einem anderen Schimpfwort besteht.
Meredith Brooks: Bitch