Warum für mich nicht viel anders wäre

Ein Blogstöckchen zieht seine Kreise, und Christian hat es diesem Blog und seinen Autoren zugeworfen. Ich habe zwei Tage gezögert, denn ein wenig beißt sich die Katze in den Schwanz: Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich eine andere Person und würde die Dinge mitunter ganz anders beurteilen. Wieviel von dem, was ich jetzt tue, setze ich außerdem als biologisch beeinflusst oder gesellschaftlich geprägt voraus? Behalte ich im Gedankenexperiment meine jetzigen Präferenzen oder mag ich im Tausch das, was bei Frauen im Schnitt häufiger vorkommt?

Dann ist mir allerdings eingefallen, dass ich ja schon einmal einen Artikel darüber geschrieben habe, warum ich gerne ein Mann bin. Da stehen schon viele Antworten drin!

Für die Frauenrolle übernehme ich einige Szenarien, wie sie in meinem Umfeld vorkommen. Das scheint mir noch die sicherste Wette für Überlegungen zu sein.

Was wäre anders in deinem Leben, in deinem Alltag, wenn du eine Frau wärst?

Wenn ich jetzt noch keine Kinder hätte, würde es langsam sehr spät werden. Sicher, selbst Mütter über 40 sind heute keine so große Seltenheit mehr.

Auf der anderen Seite wäre ich viel früher als Partner attraktiv geworden. Der interessanteste Zeitabschnitt zum Flirten wäre also einfach in jüngeren Jahren gewesen. Da ich mich von der heutigen Lage ausgehend fragen muss, wie ich überhaupt dorthin gekommen wäre, muss ich weiter zurückgehen.

Ich hätte dasselbe studieren können. Das wäre in meiner Umgebung nicht ungewöhnlich gewesen – trotz des geringen Frauenanteils. Letzten Endes kommt es darauf an, worauf man Lust hat ( = was einem liegt). Mit denselben Interessen (Comics, Computerspiele, Filme, Musik – Popkultur halt) wäre ich in dieser Zeit nicht angeeckt.

Tja, und jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten, je nachdem wie die Jahre ab Mitte 20 verlaufen wären:

In fester Partnerschaft? Dann Heirat und Kinder. Mindestens Teilzeit arbeitend; man hat den Abschluss ja nicht umsonst gemacht und nur zu Hause fällt einem die Decke auf den Kopf. Oder zumindest irgendetwas mit Internet, Sprachen oder Musik. Ich könnte sogar etwas ähnliches wie jetzt arbeiten, nur eben nicht volle Stundenzahl (Kinder erfordern Zeit). Cool, dass nicht Vollstoff von mir gefordert wird.

Dauerhaft Single? Dann Vollzeit arbeiten, derselbe Beruf. Was ich in meinem Privatleben mache, geht niemanden etwas an. Schade, dass die Option auf Kinder irgendwann endgültig vorbei geht.

Was definitiv schön ist: Es gibt eine interessante Perspektive jenseits der Mutter- und Partnerrolle. Selbst wenn ich nicht mehr so knackig aussehe wie mit 20, mit einem freundlichen Lächeln kann ich auch jenseits der 50 viel erreichen und ich kann mich kreativen Hobbys widmen und neue Leute kennenlernen. Ich muss mich nicht abschreiben, nur weil meine attraktivsten Jahre vorbei sind.

Was tust du nur deshalb, weil du ein Mann bist?

An meine Grenzen gehen, was die Leistung angeht. Klar, oft ist es faszinierend, sich selbst zu übertreffen. Aber leider wird das andauernd gefordert und immer dieselbe Platte wird auf Dauer langweilig – dazu noch, wenn sie zu unpassenden Anlässen aufgelegt wird. ( Ohne ständige laziness shaming gegen Männer wäre es jedenfalls anders. 😉 )

Ich würde mit Sicherheit nicht so stark gegen meine Schüchternheit anarbeiten, wenn es einen anderen Weg gäbe. Dass ich immer wieder extrovertiert auftrete, entspricht nicht meinem Wesen. Eigentlich bin ich introvertiert. Nur leider habe ich im Leben lernen müssen, dass ich damit nicht weit komme.

Was tust du nicht / welche Dinge lässt du lieber, weil du ein Mann bist?

Jeweils bezogen auf „in der Öffentlichkeit“:

Zartheit zeigen. Ich mag auch niedliche, süße, herzerwärmende oder bewegende Dinge. Es gab viele Bilder, Geschichten oder Lieder, die mich emotional sehr berührt haben oder es heute noch tun. (Ein harmloses Beispiel: In meiner Jugend habe ich mit großer Freude mehrere Jane-Austen-Verfilmungen gesehen.)

Nähe und Wärme. Das Bedürfnis, einfach mal berührt oder umarmt zu werden. Kuschelig sein. (Wieder eher trivial: Ich hatte als Kind eine große Stofftiersammlung.)

Verletzlichkeit und Verletztheit. Seine eigenen Grenzen nicht verdecken. Aussprechen, wenn man am Boden ist. (Diesmal ganz ernst: Es gab mehrere Situationen im Leben, da habe ich offen gesagt, ich können nicht mehr. Das wurde nicht akzeptiert.)

Natürlich gibt es all diese Facetten an mir, und selbstverständlich ist das nicht „meine weibliche Seite“, sondern gehört zu mir als männlicher Person. Meine Lebenserfahrung als Mann hat mir nur gezeigt, dass diese Charaktereigenschaften nicht gefragt sind. So wie eine Band, die sich bislang recht erfolgreich durchschlägt und im Laufe der Jahre feststellt hat, dass eine gewisse Spannbreite ihrer Lieder als „ganz typisch“ wahrgenommen wird und stets willkommen ist, einige andere hingegen überhaupt nicht angekommen. Was soll man da machen? Das Publikum beschimpfen und fordern, dass es gefälligst alles zu mögen hat? Oder das als Tatsache akzeptieren und es nur hervorkramen, wenn man darauf angesprochen wird (etwa, weil man in der richtigen Laune zum Streiten ist und einem vorgehalten wird, man könne ja alles bringen und es werde stets angenommen)?

Es erinnert mich stark an eine frühere Diskussion. Das hier wäre mein derzeitiges Fazit.

Kritisch wird es nur bei einem Thema wie Depressionen. Es spielt keine Rolle, ob man davon als Mann oder als Frau betroffen ist – das ist immer die Hölle. Wenn es um Erkennung und Behandlung geht, wird bei Frauen tendenziell eher der Bedarf nach Hilfe akzeptiert (was hier absolut richtig ist!), bei Männern ist das Risiko höher, im Selbstmord zu enden. (Die Kehrseite: Bei Männern wird persönliche Veränderung eher angenommen. Frauen kommen nicht so leicht vollkommen aus der Kurve, Männer hingegen leichter auf einen anderen Weg. Hat also jeweils Vor- und Nachteile.)

Durch welches Klischee fühlst du dich persönlich beeinträchtigt?

Männer sind alle perverse Schweine, die nur an das eine denken und nie über ein primitives geistiges Niveau hinauskommen. Edlere Motive sind ihnen fremd; was sie nicht durch Bündnisse untereinander erreichen können, das nehmen sie sich mit brutaler Gewalt.

Erzähle von einer Situation, in der du bemerkt hast, dass es von Vorteil ist, zur Gruppe der Männer zu gehören.

Alleine tanzen gehen. Wenn ich da jedesmal mindestens eine weitere Person überreden und mitschleppen müsste, käme ich ja zu gar nichts mehr und würde mich ausgebremst fühlen.

So kann ich ganz alleine auf der Tanzfläche voll abgehen. Sicher, in den Augen vieler Leute wirke ich damit etwas seltsam oder bescheuert. Aber andere sind davon sogar beeindruckt und viel wichtiger, ich habe auf die Weise schon so viele sympathische Menschen kennengelernt.

Ansonsten gelten die fünf Gründe, die ich im oben erwähnten Artikel genannt habe. Da gab es schon genug schöne Erlebnisse in meinem Leben. 🙂

Gibt es Situationen, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt?

Fast alles im Alltag, gerade da, wo man als Mensch „einfach nur funktionieren muss“ als kleines Rad im großen Weltgetriebe. Ich halte die Kategorie „Geschlecht“ als Ursache dafür, was einem so an Kleinklein passiert, für völlig überschätzt.

Und auch wenn hier einige Unterschiede aufgezeigt habe: Die meisten Sachen in meinem Leben hätte ich ebenso machen können. An einigen Stellen hätte ich mehr, an anderen Stellen weniger Möglichkeiten gehabt. Mal gäbe es Vor-, mal Nachteile. Ein Drama wäre es nicht. Weder das Paradies noch die Hölle auf Erden.

So, und jetzt darf ich sagen, von wem ich gerne mal lesen würde, wie er diese Fragen beantwortet. Am liebsten wären mir LoMi („Offene Flanke“ – auch wenn der schon seit Monaten nichts mehr geschrieben hat, vielleicht taucht er ja wieder auf), Leszek (weil der kein eigenes Blog hat, kann er ja hier einen Kommentar schreiben – oder es provoziert ihn endlich zu einem Gastartikel) und Dirk M. Jürgens (DMJ von Buddelfisch).

Dieselben Fragen von anderen Leuten beantwortet

Popkultur

Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal ein herrlich bescheurtes Lied, das mir allerdings sofort bei den Fragen eingefallen ist: Band ohne Namen: Girl 4 A Day

16 Kommentare zu „Warum für mich nicht viel anders wäre“

  1. „Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich eine andere Person und würde die Dinge mitunter ganz anders beurteilen.“

    Ist das bereits eine Zustimmung zum Konzept des situated knowledge von Donna Haraway?

    1. @elmar

      Wenn du den nächsten Satz liest, dann wird deutlich: auch hier nur Biologisten

      Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich eine andere Person und würde die Dinge mitunter ganz anders beurteilen. Wieviel von dem, was ich jetzt tue, setze ich außerdem als biologisch beeinflusst oder gesellschaftlich geprägt voraus?

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