Warum ich diese drei Skandale bemerkenswert finde, Teil 3

Teil 1
Teil 2

(Die Einleitung zum ersten Teil lohnt es sich auf jeden Fall zu lesen. Hier soll es aber direkt weitergehen, es wird ja noch lang genug.)

Zugegeben, ich war etwas müde geworden über die Aufregerthemen. Aber versprochen ist versprochen und Teil 3 halte ich inhaltlich für den wichtigsten. War der erste Teil ein Sturm im Twitterglas und betraf der zweite eine Gruppe von Leuten, die viele Jahre gesellschaftliche Außenseiter waren und daher leichte Opfer, so traf es in diesem Fall einen renommierten Wissenschaftler.

Shirtgate – und Matt Taylor

Ein Hemd wurde Dr. Matt Taylor zum Verhängnis. Viele Jahre hatte der Astrophysiker an einem wahnwitzig anmutenden Projekt gearbeitet: Es ging darum, im Rahmen der Mission Rosetta von der gleichnamigen Sonde aus einen Gleiter auf einem Kometen zu landen, oder, wie es der Blogger Emannzer ausdrückte: „Ein Staubkorn in der Stratosphäre mit der Zwille zu treffen.“

Das eigentliche Projekt war geglückt, doch in der Stunde des Triumphs unterlief Dr. Taylor ein entscheidender Fehler: Er trug zu einem Interview ein grellbuntes Hawaiihemd, auf dem Frauen abgebildet waren, die sich in verschiedenen Posen räkelten. Zwar waren alle diese Frauen vollständig bekleidet, einige eher knapp, zeigten dabei aber nicht mehr, als man in einem züchtigen Schwimmbad zu sehen bekommt. Doch es half nichts: Das geht ja nun wirklich nicht, befanden einige Netzfeministinnen und eröffneten prompt unter den Stichworten #Shirtgate und #Shirtstorm via Twitter und den üblichen Artikelquellen das mediale Feuer auf diesen fürchterlichen Sexisten, der mit der Wahl seiner Kleidung ganz offensichtlich Frauen davon abhalte, in MINT-Fächern berufstätig zu werden.

Was wie eine bekloppte Wahnvorstellung eines eingefleischten Feminimushassers klingt, der dringend mal wieder Tageslicht und normale Leute sehen sollte, es geschah in der Realität: Einem Mann gelingt die größte wissenschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Raumfahrt seit der Mondlandung – und sie halten sich an seinem Hemd auf!

Wie lange war es ein (berechtigter!) Kritikpunkt, dass es nicht richtig ist, wenn Frauen trotz großartiger Leistungen darauf reduziert werden, was sie anhaben? Und nun sollte im Namen des Fortschritts einem Mann dasselbe passieren? Gerechtigkeit dadurch, dass es allen gleich schlecht geht – das hatte schon im Realsozialismus nicht gut funktioniert.

Nebenbei bestätigte dieses Vorgehen die schlimmsten Vorurteile gegenüber Frauen. Wie es jemand auf Twitter passend ausdrückte:

https://twitter.com/johndurant/status/533299548484288513
„Feminists: We need to fight negative stereotypes like women caring more about fashion than science. WHAT COMET? OMG, LOOK AT THAT SHIRT!!“

„Ich landete eine Sonde auf einem Kometen und alles, was ich bekam, war eine Aufregung wegen meines T-Shirts.“ Was wie ein schlechter Scherz klingt, führt schließlich dazu, dass Dr. Taylor unter Tränen vor laufender Kamera wegen der Wahl seiner Kleidung entschuldigen musste. Soweit war es gekommen! Man fühlte sich mit Entsetzen erinnert an kommunistische Schauprozesse, wo sich die Angeklagten auch noch selbst fertigmachen mussten für ihre eigenen angeblichen Verfehlungen, für die sie dann prompt zum Tode verurteilt wurden.

Ohne Zweifel hatte das, was unter dem Begriff Feminismus firmiert, eine neue Höchstmarke erreicht: Mit einer solchen Effektivität einen Menschen einzuschüchtern, das sind Maßstäbe, von denen organisiertes Verbrechen und Terroristen nur träumen können.

Am Ende zeigte sich jedoch, dass sich die Radikalfeministinnen diesmal völlig verschätzt hatten, was ihre Strahlkraft auf die öffentliche Meinung anging: Eine so bedeutende wissenschaftliche Leistung für null und nichtig erklären zu wollen, die von der Allgemeinheit wahrgenommen, verstanden und geschätzt wird, das war sogar für sie zuviel. Entsprechend groß war die Fallhöhe.

Und so geschah das kleine Wunder, dass die öffentlichen Tränen eines Mannes nicht als Schwäche gedeutet wurden oder gar Spott und Verachtung à la Jessica Valenti auslösten („Ich bade in Männertränen“), sondern Mitgefühl bewirkten. Was der Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn werden sollte, einer der wichtigsten Tage in seinem Leben, wurde durch Aufregung über seine Kleidung kaputtgemacht.

Die Popkultur hat für Leute, die wie Dr. Matt Taylor aussehen, ein Klischee: Da gibt es den liebenswerten Nerd, der ein sympathischer Kerl ist, kein Macho, sondern ein Tüftler, der sich für Technik interessiert und jede Menge Probleme löst, an die andere vielleicht gar nicht erst gedacht hätten und der dafür gesellschaftlich etwas ungeschickt auftritt. Und tatsächlich gibt es in der Popkultur eine Konstellation, in der in einem Konflikt jede noch so gutaussehende Frau gegen ihn verliert und man zu ihm hält: Wenn sie das Biest ist (etwa in der Schule), das den harmlosen Typen fertigmacht und vor allen Leuten runterputzt.

Kritik gegenüber Personen des öffentlichen Lebens gut und gerne, aber hier war für viele Leute der Bogen überspannt. Selbst wenn Männern allgemein weniger Empathie entgegengebracht wird, brachte es eine Sammlung für ein Geschenk als Anerkennung seiner Leistung und Entschädigung für seinen ruinierten großen Tag auf die stolze Summe von 24.000 USD.

Boris Johnson, der Bürgermeister von London, fragte sinngemäß, ob in unserer Welt kein Platz für Ekzentriker ist, die gerade weil sie nicht nach der Norm ticken, erstaunliche Dinge vollbringen. Ja, sind wir etwa die Taliban, dass wir strenge Vorschriften aufstellen, den menschlichen Körper nicht zu zeigen, selbst wenn wie hier in vollständig bekleideter Form? Wie weit rückwärtsgewandt muss man sein, wenn Konservative (!) einen darauf aufmerksam machen, dass sich die Welt weitergedreht hat in den letzten Jahrzehnten?

Als Details über den Hintergrund des Hemdes bekannt wurden, halfen diese ebenfalls nicht weiter beim Versuch, Dr. Matt Taylor als bösen Menschen darzustellen. Denn das Hemd war das Geschenk einer Freundin gewesen, die dieses selbst angefertigt hatte. Taylor hatte sich offenbar so gefreut, dass er zur Feier des Tages ihr Geschenk stolz zeigen wollte…

Genausogut könnte man das Tragen des T-Shirts also andersherum als modern, frauenunterstützend und -befreiend deuten: Eine Frau ist als Unternehmerin tätig, ist kreativ und hat keine Scheu davor, die Schönheit der Weiblichkeit darzustellen. Die Hemden sind freier Ausdruck einer Frau – wer will sie da allen Ernstes einschränken? Und ist es nicht eine großartige Sache, dass ein Wissenschaftler dieser Freiheit eine größere Plattform bietet, indem er in einem Moment, in dem die Kameras auf ihn gerichtet sind, eben diese Kunst und Kreativität zur Schau stellt?

Man kann das angebliche feministische Regelwerk inzwischen verwenden, um alles und das Gegenteil davon als sexistisch zu brandmarken. Damit wird es aber beliebig und ist für den Normalsterblichen nicht mehr nachzuvollziehen. Die Deutungshoheit darüber, wie ein Sachverhalt nun zu beurteilen ist, nimmt eine kleine Gruppe von Radikalen für sich in Anspruch, nicht ohne sich selbst dabei immer wieder in internen Konflikten gegenseitig zu zerfleischen. Das erinnert tatsächlich an Schriftgelehrte, die dem einfachen Gläubigen erklären (und letzten Endes vorschreiben), wie er die einzelnen Glaubenssätze zu verstehen habe und was gut und böse ist. Der Vergleich zwischen Radikalfeminismus und Religion – hier hat er in der Tat eine Grundlage.

Der Freundin Matt Taylors hat die Sache übrigens nicht geschadet: Sie ist ausgebucht mit Bestellungen, sowohl das Original-Modell als auch ein sehr ähnliches, für das sie neuen Stoff besorgt hatte, sind seit Monaten ausverkauft. Nach wie vor sind ähnliche Motive verfügbar.

Nur wenige Wochen vor der Aufregung um dieses Hemd machte die Meldung die Runde, dass ein feministisches T-Shirt (und wehe dem, der es nicht tragen wollte!) allen Ernstes von Näherinnen in einem Billiglohnland hergestellt werde. Die Befreiung der Frau sollte vorangetrieben werden, indem Frauen in der Dritten Welt im Namen der edlen Sache gegen einen Hungerlohn ausgebeutet werden. Das kann man sich gar nicht mehr ausdenken!

Während Dr. Matt Taylor „die letzte Grenze“ (den Weltraum) erforschte, wurden den Radikalfeministinnen die Grenzen ihres Weltbildes aufgezeigt und sie selbst auf die Erde zurückgeholt. Das war eine wichtige Sache, an die ich deswegen noch einmal erinnern wollte.

Wie läßt sich – zugegeben etwas launisch – ein Fazit aus der Sache ziehen?
„Eher lande ich eine Sonde auf einem Kometen als dass ich es schaffe, Radikalfeministinnen zufriedenzustellen.“

Beiträge aus der Blogblase zum selben Thema:

Genderama hat soviel berichtet, dass es eine Extraliste wert ist:

Popkultur
Was wäre ein Blogeintrag ohne Popkultur? Diesmal etwas angenehm härterer Stoff mit Weltraumbezug.

Iron Maiden: The Final Frontier

12 Kommentare zu „Warum ich diese drei Skandale bemerkenswert finde, Teil 3“

  1. Eine super und sauber recherchierte Trilogie hast du da hingelegt, @Graublau Absolut lesenswert sind alle drei Kapitel, die ja im Zusammenhang stehen und dennoch für sich selbst bestehen können.

    In diesem einen Satz fand ich auch den Double-Standard dieser, nicht nur faschistisch anmutenden Ideologie gut zusammengefasst:

    „Wie lange war es ein (berechtigter!) Kritikpunkt, dass es nicht richtig ist, wenn Frauen trotz großartiger Leistungen darauf reduziert werden, was sie anhaben?“

    Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nur nicht für den Feminismus.

  2. “Eher lande ich eine Sonde auf einem Kometen als dass ich es schaffe, Radikalfeministinnen zufriedenzustellen.”
    Im Ernst, will das denn irgendwer? Wollen sie das denn selber? Ich dachte eigentlich, sie definieren sich über ihre Unzufriedenheit? 😉

  3. Dieses Skandal hat mich auch sehr aufgeregt und es zeigt sehr schön, wie Radikalfeminismus mehr kaputt macht als dass es irgendjemand hilft (außer vielleicht der Frau, die das Shirt gemacht hat)… Sehr guter Überblick über das ganze Wirrwarr um dieses Shirt, danke!

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